U-Boote im Bauch gegen Krankheiten

Medizinroboter waren bisher eher sperrige Geräte. Nun tüfteln Forscher an winzigen Maschinen, die gezielt im Körper wirken und viele Therapien verbessern sollen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

Der winzige Roboter müsste eigentlich im zähen Schleim stecken bleiben, der den Magen innen auskleidet. Doch er hat einen Trick auf Lager, den er ausgerechnet dem Schurkenbakterium verdankt, das er später einmal bekämpfen könnte. Genau wie der Magengeschwüre erzeugende Keim Helicobacter pylori nutzt der nur wenige Mikrometer große Roboter das Enzym Urease, um den in der Magenflüssigkeit vorhandenen Harnstoff zu zerlegen. Dabei entsteht Ammoniak, das den pH-Wert des sauren Magenmilieus lokal in die Höhe treibt. Oberhalb eines pH-Werts von fünf bricht das gelartige Netzwerk des Magenschleims zusammen und verflüssigt sich gewissermaßen. Nun kann der Mikroroboter hindurchschwimmen – angetrieben von einem korkenzieherartigen Propeller, der nicht von ungefähr an die Geißel von Bakterien erinnert. Sein Ziel ist die Magenwand, wo er später einmal Wirkstoffe zur Behandlung von Magengeschwüren freisetzen könnte.

TR 6/2017

So weit ist es noch nicht. Vorerst ging es den Forschern um Peer Fischer und Debora Walker darum, den kleinen Schwimmer fahrtüchtig zu machen. Seine Jungfernfahrt fand im Labor des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Stuttgart statt, den Magenschleim hatten die Wissenschaftler aus Schweinemägen gewonnen. Dank der Urease-Beschichtung drehte sich die korkenzieherförmige Schiffsschraube fast widerstandsfrei. Sie bestand aus Quarzglas, überzogen mit einer dünnen Nickelschicht. Dadurch wurde der Mikroroboter magnetisch, so lässt er sich von außen antreiben und lenken. Im Laborversuch mussten die Forscher noch etwas Gallensäure hinzugeben, um den am Propeller haftenden Schleim abzulösen. Im menschlichen Magen wäre Gallensäure allerdings natürlicherweise vorhanden.

Medizinische Mikroroboter, die sich aktiv durch den Körper bewegen und Krankheiten behandeln, waren lange reiner Science-Fiction-Stoff. In dem Film "Die phantastische Reise" schipperte ein miniaturisiertes U-Boot mit Besatzung durch die Blutbahn, um Blutgerinnsel aufzulösen. Im dystopischen Roman "Level", der Fortsetzung von Hugh Howeys Weltbestseller "Silo", patrouillieren bereits Millionen autonome Nanoroboter im Körper, um etwa Krebs auszuschalten und Menschen jung zu halten. Davon ist die Forschung zwar noch weit entfernt. Doch Roboter wie der von Fischer und Walker lassen erahnen, dass sie in Zukunft zum Repertoire von Ärzten gehören werden. Viele haben die Konzeptphase weit hinter sich gelassen und werden mittlerweile an Tieren erprobt.

Die winzigen Helfer bilden einen sehr vielseitigen Technikzoo und haben mit den Robotern der Makrowelt wenig gemeinsam. Trotzdem lassen sie sich als Maschinen einstufen, weil sie oft autonom agieren, sich fortbewegen können und in gewisser Weise auch programmierbar sind. Mithilfe der Mikroroboter lassen sich eines Tages womöglich größere Operationen vermeiden und kleinere noch schonender durchführen. Bots wie Fischers kleiner Schwimmer könnten Medikamente zielgerichtet an den vorgesehenen Ort transportieren – und so Nebenwirkungen an unerwünschten Stellen im Körper verhindern. Ein Nachteil, den zum Beispiel viele Krebsmittel haben, die Tumore zum Schrumpfen bringen sollen. "Die Idee ist überall die gleiche, ob im Magenschleim, Darm oder im Auge: eine systemische Verabreichung vermeiden", erklärt Fischer.

Bradley Nelson hat sich das Auge vorgenommen. In seinem "Multi-scale Robotics Lab" an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) testet er Mikrobots, um Sehleiden zu behandeln. Das Team des Züricher Forschers lenkte einen zylinderförmigen Mikroroboter mit externen Magnetfeldern durch ein Kaninchenauge entlang einer vorgegebenen Route zur Netzhaut. Dort kann der Mikrobot später zum Beispiel Medikamente auch über längere Zeit hinweg freisetzen und so wiederholtes Spritzen vermeiden. "Das wäre ideal für Patienten mit altersbedingter Makuladegeneration", sagt Franziska Ullrich vom Nelson-Labor. Der Schweizer Mikroroboter hat einen Durchmesser von 300 Mikrometern und ist 1,8 Millimeter lang. Zwar wurden drahtlose Implantate, die Wirkstoffe abgeben, bereits getestet.