"Ich hatte mir mehr Sorgen um staatliche Überwachung gemacht"

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Macht es eine Organisation wie Anonymous, bei der gewissermaßen jeder hinter einer Maske versteckt ist, den Ermittlungsbehörden nicht besonders leicht, sich einzuschleichen?

Ja und Nein. Ein großer Teil der Interaktion findet online statt. Dabei kann man sich im gewissem Ausmaß schützen. Wenn Sie sich offline organisieren ist das viel schwieriger. Da gibt es Gruppentreffen in irgendeiner Wohnung, mit der Zeit bauen sich enge, gefühlsmäßige Bindungen auf. Das macht es viel schwieriger, mit Spitzeln umzugehen.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Wurzeln dieser Gruppe in der Troll-Subkultur liegen. Jetzt kämpft Anonymous gerne mal gegen alles Böse in der Welt. Wie kam es zu diesem radikalen Wandel?

Anonymous war nur eine Gruppe von vielen, die getrollt haben. Es gibt zum Beispiel eine Gruppe, die sich "RIP Trolls" nennt. Die suchen sich Gedenkseiten auf Facebook, die zur Erinnerung an Verstorbene eingerichtet wurden. Und dort verspotten sie Freunde und Angehörige. Das ist eine sehr zynische und feindselige Szene. Und viele dieser Gruppen sind noch immer aktiv. Während Anonymous sich davon abgewandt hat. Aber das bedeutet nicht, dass die Troll-Subkultur aus dem Internet verschwunden ist. Die gibt es noch immer.

Ist Anonymous also sowas wie die 68er-Bewegung der Netzkultur? Und damit ein Modell für politische Organisationen der Zukunft?

Ich glaube nicht, dass diese Art von Aktivismus Mainstream wird. Aber es gibt viel mehr Geeks und Hacker als früher. Natürlich sitzen bei mir in den Kursen viele Studierende, die mit dem Internet aufgewachsen sind – digital Natives. Aber sie sind keine Geeks oder Hacker. Das Wachstum hat also Grenzen. Aber Anonymous ermöglicht auch technisch nicht so versierten Menschen, sich an Aktionen zu beteiligen. Und sie verwenden sehr geschickt Elemente der Popkultur wie die Guy Fawkes-Masken. Ich denke, wir werden also noch mehr solcher Aktionen in der Zukunft sehen.

Trotz massenhafter Online-Aktionen und Offline-Demonstrationen hat die Überwachung und Kontrolle des Internets aber eher zugenommen. Kann eine Gruppe wie Anonymous etwas ausrichten?

Ich denke, wir sind oftmals zu ungeduldig, wenn wir über politische Veränderungen sprechen. Die Dinge ändern sich nicht in sechs Monaten oder einem Jahr. Die Menschen hier in den USA haben ein sehr viel größeres Bewusstsein für Privatsphäre, es werden sehr viele Verschlüsselungs-Tools entwickelt – ich denke es ist zu früh, um zu sagen, wer gewonnen oder verloren hat. Wir bewegen uns in die richtige Richtung. Die Frage ist, ob die Bewegung ihren Schwung behält.

Letzte Frage: Sollte es ein Recht auf anonyme Kommunikation im Internet geben?

Das gibt es. Zumindest in des USA. Lange bevor das Internet existierte, hat der oberste Gerichtshof der USA dieses Recht bestätigt – als Basis der Meinungsfreiheit.
Weil heute so viel unserer öffentlichen Diskussion im Internet stattfindet, sollte es auch dort zumindest einige Plätze geben, an denen man sich anonym austauschen kann. Wo man Gleichgesinnte treffen kann, um zum Beispiel über sexuelle Identität zu sprechen, ohne seinen Namen verraten zu müssen. Und es muss Orte geben, für politische Interventionen.
Ich denke aber auch, dass es ein Recht darauf gibt, Foren zu schaffen, in denen die Kommunikation nicht anonym ist. Die Vielfalt solcher Möglichkeiten muss gewahrt bleiben.

(wst)