Stunde der Exoten

Seite 2: Rechnen mit Lichtwellen

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Shulaker widerspricht: Im Prinzip lasse sich ein solcher CNT-Computer mit massenfertigungstauglichen Verfahren herstellen. Sein CNT-Chip bricht zwar mit Silizium als dem Rohstoff für Computerchips. Nicht aber mit der grundsätzlichen Funktionsweise klassischer digitaler Computer, Befehl für Befehl nacheinander abzuarbeiten.

Für zwei andere Entwicklergruppen ist dieser Schritt aber noch nicht revolutionär genug. Sie wollen Rechner mithilfe eines in Computern bislang wenig genutzten Mediums in ein neues Zeitalter katapultieren: Licht. Die erste ist die Firma Optalysys aus dem britischen Cambridge. Sie nutzt keine Transistoren oder sonstigen Bauelemente, die denen auf klassischen Chips ähneln. Ihre Computer rechnen mit Lichtwellen, die sich überlagern.

Grob gesagt funktioniert der Lichtrechner so: Ein Laserstrahl durchdringt einen Flüssigkristallbildschirm. Dessen Pixel tragen die Eingabedaten in Form unterschiedlicher Lichtdurchlässigkeit – jedes Bit entspricht einem Pixel auf dem Schirm. Die Lichtwellen, aus denen der Laserstrahl besteht, werden von jedem Pixel unterschiedlich abgeschwächt.

Hinter dem Schirm werden die Lichtwellen überlagert. Sie bilden eine sogenannte Fourier-Transformation – jeder einzelne Punkt stellt eine komplexe mathematische Verknüpfung der Eingabedaten dar. Überlagert man nun mehrere solcher transformierter Datenfelder, verknüpft man auf einen Schlag jedes Datenfeld des einen Datensatzes mit allen anderen Datenfeldern des zweiten Datensatzes. So ist extrem schnelles, massiv paralleles Rechnen möglich. Ein Kamerachip liest dann die optischen Daten aus und wandelt sie wieder zurück.

An sich ist die Idee nicht wirklich neu. Bereits in den 1960er-Jahren wurden erste Systeme gebaut, die Muster, wie zum Beispiel die Umrisse von Flugzeugen oder Panzern, in einem größeren Bild in Echtzeit finden konnten. Mit der Entwicklung von kompakten, kostengünstigen Festkörperlasern, schnellen optischen Modulatoren und optischen Speichern machte sich eine rasch wachsende Forschungs-Community Hoffnung, schon bald rein optische digitale Rechner bauen zu können. Optische Systeme sind allerdings empfindlich gegen Vibration, Staub und Temperaturschwankungen. Zudem legten klassische elektronische Computer schnell an Rechenkapazität zu. Um die Jahrtausendwende schlief die Forschung daher ein. Seit das Interesse an Alternativen zu Siliziumchips wieder wächst, erlebt das Feld seine Renaissance. Noch sind die verfügbaren optischen Computer jedoch Spezialmaschinen für besondere Anwendungen.

Ein erster Prototyp von Optalysys sucht nach Mustern im menschlichen Erbgut – also kurze Basenabschnitte in einer oder mehreren sehr langen Basensequenzen. Ein herkömmlicher Rechner müsste jeden DNA-Baustein einzeln mit allen anderen Bausteinen vergleichen und sich so Schritt für Schritt vorarbeiten. Der optische Prozessor erledigt den Prozess auf einen Schlag. Die Suche nach Gensequenzen gehe 20-mal schneller als mit einem konventionellen Rechner und spare 95 Prozent Energie, sagt Optalysys-Boss Nick New.

Anwendbar sei der optische Rechner auch bei aerodynamischen Studien sowie der Analyse von Finanz- oder Klimadaten. Zwar arbeitet Optalysys daran, seine Maschinen für Wetter- und Strömungssimulation nutzen zu können. Ein frei programmierbarer optischer Rechner für beliebige Probleme ist aber nicht in Sicht. Ende dieses Jahres soll das erste Produkt auf den Markt kommen. In drei Jahren dann soll er zehnmal schneller rechnen als der derzeit schnellste Supercomputer der Welt, der chinesische "Sunway TaihuLight". "Und das mit dem Platz- und Strombedarf eines Desktop-Computers", wie New hinzufügt. Der chinesische Superrechner hingegen hat den Strombedarf einer Kleinstadt.

Nicht minder ehrgeizig ist das Pariser Start-up LightOn. Die Franzosen wollen optische Computer für maschinelles Lernen nutzen. In einem ersten Schritt entwickeln sie einen optischen Coprozessor, der konventionellen Rechnern helfen soll, extrem große Datensätze handhabbar zu machen. Bei der Analyse von Gendaten zum Beispiel sehen sich Forscher enormer Komplexität gegenüber: Tausende Gene beeinflussen sich gegenseitig.

Aber welche Gene sind relevant für die Krankheit X oder für schnelles Altern? Um Antworten auf solche Fragen zu bekommen, müssen die molekularbiologischen Daten auf einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Größe eingedampft werden. Dafür gibt es eine mathematische Funktion namens "random projection". Diese filtert die Daten so, dass sie nur wenig Informationsgehalt einbüßen. Der Haken: Je größer die Datenbank, desto mehr Rechenschritte umfasst die Operation. Das überfordert schnell jeden Computer.

Die Maschine von LightOn löst dies auf ähnliche Weise wie Optalysys durch sich überlagernde Lichtstrahlen, die Rechnungen parallel ausführen. "Das funktioniert 500-mal schneller als auf einem PC, mit etwa dem gleichen Energieaufwand", sagt Laurent Daudet, Mitbegründer der Firma. In knapp zwei Jahren soll die Maschine marktreif sein. Bei den Lichtrechnern ist das Schrumpfen von Bauteilen nicht mehr der Schlüssel zu mehr Rechenpower, sondern eine andere Art der Datenverarbeitung: "Wir lassen die Natur rechnen", bringt es Daudet auf den Punkt. (bsc)