Tote Innenstädte?

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Nicht nur Datenschützer gruseln sich bei dieser Vorstellung. "Bevor mit Beacons schon wieder die sprichwörtliche nächste Sau durch das Retailer-Dorf getrieben wird, gäbe es bei den Apps noch jede Menge zu tun", schreibt Etailment-Autor Stephan Lamprecht. In der Tat: Viele mobile Anwendungen sind nur auf Smartphone-Format geschrumpfte Online-Shops. So etwa bei Saturn: Ich stehe im Regal vor zwei Klemmstativen des Herstellers Joby und kann mich nicht zwischen ihnen entscheiden. Mit der Saturn-App lässt sich zwar der QR-Code auf der Verpackung scannen, aber der führt nur zur Homepage des Herstellers. Eine Volltextsuche in der App nach "Joby" bringt null Treffer, weil Online- und Offline-Sortiment offenbar nicht aufeinander abgestimmt sind. Laut Saturn wird daran noch gearbeitet. Hilfreicher ist da die Preisvergleichs-App von Barcoo: Sie verrät mir immerhin, dass beide Stative im Laden überteuert sind.

Selbst speziell für den mobilen Einkauf entwickelte Apps sind meist kaum nützlicher. Die 15 Millionen Mal heruntergeladene App Shopkick etwa belohnt Nutzer mit niedrigen Centbeträgen dafür, dass sie einen Laden betreten oder bestimmte Produkte einscannen. (Seit ich das mal bei Douglas ausprobiert habe, bekomme ich regelmäßig Werbung für Lippenstifte.)

Ansonsten nervt sie mit Werbebotschaften auf Schritt und Tritt. Aber weder Shopkick noch Barcoo können mir verraten, wo ich in Hannover neue Rollen für meine Inlineskates bekomme. Wie die Verschmelzung von Online und Offline stattdessen aussehen könnte, lässt sich in Düsseldorf anschauen. An der verkehrsreichen Kreuzung von Graf-Adolf-Straße und Berliner Allee befindet sich die erste Filiale von "Emmas Enkel". Der HDE zählt das 2011 gegründete Start-up zu den Shooting-Stars der lokalen Händler. Kürzlich stieg der Handelskonzern Metro mit einer 15-prozentigen Beteiligung ein.

Auf den ersten Blick sieht die Filiale aus wie ein normaler Eckladen: Auf wenigen Quadratmetern stapeln sich Produkte des täglichen Bedarfs vom frischen Obst über Tiefkühlware bis zum Shampoo. Daneben ist noch Platz für ein plüschiges Café. Doch der nostalgische Anstrich täuscht: Der Laden soll ein "Brückenkopf für das dahinterstehende E-Commerce-Geschäft sein", so der HDE. Eine Säule und eine Außenwand sind mit Produktbildern nebst QR-Codes tapeziert. Diese führen – ganz ohne App – auf die Bestellseite des Onlineshops. Die Waren werden nicht aus einem Zentrallager geliefert, sondern direkt aus der Filiale – das spart Logistikaufwand. Bei einer Bestellung bis 17 Uhr bringen Mitarbeite die Ware noch am selben Tag vorbei. Obwohl Emmas Enkel klar lokal ausgerichtet sind, machen sie 70 Prozent ihrer Umsätze online.

Wie also sieht der Handel der Zukunft aus? So viel ist abzusehen: Es wird keine Monokultur aus wenigen großen Konzernen geben, sondern eine Vielfalt unterschiedlicher Online- und Offline-Modelle. Und der Kunde wird im stationären Geschäft fast so gläsern, wie er es im Internet längst ist. Im Gegenzug wird er dafür besser auf ihn zugeschnittene Angebote bekommen. Ob es das wert ist, sieht jeder Kunde anders. "Mir jedenfalls ist personalisierte Werbung lieber als unspezifische", sagt Michael Müller von GS1. "Aber das wird immer ein Trade-off bleiben. Was bekomme ich als Nutzen, was muss ich dafür geben?" (grh)