Ukraine-Krieg: Wie Social Media nicht zur Fake-News-Schleuder wird

Seite 2: Der Impuls "eigene Nachforschungen anzustellen"

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Wenn Sie diesen Leitfaden lesen, sind Sie wahrscheinlich kein Nachrichtenjournalist oder Experte für die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland. Doch genau die warnen davor, jetzt so zu tun, als seien Sie einer, indem Sie Informationen, die Sie online finden, auswerten und dann verbreiten, als wüssten Sie von was Sie sprechen. Es ist zwar immer prima, zu versuchen, Informationen, die man sieht, zu überprüfen. Aber man sollte sich gut überlegen, ob man neue Erkenntnisse oder Theorien, die man sich auf diese Art zurechtgezimmert hat, tatsächlich mit seinen Netzwerken teilt.

"Die Menschen haben das Gefühl, dass sie im Internet selbst recherchieren können", sagt Shireen Mitchell, Expertin für Desinformation im Internet – was zum Teil auch darauf zurückzuführen sei, dass der Verbreitung von Desinformationen und Fake News in den sozialen Medien immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. "Und jetzt, wo diese Nutzer glauben, dass sie sich einige wichtige Fähigkeiten angeeignet haben, denken sie, dass sie es könnten." Diese Annahmen seien aber nur bedingt richtig. Der Impuls "eigene Nachforschungen anzustellen", um Menschen in ganze Netzwerke aus Desinformation zu schicken, wird von sogenannten Bad Actors seit Jahren genutzt.

Ein weiteres Problem: Der Konflikt geschieht nicht auf Englisch oder Deutsch. "Offen gesagt ist die Sprachbarriere ein großes Problem", sagt Caulfield und deutet auf Menschen, die versuchen, Nachrichten aus der Ukraine in Echtzeit zu überprüfen. "Um herauszufinden, was authentisch ist, kann man sich nicht mit Videos von Orten befassen, die man nicht kennt, oder sich auf Videos stützen, die in einer Sprache sind, die man nicht versteht", sagt er.

Bevor Sie etwas teilen, sollten Sie sich fragen: Kann ich die Sprache, die gesprochen wird, selbst übersetzen? Bin ich in der Lage, Videos und Fotos aus Quellen zu recherchieren und zu analysieren, mit denen ich noch nie in Berührung gekommen bin? Obwohl Bürgerjournalismus oft sehr wertvoll sein kann, erfordert er echte Fähigkeiten und eine Ausbildung, um zu funktionieren. Seien Sie realistisch in der Einschätzung Ihrer eigenen Fähigkeiten.

Und denken Sie daran, dass Fehler Konsequenzen haben. Die Weitergabe falscher oder irreführender Informationen über eine sich schnell entwickelnde Situation könnte dazu führen, dass Menschen verletzt oder gar getötet werden. Verbreiten Sie stattdessen "gute" Informationen und stärken Sie zuverlässige Quellen.

Eines der wichtigsten Dinge, die Sie in einer solchen Situation tun können – sowohl für sich selbst als auch für Ihr Internet-Umfeld – ist es, einen "Realitätsanker" zu setzen. Wer sind die zuverlässigen Quellen, die englischsprachige Berichte veröffentlichen? Wem können Sie folgen, um dessen gute Informationen zu verbreiten?

Journalisten wie Jane Lytvynenko, die selbst Ukrainerin ist und sich mit Fehlinformationen befasst hat, ermitteln und teilen Ressourcen für diejenigen, die zur Unterstützung ukrainischer Wohltätigkeitsorganisationen und Medien spenden möchten. Sie liefern wichtige Informationen über die Invasion.

Andere Aktivisten haben eine Liste mit propagandistischen Nachrichtenkanälen und sozialen Profilen erstellt, die man meiden sollte. Bellingcat hat eine laufend aktualisierte Tabelle mit entlarvten Lügengeschichten. Das Nachrichtenportal Kyiv Independent twittert ständig Updates.

"Vielleicht ist Ihre Rolle in dieser Angelegenheit auch nicht die eines Reporters, der seinen Freunden die neuesten Geschichten erzählt", sagt Caulfield. Es gibt viele Leute, die diese Arbeit machen und einfach sehr gut darin sind, sagt er. Stattdessen sei es besser, über Fehlinformationen aufzuklären, wie sie Russland schon 2014 bei der Krim-Übernahme verwendet habe.

Jeder ist in der Lage, Fehlinformationen zu verbreiten – auch Experten, die sie aufspüren könnten. Wenn Sie Informationen über eine sich schnell entwickelnde Situation weitergeben – unabhängig von der Rolle oder der Größe ihres Podiums – sollten Sie darauf vorbereitet sein, diese verantwortungsvoll zu korrigieren und mit den Folgen umzugehen, wenn Sie etwas falsch gemacht haben.

Sowohl Mitchell als auch Caulfield haben dazu Best Practices beschrieben: Wer Fehler auf Twitter verbreitet, macht einen Screenshot davon, postet eine Korrektur, indem er oder sie auf die falschen Informationen antwortet oder diese zitiert. Der Originaltweet mit der Falschinformation wird anschließend gelöscht.

Obwohl TikTok anders funktioniert, gelten ähnliche Grundsätze: Löschen Sie den Fehler, teilen Sie mit, warum das Video gelöscht wurde, posten Sie eine Korrektur und ermutigen Sie Ihre Follower, diese Korrektur zu teilen. Mitchell fügte hinzu, dass jeder bereit sein sollte, die Verantwortung für einen Fehler zu übernehmen, indem er denjenigen, die ihn weitergereicht haben, die richtigen Informationen zukommen lässt.

Wenn in der Welt etwas so Schreckliches wie ein Krieg oder eine Pandemie passiert, fühlt es sich manchmal apathisch an, einfach wegzuschauen oder eine Pause vom Internet zu machen. Das ist es aber nicht. Hören Sie auf Ihre eigene Stimme, gehen Sie in den Park. Der Weltuntergang geht auch ohne Sie weiter.

(jle)