Union Investment: Integrationsplattform auf Basis offener Standards

Die Union IT-Services GmbH führte 2007 eine komplexe Plattform zur Integration von Geschäftsprozessen aus Open-Source-Komponenten ein. Dank der damit verbundenen offenen Standards lassen sich Anwendungen flexibler und schneller realisieren.

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Lesezeit: 28 Min.
Von
  • Marcel Jakobi
  • Martin Landua
  • Dr. Sven-Carsten Strüver
  • Dr. Oliver Diedrich
Inhaltsverzeichnis

Durch die Verwendung eines großen nutzer-, nicht herstellergetriebenen Komponenten-Baukastens lässt sich eine optimierte Software-Landschaft zusammenbauen, über die die Union IT-Services GmbH jederzeit die volle Kontrolle hat. Dank der mittlerweile hohen Reife der verwendeten Open-Source-Komponenten lassen sich Betriebsprobleme relativ einfach identifizieren und insbesondere entsprechend der eigenen Anforderungen – und nicht denen des Herstellers – priorisieren und beheben.

Der Aufbau eines hochverfügbaren J2EE-Server-Clusters für den Betrieb von Web-Applikationen stellt heute keine besondere Herausforderung mehr dar. Anders sieht es aus, wenn auf einer solchen Infrastruktur keine Web-Anwendungen laufen sollen, sondern Anwendungen zur Datenintegration und zur plattformübergreifenden Integration von Geschäftsprozessen.

Zwar sind die verfügbaren kommerziellen und freien J2EE-Implementierungen den Anforderungen hinsichtlich Durchsatz, Persistenz, Transaktionssicherheit und Überwachung durchaus gewachsen. Für die Implementierung geschäftskritischer Prozesse müssen aber noch einige Maßnahmen getroffen werden. Insbesondere empfiehlt sich der Einsatz eines Enterprise Service Bus (ESB), der ein Framework und die grundlegenden Komponenten zum Aufbau einer Service-orientierten Architektur (SOA) mitbringt.

Die Union Investment IT Services GmbH hat sich dafür entschieden, auf der Basis von Open-Source-Komponenten eine Infrastruktur für die Datenintegration und eine Service-orientierte Architektur zu schaffen, die im 24x7-Betrieb das Rückgrat für die interne Anwendungslandschaft und die Frontendsysteme für Endkunden darstellt. Umzusetzen waren dabei rund 1000 Datenschnittstellen, eine SOA mit etwa 200 Services, die Anbindung an ein Hostsystem und eine Vielzahl von Datenbanken und Messaging-Systemen.

1956 von 16 Banken gegründet, entwickelte sich Union Investment in ihrer über 50-jährigen Geschichte zum Asset-Management-Kompetenzzentrum im FinanzVerbund der genossenschaftlichen Banken. Nach kontinuierlichem Wachstum vereint das Unternehmen heute als eine der größten deutschen Fondsgesellschaften Kompetenzen in allen Anlage-Klassen unter dem Dach der Union Asset Management Holding AG und betreut rund vier Millionen Kunden. Die Union IT-Services GmbH (UIT) ist der alleinige IT-Dienstleister der Union Investment Gruppe. Die UIT koordiniert alle externen Partner für die Durchführung von Projekten und den laufenden Betriebs.

Die Cirquent GmbH, hervorgegangen aus der Softlab Group, hat als Partner der UIT den Auf- und Ausbau der Infrastruktur für die Enterprise Application Integration (EAI) und die SOA von Anfang an begleitet. Auch der Aufbau der Open-Source-Plattform wurde maßgeblich, die Migration sämtlicher Schnittstellen komplett durch die Cirquent GmbH geleistet. Zusätzlich ist die Cirquent GmbH für den Betrieb der Applikationen und die Überwachung der Plattform verantwortlich.

Die EAI-Plattform ist zentraler Dreh- und Angelpunkt der IT-Landschaft.

Im Jahre 2001 führte die Union Investment eine kommerzielle EAI-Lösung ein mit dem Ziel, eine zentrale Datendrehscheibe zu etablieren, um die Qualität der Datenlieferungen zwischen den Systemen zu erhöhen. Nach Bereitstellung der Basissoftware und der erforderlichen Hardware (zwei Sun-Solaris-Rechner in Produktion und zwei gleiche Abnahmeknoten) wurde in verschiedenen Projekten die EAI-Landschaft ausgebaut. Mittlerweile laufen nahezu alle Schnittstellen über EAI/SOA und haben an vielen Stellen die klassischen Lösungen (Filetransfer, Batch etc.) ersetzt. Mitte 2005 waren zahlreiche zentrale Geschäftsprozesse der Union Investment an die EAI-Landschaft angebunden, darunter verschiedene Unterstützungsprozesse zur Fondspreisberechnung sowie die Onlineplattform für B2B und B2C.

Auch wenn die so entstandene EAI- und SOA-Landschaft die Anforderungen hinsichtlich Stabilität und Performance erfüllt, entstand durch die nötigen Upgrades auf neue Releases der kommerziellen Plattform bisweilen ein erheblicher Migrationsaufwand, was bei einer derart umfangreichen Anwendungslandschaft nicht nur empfindliche Kosten verursachte, sondern auch Verzögerungen in der Projektumsetzung. Das war besonders unangenehm, wenn Probleme mit der Abwärtskompatibilität der kommerziellen Software-Infrastruktur einen Umbau der sehr komplexen Anwendungen nach sich zogen.

Daraus entstand die Idee, über offene Softwarestandards eine bessere Austauschbarkeit einzelner Komponenten und einen stabileren Lebenszyklus der Integrationslandschaft zu erreichen. Anlässlisch der Abkündigung der Wartung der EAI-Lösung wurde daher beschlossen, nach Alternativen zu suchen, um auf der Basis offener Standards eine neue EAI- und SOA-Landschaft aufzubauen. Der Fokus lag dabei dabei zunächst nicht auf Open-Source-Software; allerdings zeigte bereits eine kurze Marktanalyse, dass zahlreiche Implementierungen offener Standards Open-Source-Projekte sind.

Im Rahmen einer Vorstudie wurden die bislang eingesetzten Technologien und die vorhandenen Schnittstellen analysiert und dokumentiert. Eine entscheidende Erkenntnis dabei war, dass lediglich drei Anwendungsmuster fast 90 Prozent der Gesamtlösung beschrieben: Die Replikation fachlicher Daten zwischen heterogenen Anwendungen, die Serviceschnittstelle (SOA) und Prozess-/Workflow-orientierte Schnittstellen. Zusätzliche Anforderungen an die neue Infrastruktur betrafen den Datendurchsatz, die Weiterverwendung vorhandenen Quellcodes (Java-Sourcen, XSL-Transformationen) und die möglichst einfache Integration von Softwarekomponenten Dritter.

Angesichts der großen Menge vorhandenen Quellcodes zur Abbildung fachlicher Prozesse stand zunächst die individuelle Implementierung eines neuen EAI-Frameworks "from scratch" zur Debatte. Dem Ziel einer höheren Flexibilität und einer Unabhängigkeit der Fachverfahren von der Infrastruktur wäre man dadurch aber nicht näher gekommen.

Grundsätzlich verspricht ein Enterprise Service Bus eine bessere Trennung zwischen Fachanwendung und technischem Framework, indem konkrete Implementierungsvorschriften die Applikationen kapseln. Allerdings legt man sich bei einer eingekauften ESB-Implementierung wieder auf einen Lieferanten fest und bindet sich dessen Release-Politik – und genau das sollte die neue Lösung ja vermeiden.

Als Ausweg bot sich der JBI-Standard (Java Business Integration) aus dem Java Community Prozess an. JBI spezifiziert eine SOA auf Basis von Web-Services. Grundidee dabei ist die pragmatische Festlegung der Kommunikations- und Transformationsstruktur eines Enterprise Service Bus, bei dem die konkrete Implementierung beispielsweise einer fachlichen Transformationskomponente unabhängig vom ESB wird.

Nur wenige Open-Source-Lösungen unterstützen den JBI-Standard und bieten gleichzeitig eine erprobte und stabile Plattform. Nach einer eingehenden Detailprüfung fiel die Wahl auf die seinerzeit aktuellen Versionen JBoss 4.0.42 als Application Server und den Enterprise Service Bus ServiceMix 3.1. Hier waren neben rechtlichen Fragen auch Wartung und Support sowie die Stabilität zu prüfen.

Als Proof of Concept wurde für jedes der drei während der Analysephase dokumentierten Anwendungsmuster eine Beispiellösung in ServiceMix und der alten EAI implementiert, um Aufwand, Performance, Architektur und Risiken besser abschätzen zu können. Dabei entstanden bereits grundlegende Komponenten für die verschiedenen Aufgaben wie etwa eine Rule-Engine und die Prozess-Engine. Außerdem wurden erste Erfahrungen gesammelt, wie eigene Komponenten zu entwickeln und zu testen sind, da für die Anbindung an bestimmte Randsysteme keine passenden Standardkomponenten verfügbar sind.

Der Proof of Concept zeigte, dass die eingesetzten Open-Source-Komponenten so ausgereift sind, dass sie sich auch in kritischen Business-Anwendungen verwenden lassen. Im direkten Vergleich mit der alten EAI zeichnete sich ServiceMix zudem durch eine höhere Performance bei niedrigerem Ressourcenbedarf aus.

Bei der folgenden Prüfung der Betriebsumgebung rückten die Anforderungen Skalierbarkeit und Performance in den Mittelpunkt der Analyse – sowohl die eingesetzte SOA als auch die täglich zu übertragenden Datenmengen erfordern einen hohen Durchsatz, zudem steigt das Datenvolumen stetig an. Da ein Ausbau der Solaris-Maschinen sehr teuer gewesen wäre, fiel die Entscheidung für den Einsatz von Red Hat Enterprise Linux Version 4 auf Blades. Da sich die neue Hardware-, Betriebssystem- und Application-Server-Kombination als ausreichend performant erwies, wurde das geplante Migrationsprojekt um die Neuausrichtung der Hardwareplattform und des Betriebssystems erweitert.

Ein Business Case für die Migration, den Betrieb und die weitere Pflege und Wartung stellte die Wirtschaftlichkeit der Lösung sicher.