US-Coronavirus-Forscher: "Haben nie ein Supervirus geschaffen"

Ralph Baric hat mit dem Wuhan Institute of Virology an Coronaviren geforscht. Eine seiner bekanntesten Studien wird missverstanden, sagt er im Interview.

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Ralph Baric von der University of North Carolina hat Coronaviren im Labor verändert, um ihre Gefährlichkeit für den Menschen zu untersuchen.

(Bild: Megan May/UNC Research)

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Lesezeit: 28 Min.
Von
  • Rowan Jacobsen
Inhaltsverzeichnis

Im Mai geriet der langjährige Coronavirus-Forscher Ralph Baric in den Mittelpunkt einer erhitzten Debatte um die sogenannte Gain-of-Function-Forschung. Dabei geben Wissenschaftler bereits vorhandenen Viren neue Funktionen, die sie potenziell gefährlicher machen. Während einer Anhörung im US-Kongress deutete Senator Rand Paul aus Kentucky an, dass die National Institutes of Health (NIH) solche Forschungen sowohl am Wuhan Institute of Virology, das im Mittelpunkt der Lab-Leak-Theorie um SARS-CoV-2 steht, als auch in Barics Labor an der University of North Carolina (UNC) finanzieren und dass beide Labors sogar zusammenarbeiten, um "Superviren" herzustellen.

Baric damals gab eine Erklärung ab, in der er klarstellte, dass die fraglichen Forschungen laut NIH nicht als Gain of Function gelten, dass keines der SARS-ähnlichen Coronaviren, die er in den Experimenten verwendet hatte, eng mit SARS-CoV-2 verwandt war und dass seine Zusammenarbeit mit dem Wuhan Institute of Virology "minimal" gewesen sei.

Dies konnte jedoch Fragen nach der Rolle von Barics Forschung an Methoden, die der Wissenschaft helfen, Coronaviren auf potenziell gefährliche Weise zu verändern, nicht ausräumen. Solche Themen beschäftigen Baric seit 2014, als er zum widerwilligen Sprecher für die Gain-of-Function-Forschung wurde, nachdem das NIH ein Moratorium für solche Experimente verkündet hatte, weil man damals nicht wusste, ob sie ein Sicherheitsproblem darstellen.

Baric selbst ist der Ansicht, dass seine Forschung für die Entwicklung von Impfstoffen und anderen Maßnahmen gegen neu auftretende Viren unerlässlich ist. Er ist seit mehr als 20 Jahren an dem Thema dran. Die Arbeit hat ihn zum führenden US-Experten für Coronaviren gemacht und sein Hochsicherheitslabor an der UNC ist ein Zentrum der Forschung an dem Pandemieauslöser. Hier wurden etwa zahlreiche Arzneimittelkandidaten für andere Forscher getestet, die nicht über die nötige Biosicherheitsausrüstung oder das nötige Fachwissen verfügen.

Barics Forschung legte einst den Grundstein für das erste zugelassene Medikament gegen Kuhpocken und trug dazu bei, die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe zu beschleunigen, die sich als so entscheidend erwiesen haben. Vor kurzem gab sein Labor die Entwicklung des weltweit ersten mRNA-Impfstoffs bekannt, der mehrere Coronavirenarten gleichzeitig abdeckt.

Der Wissenschaftler, der 1954 geboren wurde, leistete jedoch auch Pionierarbeit bei den Techniken der sogenannten Reverse Genetics, die es anderen Forschern, einschließlich denen des Wuhan Institute of Virology, ermöglicht haben, Viren mit neuen Fähigkeiten zu entwickeln. Einige Wissenschaftler befürchten, dass die Technik, mit der Coronaviren anhand ihres genetischen Codes neu erschaffen werden können, eine künftige Pandemie auslösen könnte. Barics schärfte Kritiker wie Senator Paul vermuten gar, dass sie erst zur Entstehung oder Freisetzung von SARS-CoV-2 geführt haben könnte.

MIT Technology Review bat Baric, seine Gain-of-Function-Forschung zu erläutern und hat ihm die Frage gestellt, ob sie eine Rolle bei der Pandemie gespielt haben könnte. Das Gespräch wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit gekürzt und bearbeitet.

Technology Review: Nachdem Rand Paul im US-Senat verkündet hat, dass Sie, Herr Baric, "Superviren" schaffen und Gain-of-Function-Experimente durchführen, scheint uns dies ein guter Zeitpunkt, um über Ihre Arbeit zu sprechen.

Ralph Baric: Lassen Sie mich zunächst sagen, dass wir nie ein Supervirus geschaffen haben. Das ist ein Hirngespinst und wird offensichtlich für politische Zwecke benutzt. So wie die sozialen Medien heute funktionieren, wird dieses Märchen leider oft weitergetragen.

Wie definieren Sie selbst Gain-of-Function-Forschung?

Der Mensch hat in den letzten 2.000 Jahren sehr viel Gain of Function betrieben, vor allem bei Pflanzen, bei denen die Bauern immer die ertragreichsten Samen der gesündesten Pflanzen aufbewahrten, um sie im nächsten Jahr wieder auszusäen. Der Grund dafür, dass wir es schaffen, 7 Milliarden Menschen auf dieser Erde zu unterhalten, ist im Wesentlichen eine direkte oder indirekte Gentechnik durch Gain of Function. Die einfache Definition dieser Forschung ist die Einführung einer Mutation, die die Funktion oder Eigenschaft eines Gens verbessert – ein Verfahren, das in der genetischen, biologischen und mikrobiologischen Forschung häufig eingesetzt wird.

In der Virologie wurden in der Vergangenheit Lebendimpfstoffe durch Gain-of-Function-Studien erzeugt, bei denen menschliche Viren für ein verbessertes Wachstum in Zellkulturen angepasst wurden, was die Virulenz des Virus im natürlichen menschlichen Wirt verringerte.

Gain-of-Function-Forschung wird also in der Virologie und Mikrobiologie seit Jahrzehnten als Teil der wissenschaftlichen Methodik verwendet. Doch diese klassische Definition und ihr Zweck änderten sich 2011 und 2012 deutlich, als Forscher in Wisconsin und den Niederlanden ein Projekt zur Erforschung der Übertragbarkeit der Vogelgrippe starteten und dafür Geld bekamen.

Bei diesen Experimenten wurde H5N1 – das eine hohe Sterblichkeitsrate beim Menschen bei gleichzeitig geringer Übertragbarkeit aufweist – hochgradig übertragbar durch die Atemwege gemacht.

Die National Institute of Health (NIH), die US-Medizinaufsicht FDA, die Centers for Disease Control (CDC) und die WHO hielten damals Sitzungen ab, um die Grippebekämpfung zu verbessern. Welche wichtigen Erkenntnisse würden uns besser auf künftige Grippepandemien vorbereiten, die aus tierischen Reservoiren entstehen? Die wichtigste Schlussfolgerung war, dass wir Genetik und Biologie der Grippeentstehung und -übertragung verstehen müssen. Daraufhin riefen die NIH zur Einreichung von Vorschlägen auf.

Zu diesen gehörten besagte zwei Forschergruppen. Sie entdeckten beispielsweise genetische Veränderungen, die die Übertragbarkeit von H5N1 in Frettchen regulierten. Das kam in den Medien gar nicht gut an und Gain-of-Function-Forschung wurde negativ abgestempelt. Tatsächlich aber arbeiteten sie im Rahmen der Interessen der globalen Medizinforschungsgemeinschaft.

Die Gegner argumentierten, dass Wissenschaftler nicht unfehlbar sind, egal wie hoch die Biosicherheit in ihren Labors ist, also selbst BSL-3 oder BSL-4. [Labors werden mit einer Biosicherheitsstufe von 1 bis 4 eingestuft, wobei 4 die höchste Stufe ist, Anm. d. Red.] Menschen machen Fehler, selbst in Hochsicherheitsanlagen. Folglich können die Risiken den Nutzen solcher Experimente überwiegen.

Ich finde, beide Seiten haben nachvollziehbare Argumente.

Neben der Sorge um einen Leak aus dem Labor gab es auch Bedenken, dass das Wissen um die Durchführung solcher Experimente in die falschen Hände geraten könnte.

Das ist sicherlich ein Teil des Problems. Und es gab eine ganze Reihe von Debatten darüber, ob diese Informationen [über genetische Veränderungen im Zusammenhang mit der Grippeübertragung] veröffentlicht werden sollten. In der virologischen Fachliteratur gibt es zwei oder drei Beispiele für Arbeiten, die ein potenzielles Problem darstellen.

Einige sehen meine Arbeit aus dem Jahr 2015 in diesem Licht, obwohl wir nach Rücksprache mit den NIH und dem Publikationsorgan die genetische Sequenz unserer Chimäre in der ursprünglichen Veröffentlichung absichtlich nicht angegeben haben. So blieb unsere genaue Methode im Dunkeln.

[Anm. d. Red.: Baric bezieht sich auf eine Zusammenarbeit mit Zhengli Shi vom Wuhan Institute of Virology (WIV) in China aus dem Jahr 2015, bei der eine so genannte Chimäre durch die Kombination des Spike-Gens eines neuen Fledermausvirus mit dem Grundgerüst eines zweiten Virus geschaffen wurde. Das Spike-Gen bestimmt, wie gut ein Virus an menschliche Zellen andocken kann. Eine ausführliche Erörterung dieser Forschung lesen Sie hier.]

Die Sequenz wurde jedoch nach dem Auftreten der COVID-19-Pandemie wiederholt angefordert, und nach Gesprächen mit den NIH und dem Publikationsorgan wurde sie der Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt. Diejenigen, die diese Sequenzen analysierten, stellten allerdings fest, dass sie sich stark von SARS-CoV-2 unterscheiden.

Wie kam es zu dieser Chimären-Forschung an Coronaviren?

Etwa 2012 oder 2013 hörte ich einen Vortrag von Dr. Shi auf einer Tagung. [Shis Team hatte kürzlich zwei neue Coronaviren in einer Fledermaushöhle entdeckt, die sie SHC014 und WIV1 nannten.] Nach der Tagung unterhielten wir uns. Ich fragte sie, ob sie bereit wäre, die Sequenzen des SHC014- oder des WIV1-Spikes nach ihrer Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen.

Und sie war so freundlich, uns diese Sequenzen fast sofort zu schicken – sogar noch vor ihrer Veröffentlichung. Das war ihr wichtigster Beitrag zu dieser Arbeit. Und wenn ein Kollege Ihnen die Sequenzen schon vorher zur Verfügung stellt, ist eine Mitautorenschaft an der Arbeit angemessen, weshalb sie aufgeführt wird.

Das war die Grundlage für diese Zusammenarbeit. Wir haben den Forschern des WIV weder die Sequenz des chimären Virus noch Klone oder Viren zur Verfügung gestellt – und Dr. Shi oder Mitglieder ihres Forschungsteams haben nie in unserem Labor an der UNC gearbeitet. Und niemand aus meiner Gruppe hat in den Labors des WIV gearbeitet.

Sie hatten allerdings eine Reverse-Genetics-Technik entwickelt, die es Ihnen ermöglicht hat, diese Viren allein anhand der genetischen Sequenz zu synthetisieren.

Ja, aber zu dieser Zeit waren die Kosten für die DNA-Synthese sehr hoch – etwa ein Dollar pro Base [ein DNA-Buchstabe]. Die Synthese eines Coronavirus-Genoms konnte also 30.000 Dollar kosten. Und wir hatten nur die Spike-Sequenz. Allein die Synthese des 4000 Nukleotide umfassenden Spike-Gens kostete also 4.000 Dollar. Dann schleusten wir den authentischen SHC014-Spike in ein replikationskompetentes Backbone ein: einen an die Maus angepassten SARS-Stamm. Das Virus war lebensfähig – und wir entdeckten, dass es sich in menschlichen Zellen vermehren konnte.

Ist das also Gain-of-Function-Forschung? Nun, der Ausgangsstamm des SARS-Coronavirus konnte sich recht effizient in primären menschlichen Zellen replizieren. Die Chimäre konnte auch die Infektion menschlicher Zellen erreichen, aber nicht besser als das Ausgangsvirus. Wir haben also keine Funktion hinzugewonnen, sondern eine Funktion beibehalten. Außerdem war die Chimäre in Mäusen im Vergleich zum mausadaptierten Ausgangsvirus abgeschwächt, so dass dies sogar als Funktionsverlust zu werten wäre.

Einer der Vorwürfe gegen die Gain-of-Function-Forschung – einschließlich dieser Studie – lautet, dass die Arbeit wenig praktischen Wert hat. Würden Sie dem zustimmen?

Nun, 2016 hatten wir mit Hilfe von Chimären und Reverse Genetics genügend SARS-ähnliche Coronaviren mit hohem Risiko identifiziert, um Medikamente mit breit angelegter Wirkung gegen Coronaviren identifizieren und testen zu können. Wir erkannten Remdesivir als das erste breit angelegte antivirale Medikament, das gegen alle bekannten Coronaviren wirkt – und veröffentlichten dazu 2017. Es wurde sofort in Studien am Menschen eingesetzt und wurde das erste von der FDA zugelassene Medikament zur Behandlung von COVID-19-Infektionen weltweit. Ein zweites Medikament mit der Bezeichnung EIDD-2801 oder Molnupiravir erwies sich ebenfalls als wirksam gegen alle bekannten Coronaviren vor der Pandemie im Jahr 2020 und erwies sich dann im März 2020 als wirksam gegen SARS-CoV-2.

Daher bin ich also anderer Meinung. Ich würde die Kritiker fragen, ob sie vor der Pandemie irgendwelche breit wirkenden Coronavirus-Medikamente entdeckt haben. Können sie auf Unterlagen aus ihren Labors verweisen, die einen strategischen Ansatz zur Entwicklung wirksamer Pan-Coronavirus-Medikamente darstellen? Und die sich dann als wirksam gegen unbekannte, neu auftretende Pandemieviren erwiesen haben?

Leider konnte Remdesivir nur durch eine intravenöse Injektion verabreicht werden. Wir waren auf dem Weg zu einer oralen Darreichungsform, aber dann kam die COVID-19-Pandemie. Ich wünschte wirklich, wir hätten schon früh ein Medikament auf oraler Basis gehabt. Das wäre die entscheidende Neuerung, die sowohl den Infizierten in den Entwicklungsländern als auch den Bürgern in den USA helfen würde. Molnupiravir ist ein orales Medikament, das in Phase-3-Studien eine schnelle Kontrolle der Virusinfektion gezeigt hat. Es wurde für eine Notfallzulassung in Indien in Betracht gezogen. Schließlich unterstützte unsere Arbeit auch politische Entscheidungen auf US-Bundesebene, die dann der Grundlagen- und Anwendungsforschung zu Coronaviren Priorität einräumten.

Und was ist mit Impfstoffen?

Zwischen 2018 und 2019 nahm das Vaccine Research Center an den NIH Kontakt mit uns auf, um mit der Erprobung eines auf Boten-RNA basierenden Impfstoffs gegen MERS-CoV [ein Coronavirus, das sich von Kamelen auf Menschen überträgt, Anm. d. Red.] zu beginnen. MERS-CoV ist seit 2012 ein ständiges Problem mit einer Sterblichkeitsrate von 35 % und hat somit ein echtes Potenzial für eine globale Gesundheitsbedrohung.

Anfang 2020 verfügten wir über eine enorme Menge an Daten, die zeigten, dass diese mRNA-Spike-Impfstoffe in dem von uns entwickelten Mausmodell wirklich wirksam vor einer tödlichen MERS-CoV-Infektion schützen. Wenn sie gegen den ursprünglichen SARS-Stamm von 2003 gerichtet wurden, waren sie ebenfalls sehr wirksam. So wurde es den NIH möglich, mRNA-basierte Impfstoffe als sichere und robuste Plattform gegen SARS-CoV-2 zu betrachten und ihnen eine hohe Priorität einzuräumen.

Kürzlich haben wir eine Arbeit veröffentlicht, die zeigt, dass chimärische Multiplex-Spike-mRNA-Impfstoffe vor allen bekannten SARS-ähnlichen Virusinfektionen bei Mäusen schützen. Die weltweiten Bemühungen um die Entwicklung von Impfstoffen gegen alle Sarbecoviren [Sarbecoviren sind die Untergattung, zu der SARS und SARS-CoV-2 gehören, Anm. d. Red.] werden die Manipulation von Viren erfordern, wie sie in der Veröffentlichung von 2015 beschrieben wurden. Wer also behauptet, dass die Arbeit von 2015 nicht gerechtfertigt war, verkennt die Infrastruktur, die zur Entwicklung von Therapeutika und Impfstoffen für COVID-19 und künftige Coronaviren notwendig ist.

Die Arbeit hat nur dann einen Wert, wenn der Nutzen das Risiko überwiegt. Gibt es Sicherheitsstandards, die angewendet werden sollten, um solche Risiken zu minimieren?

Sicherlich. Wir arbeiten bei uns mit dem Standard "BSL-3 plus". Die Mindestanforderungen bei BSL-3 wären eine N95-Maske, Augenschutz, Handschuhe und ein Laborkittel, aber wir tragen tatsächlich undurchlässige Tyvek-Anzüge, Schürzen und Füßlinge und sind doppelt angezogen. Unser Personal trägt Masken mit PAPR-Technik [aktive luftreinigende Atemschutzgeräte], die dem Mitarbeiter eine HEPA-gefilterte Luft zuführen. Wir führen nicht nur alle Forschungsarbeiten in einer biologischen Sicherheitseinheit durch, sondern auch in einer Unterdruckanlage, die über zahlreiche redundante Funktionen und Sicherheitsmaßnahmen verfügt. Jeder Mitarbeiter steckt in seinem eigenen Sicherheitsanzug.

Außerdem führen wir regelmäßig Notfallübungen mit den örtlichen Ersthelfern durch. Wir arbeiten auch mit unserem örtlichen Krankenhaus zusammen. Bei vielen Laborinfektionen wird nie bekannt, was die Infektion ausgelöst hat. Die Menschen werden einfach krank. Man muss also medizinische Überwachungspläne aufstellen, um die Leute zu Hause schnell unter Quarantäne zu stellen, sicherstellen, dass sie Masken tragen und regelmäßig mit einem Arzt auf dem Campus in Kontakt sind.

Sind die von Ihnen beschriebenen Methoden Standard für andere Einrichtungen in den USA und international?

Nein, das glaube ich nicht. An den einzelnen Orten gibt es unterschiedliche Stufen von BSL-3-Sicherheitsmaßnahmen, Betriebssicherheit und Schutzausrüstung. Einiges davon hängt davon ab, wie viel Geld vorhanden ist und an welchen Krankheitserregern in der Einrichtung geforscht wird. Eine N95-Maske ist viel billiger als ein PAPR-System.

Auf internationaler Ebene haben die USA keinen Einfluss darauf, welche Biosicherheit etwa in Laboren in China oder in irgendeinem anderen souveränen Staat eingesetzt wird, geht es nun Coronaviren, Nipah, Hendra oder Ebola.

Das Wuhan Institute of Virology soll chimäre Coronaviren hergestellt haben – mit ähnlichen Techniken wie Sie. Ist das korrekt?

Ich möchte hier klarstellen, dass wir nie einen unserer molekularen Klone oder chimäre Viren nach China geschickt haben. Sie haben ihren eigenen molekularen Klon entwickelt, der auf WIV1 basiert, einem Fledermaus-Coronavirus. In dieses Backbone (Grundgerüst) fügten sie die Spike-Gene anderer Fledermaus-Coronaviren ein, um herauszufinden, wie gut die Spike-Gene dieser Stämme die Infektion menschlicher Zellen erleichtern.

Würden Sie denn das als Gain-of-Function-Forschung bezeichnen?

Ein Ausschuss der NIH entscheidet über solche wissenschaftlichen Arbeiten. Die Regeln für Gain-of-Function-Forschung konzentrieren sich auf Viren mit pandemischem Potenzial und auf Experimente, die die Übertragbarkeit oder Pathogenese von SARS-, MERS- und Vogelgrippestämmen beim Menschen erleichtern könnten. WIV1 unterscheidet sich zu etwa 10 Prozent von SARS. Einige argumentieren, dass der Begriff "SARS-Coronavirus" per Definition alles umfasst, was zur Gattung der Sarbecoronaviren gehört. Nach dieser Definition würden die Chinesen Gain-of-Function-Experimente nach der Definition durchführen, je nachdem, wie sich die Chimäre verhält. Andere argumentieren, dass SARS und WIV1 unterschiedlich sind und die Experimente daher nicht unter diese Definition fallen. Die CDC betrachten SARS und WIV1 zweifellos als unterschiedliche Viren. Nur das SARS-Coronavirus von 2003 ist ein sogenannter Select Agent, der unter besonderer Beobachtung steht. Letztlich entscheidet ein Ausschuss der NIH darüber, was ein Gain-of-Function-Experiment ist und was nicht. [Allerdings natürlich nur für US-Forschung, Anm. d. Red.]

Abgesehen von den Definitionsfragen wissen wir inzwischen, dass die Arbeiten am Wuhan Institute of Virology unter BSL-2-Bedingungen durchgeführt wurden, was eine viel niedrigere Sicherheitsstufe ist als das von Ihnen verwendete "BSL-3 plus". [Das WIV verfügt als erstes chinesischen Labor auch über die viel sichere BSL-4-Technik, verwendete sie bei der SARS-Forschung aber offenbar nicht, Anm. d. Red.]

In der Vergangenheit haben die Chinesen einen großen Teil ihrer Fledermaus-Coronavirus-Forschung unter BSL-2-Bedingungen durchgeführt. Natürlich sind die Sicherheitsstandards bei BSL-2 anders als bei BSL-3 – und im Labor erworbene Infektionen treten bei BSL-2 viel häufiger auf. Außerdem gibt es bei BSL-2 viel weniger Überwachung.

In diesem Jahr erklärte eine gemeinsame Kommission der WHO und Chinas, es sei "äußerst unwahrscheinlich", dass ein Laborunfall SARS-CoV-2 verursacht habe. Später unterzeichneten Sie jedoch zusammen mit anderen führenden Wissenschaftlern einen Brief, in dem eine gründliche Untersuchung aller möglichen Auslöser der Pandemie gefordert wurde. Wie kam es dazu?

Einer der Gründe, warum ich den Brief in "Science" unterzeichnet habe, war, dass im WHO-Bericht nicht wirklich erörtert wird, wie im WIV-Labor gearbeitet wurde oder welche Daten das Expertengremium geprüft hat, um zu dem Schluss zu kommen, dass es "äußerst unwahrscheinlich" sei, dass ein Laborausbruch oder eine Infektion im Labor die Ursache der Pandemie war.

Es muss einfach anerkannt werden, dass eine Laborinfektion unter BSL-2-Betriebsbedingungen stattgefunden haben könnte. Bislang unbekannte Viren aus Guano oder Maulabstrichen von Fledermäusen könnten sich vermehrt haben oder mit anderen Viren rekombinieren, so dass neue Stämme mit einzigartigen und unvorhersehbaren biologischen Eigenschaften entstehen. [Das WIV hat die größte Sammlung an Fledermausviren weltweit, Anm. d. Red.]

Und wenn all diese Forschungen unter BSL-2 durchgeführt werden, stellen sich einige Fragen, die geklärt werden müssten. Wie sind die Standards im BSL-2-Bereich geregelt? Welche Schulungsunterlagen des Personals gab es? Gibt es eine Vorgeschichte von Infektionen im Labor und wie wurden sie untersucht und abgestellt? Welche Biosicherheitsverfahren wurden entwickelt, um solche Ereignisse zu verhindern?

Da die Mitarbeiter mitten in der Gesellschaft leben, werden sie sich natürlich auch mit Krankheitserregern aus der Gesellschaft infizieren. Atemwegsinfektionen treten häufig auf. Niemand ist davon ausgenommen. Welche Biosicherheitsverfahren werden am WIV eingesetzt, um mit diesen Komplikationen umzugehen? Werden Mitarbeiter, die Fieber bekommen, zuhause mit N95-Masken unter Quarantäne gestellt? Oder arbeiten sie weiter im Labor? Welche Verfahren gibt es zum Schutz der Umgebung oder der örtlichen Krankenhäuser, wenn eine exponierte Person aus dem WIV erkrankt? Nutzen die Mitarbeiter den öffentlichen Nahverkehr?

Dies sind nur einige der Fragen, die in dem WHO-Dokument hätten beantwortet werden müssen, um verwertbare Daten für die Bewertung der Wahrscheinlichkeit einer im Labor erworbenen Infektion zu liefern.

Hätten man diese Experimente in einem BSL-2-Labor durchführen dürfen?

Ich würde das nicht tun. Allerdings lege ich nicht die Standard für die Vereinigten Staaten oder ein anderes Land fest. Von diesen und anderen SARS-ähnlichen Fledermausviren, die in menschliche Zellen eindringen können, geht aber definitiv ein gewisses Risiko aus.

Wir wissen auch, dass Menschen, die in der Nähe von Fledermaushöhlen leben, positiv auf Antikörper gegen SARS-ähnliche Fledermausviren getestet wurden, so dass einige dieser Viren eindeutig Menschen infizieren können. Wir wissen zwar nicht, ob sie tatsächlich eine schwere Krankheit verursachen oder von Mensch zu Mensch übertragen werden können, aber bei der Arbeit mit diesen Krankheitserregern ist erhöhte Vorsicht geboten.

Als souveräner Staat entscheidet China selbst über die Bedingungen und Verfahren für die Biosicherheit in seiner Forschung, sollte aber wie jeder andere Staat, der biologische Forschung unter Hochsicherheitsbedingungen betreibt, auch für diese Entscheidungen verantwortlich gemacht werden können. Wenn andere Länder BSL-3-Einrichtungen entwickeln und mit der Hochsicherheitsforschung beginnen, muss jedes Land grundsätzliche Entscheidungen darüber treffen, welche Art von Sicherheitsvorkehrungen es für die verschiedenen Viren und Bakterien verwendet und welche grundlegenden Verfahren der Biosicherheit verwendet werden.

Das ist eine ernste Angelegenheit. Es muss globale Standards geben, insbesondere für noch nicht ausreichend untersuchte neue Viren. Wenn man Hunderte verschiedener Fledermausviren unter BSL-2-Bedingungen untersucht, kann einem das Glück irgendwann ausgehen.

Glauben Sie, dass das bei den Forschern in Wuhan so war?

Die Möglichkeit eines versehentlichen Entweichens von Viren bleibt bestehen und kann nicht ausgeschlossen werden. Daher sind weitere Untersuchungen und echte Transparenz von entscheidender Bedeutung. Aber ich persönlich bin der Meinung, dass SARS-CoV-2 ein natürlicher Erreger ist, der aus Wildtieren hervorgegangen ist. Seine engsten Verwandten sind Fledermausstämme. Historische Präzedenzfälle sprechen dafür, dass alle anderen menschlichen Coronaviren von Tieren abstammen. Unabhängig davon, wie viele Fledermausviren im WIV gelagert wurden, die Natur hat noch viel, viel mehr.

Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine belastbaren und verwertbaren Daten, die dafür sprechen, dass das Virus manipuliert wurde und dann aus dem Labor entfleucht ist. Da die Pathogenese von SARS-CoV-2 so komplex ist, ist der Gedanke, dass irgendjemand es genau so manipuliert haben könnte, geradezu grotesk.

Wenn man die Vielfalt der in der Natur vorkommenden SARS-verwandten Stämme kennt, ist es nicht schwer, sich einen Stamm vorzustellen, der die komplexen und unvorhersehbaren biologischen Eigenschaften von SARS-CoV-2 aufweist. Als Wissenschaftler neigen wir dazu, Experimente durchzuführen, die Literatur zu lesen und dann zu glauben, wir wüssten, wie die Natur funktioniert. Anhand von ein oder zwei Beispielen treffen wir dann definitive Aussagen darüber, wie Coronaviren aus tierischen Reservoiren entstanden sein sollen. Aber die Natur hat viele Geheimnisse und unser Wissen ist begrenzt. Oder wie es in "Game of Thrones" heißt: "Du weißt nichts, Jon Snow."

Gibt es außer dem WIV und Ihnen noch andere Gruppen, die Coronaviren manipulieren?

Vor COVID-19 gab es weltweit wahrscheinlich drei bis vier große Gruppen. Das hat sich dramatisch verändert. Jetzt ist die Zahl der Labore, die sich mit der Genetik von Coronaviren befassen, wahrscheinlich drei- oder viermal so hoch und nimmt weiter zu. Dieser Wildwuchs ist beunruhigend, weil vielen unerfahrenen Gruppen weltweit ermöglicht wird, nun selbst Entscheidungen über die Herstellung und Isolierung von Chimären oder natürlichen zoonotischen Viren zu treffen.

Mit "unerfahren" meine ich, dass dieser Forschungsgruppen Erkenntnisse und Techniken auf dem Gebiet der Coronaviren anwenden, aber dabei vielleicht mit weniger Respekt vor dem inhärenten Risiko herangehen, das von dieser Gruppe von Krankheitserregern ausgeht. Derzeit werden Chimären für die sogenannten Variants of Concern [etwa die Delta-Variante, Anm. d. Red.] hergestellt – und jede dieser Chimären liefert neue Erkenntnisse über die Übertragbarkeit und Pathogenese beim Menschen.

Also trägt das Virus selbst zum Gain-of-Function-Wissen bei?

Das Virus ist ein Meister darin, bessere Wege zu finden, um im menschlichen Körper erfolgreicher zu werden. Und jede dieser SARS-CoV-2-Varianten übertrifft die alten Varianten und offenbart die zugrunde liegende Genetik, die die höhere Übertragbarkeit und/oder Pathogenese reguliert. Und diese Informationen werden in Echtzeit und am Menschen gewonnen, im Gegensatz zu dem besagten [und umstrittenen, Anm. d. Red.] Vogelgrippe-Übertragungsszenario, das unter kontrollierten künstlichen Bedingungen an Frettchen durchgeführt wurde. Ich würde behaupten, dass diese in Echtzeit gewonnenen Fähigkeiten relevanter und vielleicht auch beunruhigender sind als die Forschung, die in Tiermodellen unter Hochsicherheitsbedingungen durchgeführt wurde.

Mit unseren heutigen wissenschaftlichen Möglichkeiten kann jedes neu auftretende Virus, das in der Zukunft einen Ausbruch verursacht, mit großer Granularität untersucht werden. Das ist bislang beispiellos. Jedes dieser Viren könnte ein Rezept für eine potenzielle "Dual Use"-Verwendung liefern. [Biologische "Dual Use"-Forschung ist Forschung, die sowohl zur Entwicklung von Therapien als auch zur Herstellung von Biowaffen eingesetzt werden könnte, Anm. d. Red.]

Gibt es noch etwas, das Sie nachts wach hält?

Die Anzahl zoonotischer Coronaviren, die sich anschicken, die Artengrenze zu überspringen, gibt Anlass zu großer Sorge. Das wird nicht weggehen. Außerdem ist die Biologie dieser Virusart so beschaffen, dass die Virulenz wahrscheinlich eher noch zunehmen als abnehmen wird, zumindest auf kurze Sicht.

Warum ist das so?

Die Übertragung findet früh statt, während schwere Erkrankungen erst spät auftreten, nachdem das Virus aus dem Körper ausgeschieden wurde. Das bedeutet, dass Übertragung, schwere Krankheit und Tod biologisch teilweise entkoppelt sind. Folglich schadet es dem Virus nicht, seine Virulenz zu erhöhen. Wenn Sie zu den Menschen gehören, die dem Impfstoff abwartend gegenüber stehen, steigt Ihr Risiko mit jeder neuen Variante. Diese Varianten sind gefährlich. Sie wollen sich vermehren und ausbreiten und zeigen eine erhöhte Pathogenese, sogar bei jüngeren Erwachsenen. Sie kümmern sich wenig um die Gesundheit der Menschen oder das Wohlergehen ihrer Familien. Sie sollten sich also impfen lassen.

Das ist das Traurigste an dieser Pandemie. Damit unser öffentliches Gesundheitswesen wirksam reagieren kann, müssen wir als nationale und globale Gemeinschaft mit einer Stimme sprechen. Wir müssen an unser Gesundheitssystem und seine Möglichkeiten glauben. Politik hat in einer Pandemie nichts zu suchen, aber genau das ist es, was wir am Ende dann hatten – politisch motivierte Botschaften, die nicht mit einer Stimme sprachen.

Wie hat sich das für die Vereinigten Staaten von Amerika ausgewirkt? Waren Coronatests schnell verfügbar? Nein! Haben wir die zwei bis drei Monate von Januar bis März 2020 genutzt, um die Krankenhäuser mit persönlicher Sicherheitsausrüstung oder Atemschutzmasken auszustatten? Nein. Vielmehr erhielten die Amerikaner von der Regierung die Mitteilung, dass das Virus nicht gefährlich sei, dass es wieder verschwinden werde oder dass es im Sommer abstirbt. Es gab Gerüchte, dass das Tragen von Masken schädlich sei – oder dass unbewiesene Medikamente ein Wundermittel darstellten.

Manche sagen, die wahre Tragödie seien die Hunderttausende von Amerikanern, die nicht hätten sterben müssen, weil die fantastischste Nation der Erde nicht einheitlich und wissenschaftlich fundiert auf eine Pandemie reagiert hat. Taiwan reagierte mit einheitlichen Regeln im öffentlichen Gesundheitswesen und verzeichnete anfangs nur eine Handvoll Infektionen und wenige Todesfälle. Die USA waren weltweit an der Spitze bei den Corona-Toten und der Zahl der Erkrankungen. Warum werden die Versäumnisse, die zum Tod von Hunderttausenden von Amerikanern geführt haben, nicht gründlich untersucht?

(bsc)