Volkssport Fernseh-Surfen

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Die einzigen Antworten, die den Sendern bisher auf die neuen technischen Herausforderungen eingefallen sind, sind juristischer Natur. Fünf Jahre prozessierte der Privatsender RTL gegen die Markteinführung der "Fernsehfee", einem Gerät, das während einer Werbeunterbrechung auf einen anderen Kanal schaltet. Erst der Bundesgerichtshof wies die Klage ab und erklärte, das Gerät sei für TV-Konsumenten lediglich eine "technische Hilfestellung". Trotz dieser Niederlage kann der Kölner Sender zufrieden sein: Technisch ist der kleine Werbeblocker mittlerweile überholt und hat wohl kaum noch Marktchancen.

Seit neuestem stürzen sich die Rechtsabteilungen der TV-Konzerne dafür auf das kleine Münchner Unternehmen Netlantic GmbH. Die Firma bietet mit "Shift TV" einen PVR im Internet an. Die Kunden programmieren ihre gewünschten Sendungen über ein Web-Interface und holen sie anschließend per Streaming oder Download auf ihren Rechner. Geschäftsführer Michael Westphal fühlte sich rechtlich eigentlich auf der sicheren Seite. "Ob ein Nutzer seinen Festplattenrecorder im Wohnzimmer stehen hat oder ob er sich bei uns einen virtuellen PVR mietet, macht keinen Unterschied", findet er. Das sahen vier deutsche Privatsender indes anders und deckten Westphal mit einstweiligen Verfügungen ein. Michael Westphal macht sich keine Illusionen: "Die Sender versuchen, mit klassischer Hau-drauf-Methode Zeit zu gewinnen. Das ist eine klare Marktverhinderungs-Strategie."

Ähnlich wie im Fall der Fernsehfee dürfte die endgültige juristische Klärung Jahre dauern. Ob Westphal so viel Geduld hat, wird sich zeigen. Eine Alternativmöglichkeit für sein Geschäft deutet er immerhin an: "Unser System funktioniert genauso gut, wenn es in Indien steht." Ob der "Tatort" von letztem Sonntag auf einer Festplatte in Unterföhring gespeichert ist oder auf einer in Bangalore, spielt im Internet-Zeitalter in der Tat keine Rolle. Was sagte Mark Pesce noch über territorialen TV-Vertrieb? Richtig: Er existiert nicht mehr.

Parallelen zur Popmusik Im Mai dieses Jahres ging die Motion Pictures Association of America (MPAA) erstmals juristisch gegen die Betreiber von Bittorrent-Sites vor, auf denen vorwiegend TV-Serien zu finden waren. Wer den - zumeist vergeblichen - Kampf noch vor Augen hat, den die Musikindustrie gegen das Internet führte, erlebt derzeit ein Déjà-vu.

Der Fachjournalist Janko Röttgers hat in seinem Buch "Mix, Burn, R.I.P. Das Ende der Musikindustrie" detailliert geschildert, wie schnell eine ganze Branche durch veränderte Marktbedingungen in die Knie gehen kann. Röttgers warnt: "Das rabiate juristische Vorgehen gegen Nutzer von Filesharing-Diensten hat der Musikindustrie nichts eingebracht, außer einem vollkommen ruinierten Image bei den Musikfans." Auch Medienberater Terry Heaton hält diese Strategie für fatal: "Die alten Medien fahren eine Wagenburg auf und verteidigen ihr Geschäftsmodell mit allen Mitteln." Heaton empfiehlt den TV-Sendern, stattdessen neue Geschäftsideen zu erforschen. Seine bisherigen Erfahrungen dabei: "Es ist eine harte Nuss, die da zu knacken ist. Die Sender hängen ja schon ihr ganzes Leben lang an der Brust des Massenmarketings. Die Milch schmeckt gut, aber nun ist es Zeit, erwachsen zu werden."

Auch Mark Pesce ist inzwischen mit seinem Vortrag an der Fernsehschule bei Parallelen zur Popmusikbranche angekommen: "Jahrelang hieß es, es sei unmöglich, mit Musik-Downloads im Internet Geld zu verdienen. Dann kam Apple und zeigte mit iTunes, dass es eben doch geht." Vielleicht muss auch diesmal ein Außenstehender die zündende Idee liefern?

Pesce selbst hat ein interessantes Modell für das Fernsehen von morgen entwickelt, welches TV-Konzernen allerdings kaum gefallen dürfte: Sie tauchen in diesem Gedankenkonstrukt gar nicht auf. "Als ich mehrere Folgen "Galactica" heruntergeladen und angesehen hatte, fiel bei mir der Groschen. Mir wurde klar: Ich schaue gerade auf das wertvollste Stückchen Platz der Welt: die Senderkennung." Natürlich enthalten auch die im Internet kursierenden Episoden der Weltraum-Saga in einer Bildschirmecke den Schriftzug einer TV-Station. In diesem Fall den des britischen Senders Sky One.