Supraleiter im Flugzeug
US-Forscher arbeiten an einer neuen Antriebstechnologie für Flugzeuge, die dem inzwischen betagten Jet-Ansatz neuen Schub geben könnte – bei deutlich verbesserter Wirtschaftlichkeit.
- Denis Dilba
Mit technischen Revolutionen tun sich die Flugzeugbauer seit jeher vergleichsweise schwer. Nicht, dass die Branche technologiefeindlich wäre – ganz im Gegenteil. Nur: Selbst geringfügige Änderungen in den Bauplänen haben Auswirkungen bis in die Auslegung der kleinsten Schraube. Erst nach unzähligen Berechnungen und Tests, und dann langsam, Schritt für Schritt, kann eine solche Umstellung daher erfolgen. Langwierige Zulassungsverfahren der Luftfahrtbehörden tragen zusätzlich dazu bei, dass Innovationen meist erst nach Jahrzehnten in Flugzeugneubauten Einzug halten können.
Die Resistenz gegen umwälzende Änderungen gilt ganz besonders für das Antriebskonzept. Moderne Triebwerke werden zwar kontinuierlich weiterentwickelt und schlucken immer weniger Kerosin – aber bahnbrechende Verbesserungen des Verbrauchs, der Emissionswerte und der Wirtschaftlichkeit, geben Experten offen zu, sind von dieser betagten Technologie auch mit den ausgefeiltesten technischen Tricks nicht mehr zu erwarten.
Die aktuelle Machbarkeitsstudie eines Forscherteams um Gerald Brown, Leiter der "Vibration Control and Magnetic Suspension Group" am Glenn Research Center" der NASA, dürfte die Think Tanks der Luftfahrtunternehmen jetzt jedoch aufhorchen lassen. Brown und seine Kollegen stellen einen möglichen Nachfolger des konventiellen Jet-Triebwerks vor: Ein Triebwerk auf der Basis von Hochtemperatur-Supraleitern (HTS) soll die Verkehrflugzeuge von morgen in die Lüfte heben.
Möglich wird die neue Vision für die Luftfahrt durch einen 1986 entdeckten Effekt bei Kupferoxid-Verbindungen. Plötzlich mussten seltene Metalle, wie etwa Niob, nicht mehr aufwendig mit flüssigem Helium auf –269 Grad Celsius bis kurz vor dem absoluten Nullpunkt gekühlt werden. Leichter zu handhabender Flüssigstickstoff bei –196 Grad war für die neue Materialklasse ausreichend, um die ersehnte verlustfreie Stromleitung ohne elektrischen Widerstand hervorzurufen. Bis vor einigen Jahren allerdings war die Verarbeitung der spröden keramischen Oxide noch zu aufwendig und zu teuer. Durch neue Produktionsprozesse stehen heute mehrere HTS-Anwendungen kurz vor dem Markteintritt: Die Palette reicht von HTS-Kabeln und – Strombegrenzern, über schnellere Computerchips bis hin zu Squids, ultrasensiblen Magnetfeldsensoren, und leistungsfähigeren Elektromotoren.
Um einen solchen HTS-Motor in Flugzeugtriebwerken mit Strom zu versorgen, überlegen Brown und sein Team, könnten zunächst kleinere emissionsfreie Gasturbinen im Rumpf eingesetzt werden, die mit flüssigem Wasserstoff angetrieben werden. Das Praktische daran: Mit dem –253 Grad Celsius kalten Fluid wäre zugleich die Kühlung der supraleitenden Spulen sichergestellt. Bedenken bei der Sicherheit im Betrieb seien unbegründet, so die Forscher, die Flüssigwasserstofftanks der neusten Generation müssten sich vielfach in Crash-Tests beweisen. Beim Betanken gelten allerdings strenge Vorsichtsmaßnahmen, um Explosionen zu vermeiden. Noch mehr Strom könnte mithilfe der Abwärme der Gasturbinen erzeugt werden: Als Antrieb für Hochtemperatur-Brennstoffzellen, könnte so das Bordnetz versorgt werden. Zusätzliches Plus: Auf lange Sicht wären kaum Änderungen in ihrem Konzept zu erwarten, etwa dann, wenn die Gasturbinen ganz durch Brennstoffzellen-Technologie ersetzt werden können.
"Es gibt eigentlich keine relevanten Einwände, die gegen einen Einsatz der HTS-Technologie im Flugzeug sprechen", sagt Phillipe Masson vom "Center for Advanced Power Systems" an der Florida State University (FSU), Mitautor der Glenn Research-Studie. "Die große Energiedichte und die hohe Effizienz prädestinieren HTS-Motoren sogar regelrecht dafür, die Brennkammern in den Triebwerken zu ersetzen."
Zudem hätten HTS-Motoren einen großen Einsatzbereich: So könnten beispielsweise auch supraleitende Linearmotoren künftig die Landeklappen stellen. Bisher werden dafür hydraulische Systeme eingesetzt, die einen hohen Wartungsaufwand benötigen. Zudem sind die Hochdruckpumpen und Hochdruckkompressoren vergleichsweise schwer. "Mit der HTS-Technologie könnte man dort ein Menge Gewicht sparen", sagt Masson. Am Ende seiner Überlegungen steht das so genannte "All-Electric-Aircraft", bei dem von der Klospülung, über Positionslichter bis hin zum Triebwerk alles von der Hochtemperatursupraleiter-Technik gespeist wird.
"Die Studie verliert sich nicht in wilde Spekulationen und hat in der Tat Charme", kommentiert Wilfried Goldacker, Leiter der "Arbeitsgruppe Supraleiter und Strukturmaterialien" am Institut für Technische Physik des Forschungszentrums Karlsruhe. Normale Elektromotoren mit einer vergleichbaren Leistung schieden bisher wegen ihres Gewichts und der Größe für den Einsatz im Flugzeug aus. HTS-Motoren machten ein solches Szenario nun durchaus denkbar. Zu Spulen aufgewickelte hochtemperatursupraleitende Drähte, die bis zu hundert Mal so viel Strom transportieren können wie ein genauso dickes Kupferkabel, erzeugen ein höheres Magnetfeld als normale Elektromotoren. Auf diese Weise werde eine äußerst kompakte Bauweise möglich. Man müsse aber klar sehen, dass diese Technologie zwar schon weit sei, aber noch immer in der Entwicklungsphase stecke, sagt Goldacker.
Zu den führenden Entwicklern auf diesem Gebiet gehört unter anderem Siemens: Der dort entwickelte vier Megawatt starke Prototyp ist nur halb so groß und schwer wie ein gewöhnlicher Generator. Zurzeit arbeitet das Unternehmen daran, ihn auf die speziellen Anforderungen im Schiffsbetrieb anzupassen. Der neue Motor soll nicht nur kompakter als die gängigen Antriebe sein, sondern auch leiser und vibrationsärmer: Ein großer Vorteil, vor allem auch in der Anwendung im Flugzeug.
"Der Fluglärm würde fast komplett entfallen", sagt HTS-Forscher Masson. Das sei ein nicht zu überschätzendes Argument für unser Konzept. Triebwerksneuentwicklungen wie etwa der "PropFan", mit einem Propeller vor der eigentlichen Turbine, seien zwar wirtschaftlichter als bisherige Strahltriebwerke, aber auch lauter.
"Bei allen Vorteilen: Wir sagen nicht, dass morgen schon das All-Electric-Aircraft fliegen kann. Unsere Studie soll vor allem zum Denken anregen", sagt Masson. Besonders die Auslegung des Flüssigwasserstoff-Kühlsystems sei noch größtenteils unklar. Ihren Berechnungen zufolge würde eine auf HTS-Technologie des aktuellen Entwicklungsstandes umgerüstete Boeing 737-200 kaum mehr wiegen als mit herkömmlicher Technik.
Aber selbst wenn die HTS-Komponenten alle sofort zur Verfügung stünden, käme noch die wohl größte Herausforderung auf die Entwickler zu: Vom Flügel bis zum Fahrgestell muss eine exakte Abstimmung aller Bauteile auf die geänderte Gewichtsverteilung erfolgen.
Mit dieser Mammutaufgabe müssten sich dann allerdings die Flugzeughersteller beschäftigen, sagt Masson, Für ihre Studie sei ein solches "Weight Assessment" bei weitem zu umfangreich gewesen. Dass Boeing oder Airbus schon bald erste Berechnungen durchführen werden, davon ist sein Studienkollege Cesar Luongo von der FSU überzeugt: "Da viele Anwendungen im Flugzeug hohe Energiedichten bei möglichst kleinem Bauraum und Gewicht benötigen, führt dort in Zukunft kein Weg an Supraleitung vorbei." (bsc)