Videokonferenzen: "Video hat wahnsinnige Vorteile"

Die App "mmhmm" des US-Unternehmers Phil Libin soll Spaß in lahme Videokonferenzen bringen, das "neue Normal" erleichtern. Im Gespräch erzählt er, wie das geht.

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(Bild: mmhmm)

Lesezeit: 7 Min.

Videokonferenzen? Ja, klar, im Homeoffice geht es wohl nicht ohne. Auf Dauer wird das aber ziemlich anstrengend. Und oft sind die Online-Meetings nicht gerade dazu angetan, das zu erleichtern. Phil Libin möchte das ändern: Die App "mmhmm" soll Spaß in lahme Videokonferenzen bringen, das "neue Normal" erleichtern.

Technology Review: Herr Libin, warum genau sind Videokonferenzen so anstrengend? Nachdem man eine Zwei-Stunden-Sitzung per Kamera erledigt hat, fühlt man sich manchmal als hätte man den ganzen Tag durchgearbeitet.

Phil Libin: Nun, ich denke das liegt daran, dass Videokonferenzen oft langweilig sind. Ich denke Menschen sind an persönliche Gespräche in Meetings gewöhnt, alle möglichen Dinge, die ein Treffen einnehmender machen, fesselnder, weniger ermüdend. Per Video wissen die Leute nicht, wie man das macht, wenn man also Video-Meetings beiwohnt, muss man sich dazu zwingen, aufmerksam zu bleiben.

Für Fernsehen oder Filme trifft das nicht zu, wenn man sich Schauspieler anschaut, Profis, die wissen, wie man die Kamera für sich einnimmt, das ist nicht so ermüdend. Man kann einige Stunden TV schauen und danach nicht erschöpft sein. Also denke ich, dass Menschen einfach nicht wissen, wie man charismatisch auf Video rüberkommt und das ist eines der Dinge, bei denen wir mit mmhmm helfen wollen.

Sind wir Menschen in unserer Gesamtheit einfach noch nicht weit genug für dieses Format?

Genau – und ich denke, das war unsere Erkenntnis mit mmhmm. Wir haben im Grunde erkannt, dass viele Zoom-Konferenzen einfach sehr langweilig wirkten und sehr ineffektiv waren, doch nicht jeder kommt langweilig in Videos rüber. Also haben wir eben an Schauspieler, Comedians und Musiker und Sportler gedacht, die sehr gut auf Video wirken. Wir haben uns gefragt, was die wissen, was man von denen lernen kann und wie man ähnliche Techniken und Werkzeug für alle zugänglich machen kann, sodass sie gut in Videos wirken – ohne dass man jetzt ein ganzes TV-Produktionsstudio dafür braucht.

Wie viele Video-Termine haben Sie selbst am Tag?

[lacht] Nun, schauen wir uns mal heute an, ich zähle jetzt einfach mal in meinem Kalender... Es sind eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, ZEHN für heute.

Das ist ja irrsinnig.

[lacht] Ja, das ist eine Menge.

Sie haben mal gesagt, dass Videokonferenzen uns auch nach Corona nicht mehr verlassen werden, denn sie machen einfach viel mehr Sinn als zu reisen. Doch wenn man mit Leuten im Lockdown spricht, hört man oft, dass sie beginnen, das Büro zu vermissen. Was macht Sie so sicher?

Nun, ich denke Video, nicht immer auch Video-Konferenzen, aber das Format im breiten Sinn, Varianten der Video-Applikationen, werden auf jeden Fall bleiben. Allgemeiner gesprochen, viele der jetzt verbreiteten Systeme werden uns erhalten bleiben, denn sie sind sehr gut. Das heißt aber nicht, dass niemand mehr reisen wird, niemand mehr ins Büro gehen wird. Es bedeutet nur, dass es häufig so sein wird, dass viel Austausch in Videoform stattfindet.

Phil Libin

Libin ist im Silicon Valley kein Unbekannter: Er machte seine Millionen unter anderem mit der populären Notiz-App Evernote, bevor er Risikokapitalgeber wurde. Der in Leningrad geborene Informatiker ist jetzt wieder Unternehmer und hat ein eigenes Produktstudio namens All Turtles, in dem auch die App mmhmm entstanden ist. Das Programm ist für den Mac und als Beta für Windows erhältlich, soll bald auch mobil verfügbar sein. Es gibt Nutzern professionelle Möglichkeiten an die Hand, Präsentationen und ihre eigene Darstellung auf Video zu verbessern.

Sobald Menschen wieder reisen und zurück ins Büro kehren können, werden sie sich aussuchen, was sie machen möchten. Aber Video wird immer sehr präsent sein. Wir denken hier im Unternehmen viel darüber nach, wenn Leute sagen, dass sie das Büro vermissen – denn hier bei All Turtles, der Mutterfirma von mmhmm, haben wir beschlossen, dass wir für immer verteilt arbeiten werden.

Der größte Vorteil ist gigantisch: Ich kann jeden in der ganzen Welt anstellen, für jeden Job. Das ist verrückt, das ist ein wahnsinnig großer Vorteil, wenn ich mich als CEO nicht mehr auf eine bestimmte Stadt begrenzen muss, wenn ich nach Angestellten suche. Also wird jede vakante Stelle bei uns in der ganzen Welt ausgeschrieben. Das ist so toll, das möchte ich niemals aufgeben. Der andere große Vorteil: Es gibt keine Pendelei mehr. Früher haben die meisten meiner Mitarbeiter und ich eine Stunde, zwei Stunden und mehr täglich im Verkehr verbracht, das ist so viel Zeit, und das muss keiner mehr tun aktuell.

Wenn Sie Menschen aus der ganzen Welt einstellen, wie läuft das bürokratisch ab? Bezahlen Sie Menschen, die in Deutschland leben in Euro oder kriegen die einen Scheck mit Dollar, wie läuft das?

Ja, in Deutschland zahlen wir mit Euro. Und wir haben eine Niederlassung in Deutschland, gerade musste ich etwas für unsere GmbH unterschreiben.

Ihre Anwendung mmhmm hat etwas von einem Spielplatz, es gibt viele Effekte, Animationen, Sounds und sehr viel mehr. Wie kann so etwas in die Videokonferenz eines traditionllen Unternehmens integriert werden?

Nun, die Richtschnur unserer Arbeit ist, dass unsere Features sowohl spaßbringend ("fun") als auch nützlich ("useful") sein müssen. Das ist unsere Anforderung. Beides muss stimmen: Es muss spaßig und nützlich sein. Unser Wort dafür ist "fuseful", die Kombination von beidem. Ich denke, das ist sehr wichtig. Denn natürlich sollen die Dinge einen Nutzwert haben, sie sollen bereichernd in einem wichtigen Umfeld sein, also gibt es viele Features, die Präsentationen unterstützen, Aufnahmen, alles, was notwendig ist.

Müssen Sie mmhmm in die Videokonferenz-Systeme anderer Firmen wie Zoom, Skype und Teams integrieren, wie funktioniert das technisch?

Ja, wir arbeiten mit fast jedem Videosystem. Es gibt da zwei Ansätze. Mit dem ersten haben wir gestartet: Man versucht im Grunde eine Art virtuelle Kamera zu werden, wir arbeiten mit dem Kamerasignal und stellen eine App zur Verfügung, die es erlaubt, alles zu modifizieren. Und jedes andere System, das Sie mit Kamera nutzen, kriegt die Funktion automatisch.

Was wir nun außerdem begonnen haben zu tun, ist für jeden Anbieter wie Zoom eine tiefergreifende Integration anzubieten. Viele von diesen haben jetzt APIs und SDKs, die wir in unsere Arbeit einbeziehen und jeweils an die Anwendung anpassen können, um eine engere Verbindung zu schaffen. Ganz grundsätzlich betrachtet handelt es sich also um eine virtuelle Kamera, die fundamental mit dem Betriebssystem arbeitet, mit allem, was da noch hinzukommt. Zunehmend erarbeiten wir aber spezifische Funktionalitäten für jeden der verschiedenen Typen an Videoplattformen, um tiefere Integrationen zu erreichen.

Wenn mmhmm nun Videokonferenzen unterhaltsamer macht und Menschen die Anwendung nutzen, was hindert dann Unternehmen wie Zoom oder Microsoft daran, Ihre Funktionsweise zu übernehmen? Oder wollen Sie gekauft werden?

Na ja, jeder kann jederzeit alles kopieren. Das liegt im Wesen der Technologie. In der Praxis hat aber keiner Zeit mit Kopieren zu verschwenden, bis ein Bereich reifer geworden ist. Außerdem haben die großen Player wie Zoom und Microsoft und alle diese anderen den Wunsch, eine Plattform zu werden. Sie wollen, dass ihr Videosystem die Grundlage ist, auf der andere weitere Dienste aufbauen.

(bsc)