US-Coronavirus-Forscher: "Haben nie ein Supervirus geschaffen"

Ralph Baric hat mit dem Wuhan Institute of Virology an Coronaviren geforscht. Eine seiner bekanntesten Studien wird missverstanden, sagt er im Interview.

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Ralph Baric von der University of North Carolina hat Coronaviren im Labor verändert, um ihre Gefährlichkeit für den Menschen zu untersuchen.

(Bild: Megan May/UNC Research)

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Lesezeit: 28 Min.
Von
  • Rowan Jacobsen
Inhaltsverzeichnis

Im Mai geriet der langjährige Coronavirus-Forscher Ralph Baric in den Mittelpunkt einer erhitzten Debatte um die sogenannte Gain-of-Function-Forschung. Dabei geben Wissenschaftler bereits vorhandenen Viren neue Funktionen, die sie potenziell gefährlicher machen. Während einer Anhörung im US-Kongress deutete Senator Rand Paul aus Kentucky an, dass die National Institutes of Health (NIH) solche Forschungen sowohl am Wuhan Institute of Virology, das im Mittelpunkt der Lab-Leak-Theorie um SARS-CoV-2 steht, als auch in Barics Labor an der University of North Carolina (UNC) finanzieren und dass beide Labors sogar zusammenarbeiten, um "Superviren" herzustellen.

Baric damals gab eine Erklärung ab, in der er klarstellte, dass die fraglichen Forschungen laut NIH nicht als Gain of Function gelten, dass keines der SARS-ähnlichen Coronaviren, die er in den Experimenten verwendet hatte, eng mit SARS-CoV-2 verwandt war und dass seine Zusammenarbeit mit dem Wuhan Institute of Virology "minimal" gewesen sei.

Dies konnte jedoch Fragen nach der Rolle von Barics Forschung an Methoden, die der Wissenschaft helfen, Coronaviren auf potenziell gefährliche Weise zu verändern, nicht ausräumen. Solche Themen beschäftigen Baric seit 2014, als er zum widerwilligen Sprecher für die Gain-of-Function-Forschung wurde, nachdem das NIH ein Moratorium für solche Experimente verkündet hatte, weil man damals nicht wusste, ob sie ein Sicherheitsproblem darstellen.

Baric selbst ist der Ansicht, dass seine Forschung für die Entwicklung von Impfstoffen und anderen Maßnahmen gegen neu auftretende Viren unerlässlich ist. Er ist seit mehr als 20 Jahren an dem Thema dran. Die Arbeit hat ihn zum führenden US-Experten für Coronaviren gemacht und sein Hochsicherheitslabor an der UNC ist ein Zentrum der Forschung an dem Pandemieauslöser. Hier wurden etwa zahlreiche Arzneimittelkandidaten für andere Forscher getestet, die nicht über die nötige Biosicherheitsausrüstung oder das nötige Fachwissen verfügen.

Barics Forschung legte einst den Grundstein für das erste zugelassene Medikament gegen Kuhpocken und trug dazu bei, die Entwicklung der mRNA-Impfstoffe zu beschleunigen, die sich als so entscheidend erwiesen haben. Vor kurzem gab sein Labor die Entwicklung des weltweit ersten mRNA-Impfstoffs bekannt, der mehrere Coronavirenarten gleichzeitig abdeckt.

Der Wissenschaftler, der 1954 geboren wurde, leistete jedoch auch Pionierarbeit bei den Techniken der sogenannten Reverse Genetics, die es anderen Forschern, einschließlich denen des Wuhan Institute of Virology, ermöglicht haben, Viren mit neuen Fähigkeiten zu entwickeln. Einige Wissenschaftler befürchten, dass die Technik, mit der Coronaviren anhand ihres genetischen Codes neu erschaffen werden können, eine künftige Pandemie auslösen könnte. Barics schärfte Kritiker wie Senator Paul vermuten gar, dass sie erst zur Entstehung oder Freisetzung von SARS-CoV-2 geführt haben könnte.

MIT Technology Review bat Baric, seine Gain-of-Function-Forschung zu erläutern und hat ihm die Frage gestellt, ob sie eine Rolle bei der Pandemie gespielt haben könnte. Das Gespräch wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit gekürzt und bearbeitet.

Technology Review: Nachdem Rand Paul im US-Senat verkündet hat, dass Sie, Herr Baric, "Superviren" schaffen und Gain-of-Function-Experimente durchführen, scheint uns dies ein guter Zeitpunkt, um über Ihre Arbeit zu sprechen.

Ralph Baric: Lassen Sie mich zunächst sagen, dass wir nie ein Supervirus geschaffen haben. Das ist ein Hirngespinst und wird offensichtlich für politische Zwecke benutzt. So wie die sozialen Medien heute funktionieren, wird dieses Märchen leider oft weitergetragen.

Wie definieren Sie selbst Gain-of-Function-Forschung?

Der Mensch hat in den letzten 2.000 Jahren sehr viel Gain of Function betrieben, vor allem bei Pflanzen, bei denen die Bauern immer die ertragreichsten Samen der gesündesten Pflanzen aufbewahrten, um sie im nächsten Jahr wieder auszusäen. Der Grund dafür, dass wir es schaffen, 7 Milliarden Menschen auf dieser Erde zu unterhalten, ist im Wesentlichen eine direkte oder indirekte Gentechnik durch Gain of Function. Die einfache Definition dieser Forschung ist die Einführung einer Mutation, die die Funktion oder Eigenschaft eines Gens verbessert – ein Verfahren, das in der genetischen, biologischen und mikrobiologischen Forschung häufig eingesetzt wird.

In der Virologie wurden in der Vergangenheit Lebendimpfstoffe durch Gain-of-Function-Studien erzeugt, bei denen menschliche Viren für ein verbessertes Wachstum in Zellkulturen angepasst wurden, was die Virulenz des Virus im natürlichen menschlichen Wirt verringerte.

Gain-of-Function-Forschung wird also in der Virologie und Mikrobiologie seit Jahrzehnten als Teil der wissenschaftlichen Methodik verwendet. Doch diese klassische Definition und ihr Zweck änderten sich 2011 und 2012 deutlich, als Forscher in Wisconsin und den Niederlanden ein Projekt zur Erforschung der Übertragbarkeit der Vogelgrippe starteten und dafür Geld bekamen.

Bei diesen Experimenten wurde H5N1 – das eine hohe Sterblichkeitsrate beim Menschen bei gleichzeitig geringer Übertragbarkeit aufweist – hochgradig übertragbar durch die Atemwege gemacht.

Die National Institute of Health (NIH), die US-Medizinaufsicht FDA, die Centers for Disease Control (CDC) und die WHO hielten damals Sitzungen ab, um die Grippebekämpfung zu verbessern. Welche wichtigen Erkenntnisse würden uns besser auf künftige Grippepandemien vorbereiten, die aus tierischen Reservoiren entstehen? Die wichtigste Schlussfolgerung war, dass wir Genetik und Biologie der Grippeentstehung und -übertragung verstehen müssen. Daraufhin riefen die NIH zur Einreichung von Vorschlägen auf.

Zu diesen gehörten besagte zwei Forschergruppen. Sie entdeckten beispielsweise genetische Veränderungen, die die Übertragbarkeit von H5N1 in Frettchen regulierten. Das kam in den Medien gar nicht gut an und Gain-of-Function-Forschung wurde negativ abgestempelt. Tatsächlich aber arbeiteten sie im Rahmen der Interessen der globalen Medizinforschungsgemeinschaft.

Die Gegner argumentierten, dass Wissenschaftler nicht unfehlbar sind, egal wie hoch die Biosicherheit in ihren Labors ist, also selbst BSL-3 oder BSL-4. [Labors werden mit einer Biosicherheitsstufe von 1 bis 4 eingestuft, wobei 4 die höchste Stufe ist, Anm. d. Red.] Menschen machen Fehler, selbst in Hochsicherheitsanlagen. Folglich können die Risiken den Nutzen solcher Experimente überwiegen.

Ich finde, beide Seiten haben nachvollziehbare Argumente.

Neben der Sorge um einen Leak aus dem Labor gab es auch Bedenken, dass das Wissen um die Durchführung solcher Experimente in die falschen Hände geraten könnte.

Das ist sicherlich ein Teil des Problems. Und es gab eine ganze Reihe von Debatten darüber, ob diese Informationen [über genetische Veränderungen im Zusammenhang mit der Grippeübertragung] veröffentlicht werden sollten. In der virologischen Fachliteratur gibt es zwei oder drei Beispiele für Arbeiten, die ein potenzielles Problem darstellen.

Einige sehen meine Arbeit aus dem Jahr 2015 in diesem Licht, obwohl wir nach Rücksprache mit den NIH und dem Publikationsorgan die genetische Sequenz unserer Chimäre in der ursprünglichen Veröffentlichung absichtlich nicht angegeben haben. So blieb unsere genaue Methode im Dunkeln.

[Anm. d. Red.: Baric bezieht sich auf eine Zusammenarbeit mit Zhengli Shi vom Wuhan Institute of Virology (WIV) in China aus dem Jahr 2015, bei der eine so genannte Chimäre durch die Kombination des Spike-Gens eines neuen Fledermausvirus mit dem Grundgerüst eines zweiten Virus geschaffen wurde. Das Spike-Gen bestimmt, wie gut ein Virus an menschliche Zellen andocken kann. Eine ausführliche Erörterung dieser Forschung lesen Sie hier.]

Die Sequenz wurde jedoch nach dem Auftreten der COVID-19-Pandemie wiederholt angefordert, und nach Gesprächen mit den NIH und dem Publikationsorgan wurde sie der Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt. Diejenigen, die diese Sequenzen analysierten, stellten allerdings fest, dass sie sich stark von SARS-CoV-2 unterscheiden.

Wie kam es zu dieser Chimären-Forschung an Coronaviren?

Etwa 2012 oder 2013 hörte ich einen Vortrag von Dr. Shi auf einer Tagung. [Shis Team hatte kürzlich zwei neue Coronaviren in einer Fledermaushöhle entdeckt, die sie SHC014 und WIV1 nannten.] Nach der Tagung unterhielten wir uns. Ich fragte sie, ob sie bereit wäre, die Sequenzen des SHC014- oder des WIV1-Spikes nach ihrer Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen.

Und sie war so freundlich, uns diese Sequenzen fast sofort zu schicken – sogar noch vor ihrer Veröffentlichung. Das war ihr wichtigster Beitrag zu dieser Arbeit. Und wenn ein Kollege Ihnen die Sequenzen schon vorher zur Verfügung stellt, ist eine Mitautorenschaft an der Arbeit angemessen, weshalb sie aufgeführt wird.

Das war die Grundlage für diese Zusammenarbeit. Wir haben den Forschern des WIV weder die Sequenz des chimären Virus noch Klone oder Viren zur Verfügung gestellt – und Dr. Shi oder Mitglieder ihres Forschungsteams haben nie in unserem Labor an der UNC gearbeitet. Und niemand aus meiner Gruppe hat in den Labors des WIV gearbeitet.