Tanz den Algorithmus

Seite 4: Tanz den Algorithmus

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LERNEN, BÜFFELN, PAUKEN

Weiden in der Oberpfalz. Betulich. Beschützt. Ein bisschen spießig. Monikas Vater ist ein kaufmännischer Angestellter. Sie beschreibt ihn als neugierig und risikobereit, was man sich von Weidener Ureinwohnern so gar nicht vorstellen kann. Haben die Eltern sie gefördert? "Sie haben mich jedenfalls nicht gestört", sagt sie und das ist typisch: Lasst mich in meiner Welt, lasst mich rumspinnen, lasst mich probieren. Viel Zeit zum Ausprobieren.

Vor allem aber hatte Monika Henzinger einen älteren Bruder. Der besser war. In der Schule. Und vielleicht auch sonst. Monikas Ehrgeiz wuchs. Mit "schlechtem Gedächtnis und keiner sonderlichen Sprachbegabung" ging sie auf ein reines Mädchengymnasium. Latein wählte sie, weil man da immer ein Wörterbuch benutzen konnte, in Naturwissenschaften glänzte sie. Aber die Sprachen! Der Bruder war besser. Monika klotzte ein Jahr ran. Hausaufgaben noch gründlicher. Pauken für die Arbeiten. Lernen, büffeln, pauken. Am Ende das Zeugnis: zweiter Sieger. Scheiße. Noch mal: Ein Jahr "Pleite" mit M-O-T-I-V-A-T-I-O-N buchstabieren. Und dann der glorreiche Erfolg. Das Zeugnis besser als das des Bruders und die Gewissheit: Man kann durch Fleiß viel Land gewinnen. Und: Wenn man sich einigelt, liegt die Welt vor einem, nicht, wenn man sich exponiert. Die Welt, die Monika Henzinger spannend findet, baut sich inwendig auf.

Der Bruder ist heute Zahnarzt. "Schade, ich habe immer gedacht, er macht auch einmal auf irgendeinem Gebiet For- schung", sagt Monika Henzinger. Ganz fröhlich, ganz frisch, entspannt, aber man merkt auch eine homöopathische Dosis von Tschakkaa - Erste, bätsch! Nach dem Abitur wollte Monika Astronautin werden, unbedingt, der fremde Kosmos, nicht die Erde, die Welt wollte sie bereisen. "Aber Astronomie kam schließlich nicht in Frage. So viele Arbeitsplätze gibt es ja dort nicht. Und man muss vernünftig sein."

WALZER IM HIPHOP-BÜRO

Vernünftig. Also studiert sie Informatik in Erlangen. Wechselt nach dem Vordiplom die Uni. Vernünftig. Geht nach Saarbrücken. Und Princeton. Promoviert. Arbeitet. Studiert. Publiziert. Lernt ihren Mann kennen. Bekommt eine Informatikprofessur an der Cornell University und schließlich eine Professur in Saarbrücken. Ihr Mann ist zu dem Zeitpunkt Direktor am Max-Planck-Institut für Informatik. Und eines Tages kommt dann das Angebot von Google. Die Idee war schon da, der Laden jedoch so winzig, dass man den Nachnamen in der E-Mail-Adresse nicht brauchte.

"Man muss Risiken im Leben eingehen", sagt Monika Henzinger. Wenn sie das sagt, klingt das wie "Lebe wild und gefährlich, Arthur" -- mehr Kalenderspruch, denn Risiko, Wagnis und Unwägbarkeit sind nicht unbedingt die Zutaten, die man in einen Cocktail tun würde, wollte man mit ihr anstoßen. Wohl aber Zielstrebigkeit und Engagement. Sie kann beide Hände ganz fein brav falten und im Schoß parken, dazu den Kopf schief halten und ihrem Pressesprecher lauschen, wenn er spricht. Sobald man ihr aber dann eine Frage stellt, explodieren Stimme, Gestik und Körpersprache, die Stimme schnell, aber nicht kieksig, die Hände rotieren, aber wedeln nicht, und der Körper bleibt in seinem Mittelpunkt einfach da, wo sie ihn vorher hingestellt hat: Die ganze Erscheinung bläst einen mit der Kraft eines warmen Atlantikwindes um. Und man hält den Kopf noch mal hin, um einen Hauch von Hauruck -- "los geht's und auffi" -- einzufangen. Und das in Zürich, wo sich gerade das Europa-Labor von Google im Aufbau befindet -- ausgerechnet bei den Schweizern, die vieles für sich beanspruchen können, aber nicht die Schnelligkeit.

Vielleicht ist das aber Monika Henzinger völlig wurscht, weil sie längst in eigenen Universen lebt, wenn schon nicht in astronomischen, dann aber in Denk- und Werteuniversen. Die Frau im Strickpulli-Perlenketten-Ensemble hat keine Probleme mit Jeansträger-Kollegen. Sie vermisst die Berge und arbeitet frohgemut in Kalifornien. ("Ich mag das Land, weil sich die Menschen dort viel vornehmen und viel erreichen.") Sie hört Walzer in einem Hiphop-Großraumbüro. Sie wird zu einer der strategisch wichtigsten Mitarbeiterinnen und hat zwei Mädchen zu Hause, die mit ihr Ski laufen gehen wollen. Mit ihrem Mann entscheidet sie jede Karriereposition: Ist sie besser als die des Partners, zieht der mit um und reist nach. Zusammen mit ihrem Mann wird sie im Herbst nach Lausanne in der Schweiz gehen, an die Ecole Polytechnique Fédérale, um eine Professur anzutreten.