Volker Wissing: "KI wird Alltag, Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit bestimmen"

Chinesische Netzausrüster, Ampel-Versprechen und eine KI-Aufsichtsbehörde: c't hat Volker Wissing zur Digitalpolitik befragt.

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Bundesminister für Digitales und Verkehr Volker Wissing

Volker Wissing im Interview mit c't

(Bild: c't, Nadja Wohlleben)

Lesezeit: 9 Min.

Wie erfolgreich ist die Digitalpolitik der Bundesregierung? c't hat Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, in Berlin getroffen, um nach drei Jahren Ampelkoalition ein Zwischenfazit zu ziehen. Im Interview betont Wissing den Fortschritt beim Netzausbau, während er sich beim möglichen Ausschluss chinesischer Ausrüster alle Optionen offen hält. Außer Zweifel steht für Wissing der Stellenwert, den KI in unserem Leben einnehmen wird. Er will Aufsicht haben und ein Zertifizierungssystem aufbauen – und hat bereits seinen Favoriten für eine KI-Aufsichtsbehörde ausgewählt.

Volker Wissing im Gespräch mit c't-Autor Falk Steiner.

(Bild: c't/Nadja Wohlleben)

Herr Wissing, das Fortschrittsversprechen der Ampel wurde auch für die Digitalisierung gegeben. Wie viel davon ist eingelöst worden?

Wir haben große Fortschritte bei der digitalen Infrastruktur. 97 Prozent Abdeckung mit 4G, gut 91 Prozent mit 5G, 50 Prozent mehr Glasfaseranschlüsse innerhalb eines Jahres. Die Gigabit-Strategie fliegt. Wir haben Fortschritte bei der Umsetzung der Digitalstrategie: in der Gesundheitspolitik das E-Rezept, die elektronische Patientenakte, das Gesundheitsdatennutzungsgesetz und damit die Zukunftssicherung für den Pharma- und Medizin-Forschungsstandort Deutschland. Wir haben i-KFZ und den Einstieg in die digitale Zulassung, die e-ID, die der Schlüssel ist, um digital mit dem Bürger zu kommunizieren.

Überall sieht man, dass sich etwas tut. Bei der Bahn, der Modernisierung des ÖPNV, haben wir die Digitalisierung ebenfalls vorangetrieben, aber noch nicht in allen Strukturen nachvollzogen.

Die e-ID ist ein sogenanntes Hebelprojekt der Digitalstrategie: Voraussetzung für erfolgreiche Digitalisierung. Passiert ist dabei wenig. Heißt das, die Digitalstrategie kann nun nicht mehr funktionieren?

Nein. Das Innenministerium steht in der Verantwortung, dass eine anwenderfreundliche digitale Identität kommt – und das BMI arbeitet daran, auch was die Einbindung in ein gesamteuropäisches Konzept angeht. Die e-ID ist ein ganz wichtiger Hebel: Wenn der Staat Identität nicht digital feststellen kann, gibt es immer nur eine teildigitale Verwaltung.

Als Mittel knapp wurden, wurde hier zuerst gespart. Digitalisierung sollte zu Beginn der Legislatur prioritär sein, die Idee war ein Digitalbudget als Garantie, dass zentrale Vorhaben garantiert sind – könnte das nun doch noch kommen?

Wir haben bisher gezeigt, dass es ohne Digitalbudget geht, weil einzelne Ressorts umgeschichtet und ausreichend Haushaltsmittel für ihre Digitalprojekte zur Verfügung gestellt haben.

Bei der e-ID gibt es einen größeren Finanzbedarf, aber auch das kann man lösen, indem man nochmal priorisiert. Ob ein Digitalbudget zur Umsetzung der e-ID notwendig ist, kann man erst nach Ende der Haushaltsberatungen sagen.

"KI wird unseren Alltag, unsere Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit in einem Maße bestimmen, dass wir diese Technologie selbst in den Händen halten müssen."

(Bild: c't/Nadja Wohlleben)

Die KI-Verordnung ist verabschiedet, wird in Kraft treten. Kritik daran gibt es aus vielen Richtungen. Ist Deutschland für das KI-Zeitalter gerüstet?

Künstliche Intelligenz wird unseren Alltag, unsere Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit in einem Maße bestimmen, dass wir diese Technologie selbst in den Händen halten müssen. Wir dürfen hier keine Fehler machen und dadurch Souveränität verlieren.

Deswegen dürfen wir bei der Regulierung die Entwicklung von KI nicht behindern, sondern müssen durch innovationsfreundliche Regelungen unterstützen. Das erfordert Mut. Weil wir heute nicht alles wissen, was KI kann oder in naher Zukunft können wird. Die Entwickler selbst stehen ja mit Demut vor den Möglichkeiten. Wenn aber der Staat bremsend eingreift, suchen sich kreative Köpfe andere Standorte. Es muss experimentiert werden, Entwickler brauchen Freiräume.

Sehen Sie dafür Bereitschaft bei den Unternehmen in Deutschland?

Ja! Ich sehe mit großer Freude, dass Mittelständler in Deutschland investieren. Und ich finde das sehr gut, weil es auch unsere Werte absichert. Für deutsche Unternehmer ist das nicht nur ein reines Geschäft, sie verfolgen auch ethische Ziele.

Trotzdem müssen wir als Staat darauf achten, nachvollziehen zu können, was passiert. Ich nenne das Beispiel Bankenkrise. Da hieß es: Der Staat muss nicht eingreifen, die Banken regulieren sich selbst im Wettbewerb. Im Ergebnis haben sich die Finanzmärkte ein System geschaffen, in dem niemand mehr zur Verantwortung gezwungen wurde.

Das befürchten Sie bei KI auch?

Nein, aber wir müssen aus der damaligen Zeit lernen. Nach der Finanzkrise wurde gefragt: Warum hat der Staat das nicht bemerkt? Es war so ziemlich alles mit Triple-A-Ratings versehen, man hat sich in falscher Sicherheit gewähnt und meinte, da sei kein Risiko. Das System war dem Staat entglitten. Die Geschwindigkeit, mit der die Finanzmärkte sich entfesselt haben, und das Tempo, mit dem Aufsichts- und Kontrollstrukturen aufgebaut wurden, waren völlig asymmetrisch. Dann hieß es: Wie soll der Jurist bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen denn Goldman Sachs kontrollieren? Aber genau das war die Aufgabe – und der Öffentlichkeit wurde suggeriert, dass das stattfinde.

Wie kann sichergestellt werden, dass sich das bei KI nicht wiederholt?

Indem wir nicht nur zuschauen, sondern selbst mitmachen. Und sagen: Wir wollen nachvollziehen, wir wollen Aufsicht haben, ein Zertifizierungssystem aufbauen. Aber es gibt einen großen Unterschied zur Bankenkrise: Der Staat ist diesmal nicht nur Aufseher, sondern selbst Nutzer der Technologie.

Derzeit wird die deutsche KI-Aufsichtsbehörde gesucht. Wer soll es werden?

Die Bundesnetzagentur.

Auch in der Ampel setzen sich alte Streitigkeiten fort, Chatkontrolle, Vorratsdatenspeicherung oder Recht auf Verschlüsselung. Letzteres ist ein Vorschlag Ihres Hauses. Hat das eine Chance in dieser Legislaturperiode?

Ja. Eine arbeitsteilige Gesellschaft kann nur mit guter Vertrauenskultur erfolgreich sein. Dazu gehört, dass Kommunikation vertraulich sein kann. Verschlüsselte Kommunikation wird für die gesamte Wirtschaft immer wichtiger. Durch geopolitische Veränderungen gibt es immer mehr Risiken, während zugleich die Abhängigkeit von Daten und digitaler Kommunikation fortschreitet. Es ist aber nicht nur eine wirtschaftliche Frage. Wenn wir unsere private Kommunikation einschränken, verlieren wir, was den größten Wert unserer Gesellschaft ausmacht: die Freiheit.

"Wenn wir unsere private Kommunikation einschränken, verlieren wir, was den größten Wert unserer Gesellschaft ausmacht: die Freiheit."

(Bild: c't/Nadja Wohlleben)

Damit hängt auch die Debatte um chinesische Telekommunikations-Ausrüster zusammen. Wie sehen Sie die aktuell?

Ich habe von Anfang an gesagt: Wenn wir eine solche Frage besprechen, müssen wir Fakten haben. Was konkret sind eigentlich die Sicherheitsrisiken? Ich meine...

Liegen Ihnen denn die Fakten jetzt vor?

Wir haben einen klaren Einblick in das, was im Netz an Technik verbaut ist. Und können einschätzen, ob und in welchem Maße wann Handlungsbedarf besteht. Am Ende ist Politik eine Abwägung: zwischen konkreten Risiken, Risikoszenarien und dem, was an sonstigen Interessen zu berücksichtigen ist. Die Bundesregierung wird weiter beraten und zu einer gemeinsamen Meinung kommen. Das ist aber kein Thema für eine öffentliche Diskussion. Die Abwägung kann aus nationalen Sicherheitsinteressen nicht transparent gemacht werden – das Ergebnis am Ende schon.

Es geht aber nicht nur um 5G-Netze. Komponenten aus Ländern zweifelhafter Verlässlichkeit stecken in vielen Bereichen. Wird das bei allen kritischen Infrastrukturen jetzt jedes Mal diskutiert?

Wir müssen permanent Sicherheitsfragen im Blick haben. Ein 5G-Netz mit Echtzeit-Anwendungen zum Beispiel beim autonomen Fahren hat ganz andere Anforderungen an die Sicherheit als das bisherige Netz.

Deswegen muss man immer in die Zukunft blicken: Sind die heutigen Netze gewappnet für künftige Risiken? Wenn nicht, muss man reagieren und die Dinge anpassen.

Und das gilt von Antennen über die Cloud Services bis…

Aber ja! Unternehmen tun das auch. Wenn Geschäftsmodelle zunehmend datenbasiert sind, bedingt das, sich stärker mit Fragen der Cybersicherheit zu beschäftigen. Kann unser Geschäftsmodell gehackt werden? Was bedeutet Datenabfluss für uns? Welche Auswirkungen hat es, wenn unser System eine Stunde stillsteht? Diesen Fragen stellen sich Unternehmen, schaffen eigene Clouds und eigene Cybersecurity-Systeme. Für uns gilt das Gleiche: Wir müssen uns damit beschäftigen.

Wenn wir das digitale europäische Zugsteuerungssystem ETCS bei der Bahn implementiert haben, sind das ganz andere Sicherheitsanforderungen als heute, wo wir im Grunde genommen noch die Signalsteuerung aus dem letzten Jahrhundert nutzen. Selbstverständlich muss man die Frage stellen: Genügt unser Netz dann? Mit all seinen Komponenten? Da geht es auch um die Supply Chain. Und zwar nicht nur um die Frage: Ist ein Lieferant vertrauenswürdig? Sondern auch darum, ob die Nachlieferung gesichert ist.

Wir haben gesehen, was es heißt, wenn Lieferketten gestört sind. Auch das sind Sicherheitsfragen. Wir können ja nicht sagen: Leider können wir in den nächsten Wochen keine Zugfahrten anbieten, wir bekommen die Ersatzteile nicht. Das darf nicht passieren.

"Ein 5G-Netz mit Echtzeit-Anwendungen zum Beispiel beim autonomen Fahren hat ganz andere Anforderungen an die Sicherheit als das bisherige Netz."

(Bild: c't/Nadja Wohlleben)

Also ist Souveränität die Lösung?

Bei dem, was wir brauchen, etwa Halbleitern, sind wir immer auch auf Souveränität fokussiert und wollen Unabhängigkeit. Aber zur Wahrheit gehört: in einer arbeitsteiligen Welt kann die vollständige Souveränität einer Gesellschaft nicht gewährleistet werden. Weil wir nicht alles, was wir brauchen, selbst herstellen können.

Deswegen müssen wir Risikomanagement betreiben und dürfen uns nicht von Einzelnen abhängig machen. Das ist unsere Aufgabe und die ist groß genug.

(dahe)