US-Wahlen 2024: Welche Technologien auf sie Einfluss nehmen könnten

Generative KI, digitale Zensur und "Mikro-Influencer": Das sind nur drei der Entwicklungen, die die Demokratien in diesem Jahr prägen könnten.

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(Bild: 3dfoto/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Tate Ryan-Mosley
Inhaltsverzeichnis

Die Vorwahlen in Iowa am 15. Januar waren der offizielle Startschuss für die amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2024. Doch auf der ganzen Welt stehen in diesem Jahr wichtige demokratische Entscheidungen an: Mehr als 40 nationale Wahlen finden statt, was 2024 zu einem der wichtigsten Wahljahre in der Geschichte machen könnte. Technologie hat bei Wahlen immer eine Rolle gespielt – und auch im politischen Diskurs. Außerdem verwenden viele Parteien und Kandidaten schon seit mehreren Jahren Big-Data-Verfahren, um mehr über die Wähler zu erfahren und sie gezielter anzusprechen. In diesem Bereich gibt es jedoch enorme Veränderungen – und ein Grund ist der zunehmende Einsatz künstlicher Intelligenz. Die Schnittstelle zwischen Technologie, Wirtschaft, Informatik und Medien verändert sich unglaublich schnell. Drei Technologietrends stechen besonders hervor, die MIT Technology Review im Folgenden analysiert hat.

Es überrascht vielleicht nicht, dass die generative künstliche Intelligenz den ersten Platz auf unserer Liste einnimmt. Zweifellos wird KI, die Texte oder Bilder generiert, für deutlich mehr Falschinformationen – auch bewusster Art – im politischen Bereich sorgen. Noch ist unklar, wie sich dies praktisch äußern wird. Die Bürgerrechtsorganisation Freedom House hat die Möglichkeiten kürzlich am Beispiel Venezuela demonstriert. Dort verbreiteten Staatsmedien "beispielsweise regierungsfreundliche Botschaften durch KI-generierte Videos von Nachrichtensprechern eines nicht existierenden internationalen englischsprachigen Senders". Sie wurden mit der Software Synthesia produziert, die maßgeschneiderte Deepfakes herstellt. Auch in den Vereinigten Staaten haben KI-manipulierte Videos und Bilder von Politikern in den sozialen Medien bereits die Runde gemacht.

Dazu gehören Vorfälle wie ein Video, das so manipuliert wurde, dass der aktuelle Präsident Joe Biden angeblich transphobe Kommentare abgibt oder von der Teilnahme an Wahlen abrät. Oder ein Foto von Ex-Präsident Donald Trump, der den unter Konservativen ungeliebten COVID-19-Koordinator Anthony Fauci umarmt. Man kann sich leicht vorstellen, wie solche Fakes die Wahlentscheidung eines Wählers ändern oder Menschen davon abhalten könnte, überhaupt zu wählen. Ein Beispiel sind auch die jüngsten Präsidentschaftswahlen in Argentinien.

Generative KI wird nicht nur im Wahlkampf Desinformationen verbreiten; die Technologie könnte auch auf unerwartete Weise eingesetzt werden. Dazu gehören extrem realistisch wirkende Robocalls, also automatisierte Anrufe von Wählern, wie sie in den USA von vielen Kandidaten eingesetzt werden. Vergangenen Monat kündigte Shamaine Daniels, eine demokratische Kongresskandidatin aus Pennsylvania, an, dass ihre Kampagne das Wahlkampf-KI-System "Ashley" einsetzen wird, um mehr Wähler "im persönlichen Gespräch" zu erreichen. Eine Lobbygruppe (Super-PAC) hat unterdessen angekündigt, einen KI-Chatbot ("Dean.Bot") einsetzen zu wollen, um dem demokratischen Biden-Herausforderer Dean Phillips Vorteile zu verschaffen.

Sogenannte Mikro-Influencer, also Menschen mit einer bedeutsamen, aber nicht extrem großen Anhängerschaft in den sozialen Medien, könnten im Wahlkampf künftig eine wichtige Rolle spielen. Der Einsatz von Influencern in der politischen Kommunikation ist an sich nicht neu. Michael Bloombergs kurzlebige Präsidentschaftskampagne spielte damit, große Influencer dazu zu bringen, Memes in seinem Namen zu posten. Die Stadt Minneapolis plante, lokale Influencer dafür zu bezahlen, für friedlichere Demonstrationen zu werben. Und die US-Regierung versuchte schließlich, mit Influencern mehr Menschen zu einer COVID-19-Impfung zu bewegen.

Forscher glauben, dass die US-Präsidentschaftswahlen 2024 die ersten ihrer Art sind, bei denen Mikro-Influencer in großem Umfang eingesetzt werden, die sich normalerweise nicht mit Politik beschäftigen. Es seien Personen, die sich ein kleines, spezifisches und stark mit ihrem Content interagierendes Publikum aufgebaut haben, das oft aus einer bestimmten Bevölkerungsgruppe besteht. Das scheint zu funktionieren: In Wisconsin zum Beispiel könnte eine solche Mikro-Influencer-Kampagne zu einer Rekordbeteiligung bei den Wahlen zum Obersten Gerichtshof des Bundesstaates im vergangenen Jahr beigetragen haben. Diese Strategie ermöglicht es Kampagnen, eine bestimmte Gruppe von Menschen über einen Botschafter zu erreichen, dem sie bereits vertrauen. Und solche Mikro-Influencer posten nicht nur für Geld (oder sogar ohne), sondern helfen den Kampagnen auch, ihr Publikum und ihre Plattformen besser zu verstehen.

Diese neue Mikro-Influencer-Strategie scheint sich allerdings – zumindest in den USA – in einer rechtlichen Grauzone zu bewegen. Derzeit gibt es dort keine klaren Regeln dafür, wie solche Personen bezahlte Beiträge und indirekte Reklame für politische Kandidaten und Ziele offenlegen müssen. Was passiert etwa, wenn ein Influencer über die Teilnahme an einer Wahlkampfveranstaltung berichtet, der Beitrag selbst aber nicht gesponsert ist? Die US-Wahlaufsicht Federal Election Commission hat daher einen Leitfaden ausgearbeitet, doch bindend ist der bisher nicht. Der Trend erreicht auch andere Länder, etwa in Europa oder in Indien, worüber erst kürzlich im Magazin Wired berichtet wurde.

Die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung durch politische Akteure ist natürlich nicht neu, aber sie nimmt zu. Sie wird zudem immer zielgenauer und ergänzt um technische Überwachung, der gezielten Ansprache von Personen im Internet und der staatlichen Kontrolle ganzer Online-Domains. Der jüngste Bericht von Freedom House über den Stand der Freiheit im Internet zeigt, dass generative KI bereits jetzt Zensur unterstützt und autoritäre Regierungen ihre Kontrolle über die Internet-Infrastruktur ausweiten. Auch komplette Netzabschaltungen sind auf dem Vormarsch.

Wie die "Financial Times" kürzlich berichtete, verschärft die aktuelle türkische Regierung die Internetzensur im Vorfeld der Wahlen im März, indem sie die Internetanbieter anweist, den Zugang zu VPNs zu beschränken. Ganz allgemein wird die digitale Zensur zu einem entscheidenden Thema für die Menschenrechte und zu einer zentralen Waffe in den Kriegen der Zukunft. Man denke nur an die extremen Maßnahmen im Iran während der Proteste des Jahres 2022 oder an die Teilabschaltung des Internets durch die Regierung in Äthiopien.

Wir alle sollten den Technologiebereich also in diesem Jahr genau im Auge behalten – er könnte die Demokratie stärker bestimmen, als es uns lieb ist.

(jle)