Visual Studio auf Deutsch oder auf Englisch?

Seite 3: Schwierigkeiten mit dem Plural

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Während die obigen Beispiele noch lustig sind, können Ungereimtheiten bei der Übersetzung von Visual Studio zu Kompilierungsfehlern führen, wie man bei den objekt-relationalen Mappern LINQ-to-SQL und ADO.NET Entity Framework sieht. Ersterer erzeugt beim Generieren eines Objektmodells aus einer Datenbank für jede Tabelle eine Klasse und im Kontextobjekt ein Attribut, das die Menge aller Instanzen liefert. Das Attribut setzt Visual Studio in der englischen Version durch Anhängen eines "s" automatisch in den Plural. Aus der Tabelle "Rechnung" wird plötzlich "Rechnungs". Die Visual-Studio-Übersetzer haben sich überlegt, dass das für deutsche Wörter keinen Sinn ergibt, und die "Pluralisierung" in den Visual-Studio-Optionen im Standard ausgeschaltet. Das ist so lange nicht schlimm, wie alle Entwickler in einem Team entweder die deutsche oder die englische Version verwenden.

In einer englischen Version steht im Standard "true", in der deutschen Version "false" (Abb. 9).

Kommt es zur Sprachmischung, besteht Kollisionsgefahr. Denn für ein englisches Modell geschriebener Code kompiliert nicht mehr, sobald es ein Entwickler mit einer deutschen Version ändert. Umgehen kann man das, indem man in Visual Studio unter Tools | Options | Database Tools | O/R Designer | Pluralization of name einheitlich auf allen Systemen "true" oder "false" wählt. Der Autor hat leider einige Entwickler getroffen, die lange mit dem plötzlich verschwindenden und wiederkehrenden "s" kämpfen mussten, denn eine Warnung davor gibt es nirgendwo in der Dokumentation.

Die oben dargestellte Option wirkt sich interessanterweise nicht auf das ADO.NET Entity Framework aus. Hier erfolgt die Pluralbildung nicht mit angefügtem "s", sondern durch Anhängen des Worts "Set". Aus "Rechnung" wird "RechnungSet" – aber nur in der englischen Version. Die deutsche macht daraus "RechnungMenge", und schon ist das Problem wieder vorhanden, wenn man deutsche und englische Visual-Studio-Ausgaben in einem Team mischt.

Wer immer noch amüsiert ist, dem seien zwei handfeste Vorteile einer englischen Version genannt:

  1. Da es auf der Welt mehr englisch- als deutschsprachige Entwickler gibt, wird man bei der Suche nach Hilfen und Tipps im World Wide Web besser fündig, wenn man den englischen Fehlertext oder einen Begriff aus einem Dialog in eine Suchmaschine eingibt.
  2. Es gibt immer wieder Visual-Studio-Erweiterungen, die nur in englischer Sprache verfügbar sind. Die Werkzeuge kann man dann entweder gar nicht installieren, oder der Entwickler erhält eine noch verwirrendere Mischung aus deutscher und englischer Benutzeroberfläche.

Der Autor ist kein Verächter der deutschen Sprache, sondern setzt sich aktiv gegen unnötige Anglizismen in der Fachsprache ein (zum Beispiel "Protokoll" statt "Log" und "heruntergeladen" statt – wie Windows es meint – "downgeloaded"). Bei der täglichen Entwicklungsarbeit verwendet er (wie die meisten seiner Kollegen) ausschließlich eine englische Visual-Studio-Version, weil er damit produktiver ist. Das ist auch sein Rat an jeden .NET-Entwickler in Deutschland, sofern er nur etwas der englischen Sprache mächtig ist. Die wenigen Steuerelemente, die sich nach der Sprache der Entwicklungsumgebung richten, kann man besser in den Griff bekommen als die holprigen Übersetzungen.

Dr. Holger Schwichtenberg
bietet mit seinem Unternehmen www.IT-Visions.de Beratung und Schulungen im .NET-Umfeld. Er hält Vorträge auf Fachkonferenzen und ist Autor zahlreicher Fachbücher.
(ane)