Tödliche Gene

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Seitdem wächst die Furcht vor den Umweltfolgen des Gene Drive. Denn die Zahl der Wissenschaftler, die mit CRISPR arbeiten, nimmt stetig zu – und mit ihnen die Sorge vor versehentlichen Freisetzungen. Im August 2014 schrieben Burt, Bier und 25 andere Forscher einen Brief an das Magazin "Science" und forderten darin strenge Beschränkungen. Sie riefen Wissenschaftler auf, ihre Organismen nicht anderen Arbeitsgruppen zur Verfügung zu stellen, bevor es keine strengen Regeln gibt. Einige wollten die Forschung sogar ganz unter Verschluss halten – doch dazu ist es zu spät.

Das Imperial-Team untersucht bereits mit Daten über Geografie, Klima und anderen Faktoren, wie der Gene Drive in der realen Welt wirken könnte. In Burkina Faso haben Wissenschaftler Stechmücken mit einem fluoreszierenden Staub besprüht und freigelassen, um sie verfolgen zu können. Burt schätzt, dass sich ein Gene Drive innerhalb eines Jahres bis in 20 Kilometer Entfernung rings um den Freilassungsort ausbreiten kann – und das mit weniger als 500 freigelassenen Moskitos.

Auch Fil Randazzo, stellvertretender Direktor der Gates-Stiftung, macht sich schon Gedanken, wie der Genkampf gegen die Malaria aussehen könnte: Er schlägt vor, alle 50 Kilometer einen Kübel voller Moskitos freizulassen, sodass eine Kettenreaktion startet. Nach etwa zwei Jahren würde die Population zusammenbrechen und nur noch ein Prozent des sonst üblichen Niveaus betragen. Mithilfe von Moskitonetzen und Mückenspray würden die Stiche der überlebenden Mücken auf ein Minimum beschränkt und der Zyklus der Verbreitung gestoppt.

Mit einer breit angelegten Medikamentenvergabe müssten die Erreger parallel dazu auch im Körper der malariainfizierten Menschen abgetötet werden, um eine weitere Übertragung zu stoppen. Denn in einigen westafrikanischen Ländern sind 25 Prozent der Bevölkerung infiziert. Target Malaria hat schon begonnen, in einigen afrikanischen Ländern Wissenschaftler auszubilden, Insektenlabore auszubauen und Teams in Dörfer zu schicken, um die Einheimischen einzuweisen. Ein erster Antrag, genetisch veränderte Moskitos nach Afrika zu importieren, ist in Burkina Faso anhängig.

Die Gates Foundation ist überzeugt, dass sich Malaria ohne Gene Drive nicht ausrotten lässt. "Man kann nicht ein Leben lang mit einem Moskitonetz herumlaufen – damit bekommt man die Malaria nicht in den Griff", sagt Randazzo. Das Gene-Drive-Projekt wird seiner Meinung nach viel früher entwickelt sein als ein wirksamer Impfstoff.

Noch allerdings sind die Moskitos nicht bereit für eine Freisetzung. Laut der Gates-Stiftung könnte es sogar bis zum Jahr 2029 dauern, bis die sich selbst auslöschenden Moskitos im Kampf gegen die Malaria eine Rolle spielen. Manche Wissenschaftler glauben sogar, dass es niemals so weit kommt.

Ein Grund dafür findet sich in zwei der Londoner Käfige: Dort verschwand der Gene Drive, der sich anfangs so rasant verbreitete, nach ein paar Generationen wieder. Wahrscheinlich sind die Mücken resistent dagegen geworden – eventuell durch eine DNA-Mutation –, und die mutierten Insekten haben sich danach rasch vermehrt. Guy Reeves, ein Evolutionsbiologe am deutschen Max-Planck-Institut, sieht in solchen Mutationen das größte Problem. "Nicht alles, was glänzt, ist Gold", meint Reeves. Burts Theorie "wird sich niemals ausreichend vorhersagbar umsetzen lassen", fürchtet er.

Es gebe noch einige Probleme zu lösen, aber sie hätten noch ein paar Tricks auf Lager, hält Tony Nolan, der wissenschaftliche Leiter von Crisantis Labor, dagegen. Eine Idee ist, mehrere Gene Drives zu kombinieren, die auf drei verschiedene DNA-Stellen abzielen. Die Stechmücken könnten zwar nach und nach resistent gegen alle drei werden – aber die Chance besteht, dass sie schon davor alle gestorben sind.

Die Wahrscheinlichkeit des Gelingens ist immerhin groß genug, dass auch die Politik beginnt, über die Konsequenzen der neuen Technik nachzudenken. Im März dieses Jahres kamen rund 75 Vertreter aus Politik und Wissenschaft zu einem Symposium über Gene Drive in North Carolina zusammen. Auch dort, so berichteten Teilnehmer, sei die Sorge über die Aussicht, dass genetische Veränderungen sich weit ausbreiten könnten, sehr deutlich zu spüren gewesen.

Fil Randazzo betont zwar, dass die Gates Foundation verpflichtet sei, die Gene-Drive-Technologie an "die afrikanischen Völker" weiterzugeben und diese entscheiden zu lassen. Ob dies aber realistisch ist, bezweifelt Kevin Esvelt vom Massachusetts Institute of Technology, einer der Erfinder des Gene Drive. Er sieht das Problem darin, dass das Malariaprojekt "einen Einfluss auf jeden" habe in Afrika, es aber unmöglich sei, dass jeder der Technologie zustimme.

Ähnlich kritisch äußern sich die deutschen Wissenschaftsakademien Leopoldina, acatech, die Akademienunion und die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Sie warnen, dass "derartige Eingriffe [...] in Ökosysteme sehr weitreichende Folgen haben". Sie fordern, dass vorab entsprechende Rückhol- bzw. Schutzmaßnahmen entwickelt werden müssten und ein gesellschaftlicher Diskurs stattfinden müsse über Einsatz und Grenzen der Anwendung. In den USA berät das National Research Council, wie die Freisetzung von Organismen, die mit Gene Drive manipuliert sind, zu regeln ist. Andrea Crisanti vom Imperial College dagegen sieht die Diskussion eher vom darwinistischen Standpunkt. "Es ist ein Wettstreit zwischen uns und dem Moskito. Keine Art hat per se das Recht zu existieren."

In Afrika scheint man sich eher letzterem Argument anzuschließen. Der kenianische Insektenkundler Richard Mukabana warb für die Kampagne in Siedlungen rund um den Victoriasee. Sein Team besuchte die Dörfer. Er erklärte die Idee mithilfe von Postern und Diagrammen, denn viele Menschen dort können weder lesen noch schreiben. Wenn Menschen, deren Kinder an Malaria sterben, hören, dass die Krankheit ausgemerzt werden könne, seien sie dafür. Jemanden, der die Stechmücken verteidige, habe er rund um den Victoriasee nicht gefunden. "Die Menschen würden nicht zögern, die Moskitos auszurotten." (bsc)