Super-Lotuseffekt für den Winter

Allein mit einer ausgeklügelten Oberflächenstruktur wollen US-Forscher die Bildung von Eis auf Flugzeugen oder Gebäuden verhindern – bis zu Temperaturen von –30 Grad.

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Von
  • Adam Marcus

Allein mit einer ausgeklügelten Oberflächenstruktur wollen US-Forscher die Bildung von Eis auf Flugzeugen oder Gebäuden verhindern – bis zu Temperaturen von –30 Grad.

Während sich auf einer glatten Aluminium-Oberfläche nach 10 Minuten eine Eisschicht bildet, bleibt die nanostrukturierte Silizium-Oberfläche (unten) eisfrei.

(Bild: Joanna Aizenberg)

Mit der kalten Jahreszeit kommt auch wieder das Problem der Vereisung näher. Will man Straßen, Flugzeuge, Gebäude oder Stromleitungen eisfrei halten, ist einiger Aufwand nötig: Da muss geheizt oder gestreut werden, müssen Chemikalien zum Abtauen her. Diese Verfahren können jedoch Werkstoffe und Umwelt belasten. Harvard-Forscher wollen es mit einem Trick gar nicht erst so weit kommen lassen: „Wir wollen verhindern, dass sich überhaupt Eis bilden kann“, sagt Joanna Aizenberg, Materialwissenschaftlerin und Leiterin des Forschungsprojekts.

Trifft bei ausreichender Kälte ein Tropfen Eiswasser auf eine Oberfläche, haftet er dort, breitet sich aus und gefriert. Je mehr Tropfen sich dort anlagern, desto dicker wird die Eisschicht. Aizenbergs Gruppe hat nun eine „super-hydrophobe“ Oberfläche entwickelt, die Wasser noch besser abweisen soll als bereits existierende Beschichtungen, die auf dem Lotuseffekt basieren. Wie diese weist die Oberfläche winzige Unebenheiten auf, die die Adhäsionskraft auf das Wasser minimieren.

„Der Schlüssel zu unserer Technik ist, dass wir diese Strukturen so anlegen, dass sie nahezu reibungsfrei sind“, erläutert Aizenberg. „Die Eiswassertropfen prallen regelrecht ab, bevor sich überhaupt Eis bilden kann.“ Die Details der Forschungsarbeit haben sie und ihre Kollegen im Wissenschaftsjournal ACS Nano veröffentlicht.

In Versuchen konnten die Harvard-Forscher den Effekt bis zu Temperaturen von –30 Grad Celsius demonstrieren. Das sei deutlich kälter, als es in den meisten Industrieanlagen werde, fügt sie hinzu. Doch selbst unterhalb von –30 Grad hafte das Eis so schwach, dass schon ein Zehntel der sonst üblichen Kraft genüge, um es von der Oberfläche zu lösen. „Das Eis löst sich sehr leicht, da es nur mit den winzigen Spitzen der Oberflächenstruktur Kontakt hat“, sagt Aizenberg. „Ein gewöhnlicher Luftzug genügt, um es zu entfernen.“

Die Nanostrukturen lassen sich mittels Ätzen oder Gussformen in Metall, Gummi und anderen Stoffen erzeugen. Aizenbergs Gruppe hat bereits ein Patent auf das Verfahren angemeldet, um es zu kommerzialisieren. Wieviel es die Oberflächenbehandlung kosten wird, kann Aizenberg noch nicht abschätzen, aber sie geht davon aus, dass die Produktion wirtschaftlich machbar ist.

Ebenfalls unklar ist noch, ob sich die Nanostrukturen mit der Zeit degradieren abschleifen und erneuert werden müssen. Die Aizenberg-Gruppe untersucht ihre Prototypen zurzeit in Windkanälen, um herauszufinden, welche Wirkung hohe mechanische Belastungen auf die Oberflächenstruktur haben.

Neben Flugzeugen sieht Aizenberg auch Gebäude als wichtiges Anwendungsgebiet. Denn wachsende Eisschichten können irgendwann die Statik von Dachkonstruktionen gefährden – bis hin zum Einsturz eines Daches.

Matthew Herman, Bauphysiker beim internationalen Bauunternehmen Buro Happold hält die Harvard-Technologie für äußerst nützlich, um große Gebäude zu schützen. „Viele historische Gebäude, etwa in New York, Boston oder Chicago, haben in ihren Fassaden Vorsprünge“, erläutert Herman. „Das gibt ihnen durch Schattenwürfe zwar eine schöne Textur, führt aber dazu, dass sich Schnee und Eis darauf türmen.“ Damit herunterfallende Eismassen nicht Passanten treffen können, seien Sicherheitsplanen oder -gerüste nötig.

Auch Luftfahrtingenieur Howard Stone von der Princeton University ist begeistert von der Technologie. Er hatte Aizenberg auf die Frage hingewiesen, ob sich durch die Nanostrukturen in den Oberflächen auch die aerodynamischen Eigenschaften von entsprechend präparierten Flügeln ändern könnten – was zu einer interessanten Sprit-Ersparnis führen könnte. Die Forscher halten dies nach eingehender Untersuchung aber für unwahrscheinlich. Die aerodynamischen Daten wollen sie in Kürze in einem weiteren Paper veröffentlichen.

Das Paper:
Mishchenko, L. et al., "Design of Ice-free Nanostructured Surfaces Based on Repulsion of Impacting Water Droplets", ACS Nano, 9.11.2010 (Abstract) (nbo)