Ukraine-Krieg: Wie Social Media nicht zur Fake-News-Schleuder wird

Im Netz tauchen nach der russischen Invasion viele Falschmeldungen auf. Nutzer sozialer Medien müssen lernen, sie nicht auch noch zu verbreiten. Ein Ratgeber.

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(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Abby Ohlheiser
Inhaltsverzeichnis

Die Flut der Online-Nachrichten über die russische Invasion in die Ukraine seit dem vergangenen Mittwoch folgt einem Muster, das aus anderen Krisen, die die Welt in den letzten Jahren durchmachen musste, bekannt ist: Fotos, Videos und andere Informationen werden viel schneller in den sozialen Medien gepostet und geteilt, als sie gegengecheckt werden könnten.

Das Ergebnis ist die Verbreitung von Unwahrheiten (auch) durch wohlmeinende Menschen. Und dies kann wiederum problematischen Akteuren dabei helfen, unschuldige Menschen zu terrorisieren, problematische Ideologien zu verbreiten und damit echten Schaden anzurichten.

Die Desinformation ist zentraler Bestandteil der Kampagne der russischen Regierung zur Rechtfertigung ihrer Invasion. Russland behauptete beispielsweise, dass die ukrainischen Streitkräfte im Donbass, einer Region im Südosten des Landes, in der viele pro-russisch orientierte Menschen mit separatistischen Bestrebungen leben, gewalttätige Angriffe planten, Leute beschießen und sogar Völkermord begingen. Gefälschte Videos von solchen Angriffen wurden Teil einer Propaganda-Kampagne im Inland.

Mittlerweile kommt es immer häufiger vor, dass auch Personen, die nicht an solchen Regierungskampagnen beteiligt sind, absichtlich irreführende oder falsche Informationen über die Invasion verbreiten, um bestimmte ideologische Narrative zu befördern oder einfach nur Klicks zu generieren. Der Schaden, der dabei entsteht, scheint ihnen egal zu sein. In wieder anderen Fällen werden einfach unwillentlich Fehler gemacht, die im Nebel des Krieges auftreten können – sie werden verbreitet und gehen viral. Und Fake News über die russische Invasion haben insbesondere ein großes Publikum auf Plattformen gefunden, die grundlegend darauf ausgelegt sind, Inhalte zu verbreiten, die sogenanntes Engagement erzeugen – also Inhalte, mit denen sich Nutzer besonders intensiv beschäftigen, sie kommentieren, liken und weiterleiten.

Propaganda und Fehlinformationen werden oft unbeabsichtigt verstärkt, wenn Menschen mit einer Flut von Eilmeldungen konfrontiert werden und dann mit viralen Posts über schlimme Ereignisse interagieren. Aber das muss nicht sein. Ein kurzer Leitfaden soll zeigen, wie man vermeiden kann, selbst zur Fake-News-Schleuder zu werden.

Machen Sie sich zunächst bewusst, dass das, was Sie online tun, Einfluss hat. "Die Leute denken oft, dass das, was sie im Netz veranstalten, keine Rolle spielt, weil sie keine Influencer, Politiker oder Journalisten sind", so Whitney Phillips, Assistenzprofessorin für Kommunikations- und Rhetorikstudien an der Syracuse University, schon im Jahr 2020. Aber es spielt eine Rolle. Die Weitergabe zweifelhafter Informationen selbst an einen kleinen Kreis von Freunden und Familienmitgliedern kann zu ihrer weiteren Verbreitung führen.

Während sich ein Ereignis hoher Tragweite entwickelt, können wohlmeinende Menschen einen Beitrag in den sozialen Medien zitieren, ihn retweeten oder auf andere Art teilen – und zwar nur, um gegen dessen Inhalt zu argumentieren. Twitter und Facebook haben zwar verbesserte Nutzungsregeln, smartere Moderationstaktiken und genauere Bestimmungen zum Fact-Checking eingeführt, um Falschinformationen zu bekämpfen. Wenn man jedoch mit Fake News – auch kritisch – interagiert, besteht die Gefahr, dass man den Inhalt, den man kritisiert, für die Algorithmen der Plattformen interessanter macht. Anstatt direkt auf einen Beitrag einzugehen, von dem Sie wissen, dass er falsch ist, sollten Sie ihn zur Überprüfung durch die Plattform, auf der Sie ihn gesehen haben, einreichen.

Mike Caulfield, Experte für digitale Medienkompetenz, hat eine Methode zur Bewertung von Online-Informationen entwickelt, die er SIFT nennt: "Stop, Investigate, Find, Trace". Entsprechend soll man zunächst innehalten, die Quelle einer Nachricht untersuchen, eine weitergehende Berichterstattung suchen und Behauptungen, Zitate und Medien in ihrem ursprünglichen Kontext lesen, also Meldungen zurückverfolgen. Wenn es um Nachrichten über das Thema Ukraine geht, sollte der Schwerpunkt auf "Innehalten" liegen, bevor man auf das, was man liest, reagiert oder es teilt.

"Es gibt einfach den menschlichen Impuls, die erste Person in einer Gruppe zu sein, die eine Nachricht verbreitet", sagt Caulfield. Man ist darauf geradezu stolz. Und obwohl dieser Impuls eine alltägliche Gefahr für die Arbeit von Journalisten darstellt, trifft sie mittlerweile auf jeden zu, der soziale Medien nutzt – insbesondere in Momenten der Informationsüberflutung.

Auch die Quelle ist und bleibt wichtig. Retweeten Sie nicht einfach alles, was Sie sehen und was aus der Ukraine zu sein scheint. Teilen Sie nur Informationen von authentischen Kanälen. Journalisten – Menschen, deren Job die Informationsverarbeitung ist – arbeiten daran, TikTok-Videos zu verifizieren, die russische Militärbewegungen zeigen. Sie leiten auch Tweets von Personen weiter, die in der Ukraine zu sein scheinen und ihre eigene Geschichte dokumentieren.

Doch selbst dann raten Experten zu besonderer Vorsicht. Die Desinformationsforscherin Kate Starbird gab auf Twitter Tipps dazu, wie man Social-Media-Posts über den Ukraine-Krieg verifizieren kann – und wies dabei darauf hin, dass dies eine Situation ist, in der sich selbst zuverlässige Quellen innerhalb des eigenen Netzwerks weniger gut überprüfen lassen.