Volkssport Fernseh-Surfen

Den klassischen TV-Sendern laufen unterdessen die Kunden davon.

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Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Mario Sixtus
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Laut verkündet Mark Pesce das Todesdatum. "In den Geschichtsbüchern wird stehen: Das Fernsehen starb am 18. Oktober 2004", sagt er in einem Vortrag vor Studenten der Australian Film Television and Radio School in Sydney. An diesem Datum strahlte der britische Satellitensender Sky One die erste Episode des Remakes von "Battlestar Galactica" aus. Der US-amerikanische Kabelsender SciFi Channel, der zur Hälfte an der Produktion beteiligt war, wollte mit der Serienpremiere hingegen noch bis zum Januar warten, einem Monat, der traditionell arm an TV-Highlights ist.

"Dummerweise gibt es so etwas wie einen territorialen Vertrieb nicht mehr", klärt Mark Pesce seine Zuhörer auf, "das alte ökonomische Modell des TV ist mausetot." Bereits zwei Stunden nachdem die Fernseh- zuschauer auf der britischen Insel in den Genuss des inzwischen mit Kritikerlob überschütteten Weltraumabenteuers gekommen waren, fand es sich in Form einer rund 350 Megabyte großen Datei im Internet wieder - natürlich befreit von störenden Werbeunterbrechungen. Mit einer handelsüblichen 2-Mbit-DSL-Leitung mussten Science-Fiction-Freunde rund um den Globus nicht mehr Monate oder gar Jahre auf ihren persönlichen Serienstart warten, sondern nur noch 30 Minuten.

Vielstimmiger Abgesang

Mark Pesce hat einst die 3D-Programmiersprache VRML mitentwickelt und einige Bücher über das Internet geschrieben. Sein neuestes Hobby ist es, wo er geht und steht den Niedergang der TV-Wirtschaft kundzutun.

Ob er mit dem Sterbezeitpunkt in den Geschichtsbüchern Recht behalten wird, sei dahingestellt. Pesce ist mit seinem Abgesang jedoch nicht allein. Ein ganzer Chor von Branchenkennern trällert mittlerweile dieses Lied. "Zeit ist für die Menschen heute ein wichtiger Faktor, die Tendenz zum ,On Demand‘ ist daher unaufhaltsam, und die neuen Technologien liefern die notwendigen Hilfsmittel", meint etwa Terry Heaton, Medienberater aus Nashville. Die Tage, als Programmchefs die Menschen zu einem bestimmten Ereignis zusammenrufen konnten, damit Werbeleute ihnen Botschaften in die Augäpfel hämmern, seien vorbei. "Gott sei Dank!"

Der Download von Filmen und Fernsehserien aus dem Netz ist keine neue Erfindung. Schon vor Jahren konnte sich jeder Netznutzer frische Videoware besorgen, sofern er Zugang zu den richtigen Kanälen im Internet Relay Chat hatte oder sich in den Diskussionszirkeln des Usenets auskannte, jenem aus zigtausend Kommunikationsforen bestehenden Geflecht, das ursprünglich dem Austausch von Neuigkeiten und Meinungen dienen sollte, in dem sich jedoch auch mühelos und anonym Musik-, Programm- und Filmdateien veröffentlichen lassen. Mittlerweile ist das Saugen von Fernsehfilmen jedoch von der Freizeitbeschäftigung einiger weniger Netzfreaks zu einem regelrechten Volkssport mutiert. Dafür sind nicht zuletzt intelligente Download-Protokolle wie beispielsweise Bittorrent verantwortlich. Sie beseitigen das alte Flaschenhals-Problem des Netzes. Hieß es früher: Je mehr Menschen eine Datei gleichzeitig herunterladen, desto langsamer geht es voran, stellen heute moderne Peer-to-Peer-Lösungen diesen Grundsatz auf den Kopf. Während eines Bittorrent-Downloads stellt jeder Nutzer automatisch jene Dateifragmente zum Upload bereit, die sich bereits auf seiner Festplatte befinden. Im Ergebnis bedeutet das: Je mehr Downloader an einer Datei ziehen, umso schneller geht es.

Des Weiteren kommt langsam Bewegung in den Breitbandmarkt. Die Preise für DSL-Flatrates sinken kontinuierlich, während die Bandbreite permanent wächst. Marktführer T-Com kündigt bereits 6-Megabit-Leitungen an. Damit wäre eine "Galactica"-Folge schon nach zehn Minuten auf der Platte. "Das Angebot von TV-Serien innerhalb der P2P-Netze hat in letzter Zeit stark zugenommen", bestätigt Jorge Antonio Gonzales vom Filesharing-Forum Zeropaid. Eine OECD-Studie aus dem letzten Jahr legt nahe, dass die Europäer und speziell die Deutschen zu den emsigsten Filmsaugern gehören. Kein Wunder also, dass auch in deutschen Fan-Foren aktuelle Folgen amerikanischer TV-Serien diskutiert werden, als seien sie gestern auf ProSieben gelaufen. Die Unterhaltungsgeräteindustrie hat diesen Trend offenbar erkannt: Immer mehr aktuelle DVD-Player spielen das Videoformat DivX ab, ein Kompressionsverfahren, das fast ausschließlich im Internet Anwendung findet.