U-Boote im Bauch gegen Krankheiten

Seite 2: Maschine im Auge

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Aber keines kann sich bewegen, um seine Position zu korrigieren. Um sie später wieder herauszuholen, muss zudem meist der Glaskörper mit entfernt werden, jene durchsichtige, gelartige Substanz, die den Hohlraum zwischen Linse und Netzhaut ausfüllt. Die Mikroroboter lassen sich dagegen über ihre Magnetsteuerung ohne viel Aufwand am Rand des Auges wieder herausholen.

Die Vorstellung einer ferngelenkten Maschine im Auge ist vielen Medizinern dennoch unheimlich. "Im Gespräch mit Ärzten stellte sich heraus, dass sie sich zur Sicherheit eine Möglichkeit wünschen, den Roboter rauszuziehen", sagt Ullrich. Zudem ließen sich auf diese Weise größere Wirkstoffmengen verabreichen, als ein Bot allein transportieren könnte. Daher entwickelt das Nelson-Lab auch Mikroroboter, die an der Spitze eines hauchdünnen Katheters sitzen. Im Vergleich zu einer herkömmlichen Injektionsnadel bietet diese Variante dennoch Vorteile: Weil der Katheter flexibel ist, kann der Bot mehr Punkte im Auge erreichen als eine Injektionsnadel.

Der kleinere Durchmesser verursacht zudem geringere Gewebsverletzungen. Der gekoppelte Mikroroboter bietet sich etwa an, um einen Venenverschluss in der Netzhaut zu behandeln, der üblicherweise durchspült werden muss. Dabei kann er eine weitere konstruktionsbedingte Stärke ausspielen: Mithilfe der angelegten Magnetfelder lässt sich messen, mit welcher Kraft er die Vene punktieren muss. Bisher kommt es dabei auf Erfahrung und Geschick des Chirurgen an, weil er den Widerstand der kleinen Vene nicht spüren kann.

Doch das externe Magnetfeld hat auch einen Nachteil: Seine Erzeugung benötigt eine aufwendige und teure Apparatur. Wie einfach wäre es demgegenüber, Patienten könnten die Mikroroboter einfach schlucken wie eine Pille. Genau an dieser Vision arbeiten Forscher um Joseph Wang von der University of California in San Diego (UCSD). Ihre Maschinchen flitzen wie winzige U-Boote durch den sauren Magensaft und nutzen ihn dabei als Treibstoff. Sie sollen später ebenfalls helfen, Magengeschwüre schonender zu behandeln. Bisher müssen Patienten zusammen mit den Medikamenten auch sogenannte Protonenpumpen-Hemmer einnehmen. Diese unterdrücken die Produktion von Magensäure, damit sie die Wirkstoffe nicht zerstört. Sie können jedoch unangenehme Nebenwirkungen haben wie Kopfschmerzen, Durchfall und in schweren Fällen sogar Depressionen.

Die UCSD-Wissenschaftler wollen die Säure deshalb ohne Nebenwirkungen neutralisieren und die für den hohen Säuregrad verantwortlichen Protonen aus dem Verkehr ziehen. Dafür beschichteten sie 20 Mikrometer große Magnesiumkügelchen nahezu komplett mit Gold und einem bioverträglichen Material, das den Wirkstoff enthält. Nur ein kleiner Teil der Magnesiumfläche blieb frei. Er reagiert nun mit den Protonen der Magensäure, dabei entsteht Wasserstoff. Das hervorperlende Gas dient als eine Art Rückstoßstrahl und lässt die Magnesiumkügelchen kreuz und quer durch den Magensaft flitzen. Ist der pH-Wert schließlich hoch genug, setzt der Trägerstoff das Medikament frei.

In Tierversuchen neutralisierten die Mikroroboter den Magensaft von Mäusen in 18 Minuten, der pH-Wert normalisierte sich innerhalb eines Tages wieder. Bis sich kostengünstig ausreichende Mengen der winzigen Wirkstofftransporter herstellen lassen, wird es noch eine Weile dauern. Wenn es aber so weit ist, muss man sie nur noch schlucken.

Auf längere Sicht sind sogar noch kleinere medizinische Helfer denkbar. Mainzer Forscher um Johannes Roßnagel haben eine Maschine erzeugt, die wenig größer als ein Atom ist und sich ähnlich wie ein Viertaktmotor verhält. Dafür sperrten die Wissenschaftler ein Kalziumatom in einem kegelförmigen Gehäuse aus elektromagnetischen Feldern ein. Richteten sie je einen Laser auf die Spitze und den Boden den Kegels, wurde das Atom abwechselnd erhitzt und gekühlt und bewegte sich wie ein Kolben immer schneller hin und her. Theoretisch wäre es denkbar, ein zweites Atom so zu positionieren, dass es die Energie des ersten ähnlich wie ein Schwungrad absorbiert.

Noch ist fraglich, ob sich die kleinste Maschine der Welt irgendwann praktisch nutzen lässt. Doch dass sie überhaupt funktioniert, zeigt, wie rasant sich die Mikrorobotik weiterentwickelt – und welche Möglichkeiten sie eröffnen kann. (bsc)