Vor 20 Jahren: Der IBM-PC geht nach China
Als 2004 ein chinesischer Hersteller das PC-Geschäft von IBM übernimmt, ist das auch ein Signal für sich verschiebende Machtverhältnisse in der IT-Branche.
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Bis heute fĂĽhrt Lenovo die Marke "Thinkpad" fĂĽr Business-Laptops mit dem charakteristischen roten Knubbel.
(Bild: c't)
Hilfe, die Chinesen kommen! Die Nachricht, dass ein bis dahin weitgehend unbekannter chinesischer Hersteller das PC-Geschäft von "Big Blue" übernimmt, sendet im Dezember 2004 Schockwellen durch eine von den großen US-Firmen dominierte Branche: Lenovo kauft IBMs PC-Sparte für insgesamt 1,75 Milliarden US-Dollar.
Damit katapultiert sich Lenovo aus dem Stand in die Weltspitze der PC-Hersteller. Damals dominierten die großen US-Hersteller den Markt. Von den 178 Millionen Computern, die 2004 verkauft wurden, kamen 40 Prozent von Dell, HP und IBM – wobei "Big Blue" mit knapp 6 Prozent einen deutlich kleineren Marktanteil hatte als Dell (18 Prozent) und HP (16 Prozent).
Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich Lenovo an der Spitze gehalten. 2013 übernehmen die Chinesen erstmals die Marktführerschaft – und geben sie bis heute nicht mehr ab. Im Herbstquartal 2024 verkauft Lenovo 16,6 Millionen PCs und Laptops – das ist mehr als ein Viertel der weltweit verkauften Geräte.
Ăśbernahmen und Expansion
In den Jahren nach der Übernahme wächst Lenovo weiter. 2008 stößt das Unternehmen seine Mobilgeräte-Sparte ab, nur um sie ein Jahr später zurückzukaufen. 2011 steigen die Chinesen bei Aldi-Zulieferer Medion ein. 2014 übernimmt Lenovo die Motorola-Smartphones von Google – und kauft auch noch IBMs Serversparte.
Ausgerechnet IBM. Der traditionsreiche US-Hersteller von BĂĽromaschinen gilt als Erfinder des Personal Computers. Als in den 1980er Jahren der PC-Boom beginnt, werden die vom Kistenschieber aus Einzelkomponenten zusammengebauten Computer als "IBM-kompatibel" verkauft. Die Teile kommen von Firmen wie Lenovo, das damals noch QDI Legend heiĂźt und unter anderem Mainboards baut.
Am Anfang herrscht Skepsis: Fans der beliebten Thinkpad-Notebooks sorgen sich um die Qualität. IBM-Kunden – darunter viele Geschäftskunden – sind verunsichert, was jetzt mit Gewährleistung und Support wird. Lenovo fährt eine Charme-Offensive – und überzeugt die Skeptiker mit Produkten. Bis heute ist das Thinkpad ein verlässliches und beliebtes Arbeitspferd.
Die Geschichte von Lenovo spiegelt auch die veränderte Rolle der chinesischen Wirtschaft und deren Wahrnehmung im Westen wider. Lange waren die chinesischen Hersteller nur Zulieferer oder Auftragsfertiger für Unternehmen im Westen: China als "verlängerte Werkbank" der großen Hersteller.
Das neue China
Das hat sich in den vergangenen 20 Jahren geändert: Auftragsfertiger in China und Taiwan setzen ihr Know-how auch für eigene Marken ein. Neue chinesische Hersteller treiben technologische Innovationen voran und setzen Trends. Sie besetzten wichtige Positionen in den Lieferketten.
Aber was ist, wenn die chinesischen Geheimdienste Zugriff auf die Hardware wollen? Während die Welt inzwischen weiß, dass westliche Geheimdienste für den bisher größten Lauschangriff auf die Menschheit verantwortlich sind, ist die Sorge über Beijings Einfluss auf die globale IT-Lieferkette nach wie vor groß – wie zuletzt ein anderer chinesischer Riese erfahren hat: Huawei.
Mit der veränderten politischen Großwetterlage haben sich auch die Bedingungen für Lenovo erneut geändert. Das Unternehmen muss auf dem Spannungsfeld zwischen USA und China seine Lieferketten und Produktion absichern. Dafür sieht es sich dank zahlreicher Standorte im Ausland gerüstet.
Während sich Washington und Beijing mit Strafzöllen und Sanktionen überziehen, will Lenovo nun noch mehr Produktion ins Ausland verlagern. Lenovo betreibt bereits 30 Fabriken im Ausland, nach einem Investment-Deal mit Saudi-Arabien sollen dort neue hinzukommen. Der Großteil der Produktion ist aber nach wie vor in China.
Wirtschaftlich geht es Lenovo trotz derzeitiger Flaute auf dem PC-Markt gut. Der Hersteller profitiert vom KI-Boom und der steigenden Nachfrage nach leistungsstarken Rechnern. Im vergangenen Geschäftsquartal konnte Lenovo seinen Umsatz um 24 Prozent auf umgerechnet knapp 18 Milliarden US-Dollar steigern. Rund 17 Millionen Lenovo-Computer gingen während dieser drei Monate in den Handel.
(vbr)