Missing Link: Huawei-Sanktionen – Der Schuss geht nach hinten los

Huawei gehörte zu den ersten chinesischen Firmen, die US-Sanktionen zu spüren bekamen. Das Unternehmen antwortete mit einer Innovations- und Produktoffensive.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht

Der Huawei-Campus des Konzernhauptquartiers in Shenzhen.

(Bild: Huawei)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Timo Daum
Inhaltsverzeichnis

Huawei hat gerade sein neues Top-Smartphone angekündigt: Das Mate XT kostet immerhin 20.000 Yuan, umgerechnet 2500 Euro. Wenige Stunden nachdem Apple das neue iPhone 16 vorgestellt hat, zeigt Huawei sein neues Flaggschiff – ein deutlicher Fingerzeig an den Konkurrenten aus Cupertino. Das Mate XT setzt mit seinem dreifach faltbaren Bildschirm, der es vom Smartphone in ein Tablet verwandelt, neue Maßstäbe. Auch Xiaomi und Honor – Huaweis ehemalige Billigtochter – planen faltbare Smartphones auf den chinesischen Markt zu bringen, beide Unternehmen haben entsprechende Patente angemeldet.

Das Mate XT ist in China ein Riesenerfolg, der Hersteller spricht von rund sieben Millionen Bestellungen allein über den hauseigenen Online-Shop Vmall. Auch technisch kann sich das 5G-Mobiltelefon sehen lassen, wenn auch der im Gerät verbaute Achtkerner Kirin 9010 mit der Strukturbreite von 7 Nanometern nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit ist.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Kurz: Das Mate XT ist eine klare Ansage. Wie konnte Huawei so in die Produktoffensive gehen, gehörte es doch zu den ersten Opfern US-amerikanischer Sanktionspolitik? Ist der Versuch fehlgeschlagen, Huawei von westlichen Märkten und westlicher Technologie abzuschneiden?

Bereits im Oktober 2012 forderte der Geheimdienst-Sonderausschuss des US-Repräsentantenhauses "US-Netzwerkanbieter und Systementwickler dringend auf, andere Anbieter für ihre Projekte zu suchen". Begründet wurde das mit der Befürchtung, Huawei könne durch technologische Hintertüren dem chinesischen Staat Spionage ermöglichen. Huawei selbst hat solche Vorwürfe stets zurückgewiesen.

Die US-Sanktionspolitik setzt auf zwei Mechanismen: Zum einen wird der Marktzugang für Huaweis Produkte verunmöglicht oder behindert. Zum anderen soll Huawei der Zugang zu fortgeschrittener westlicher Technologie versperrt oder zumindest erschwert werden.

Ende 2018 verschärfte die Regierung unter US-Präsident Donald Trump die Sanktionen gegen den in Shenzhen ansässigen Mischkonzern. Das Handelsministerium setze Huawei auf eine schwarze Liste ("Entity List"). Das Unternehmen benötigte in der Folge eine Genehmigung der US-Regierung, um amerikanische Technologie zu kaufen. Im Mai 2020 stufte die Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC) Huawei als Bedrohung für die nationale Sicherheit ein. Amerikanische Unternehmen und solche, die US-Technologie oder Vorprodukte verwenden, dürfen Huawei seit 2020 nur mit Ausnahmegenehmigungen beliefern. Das betrifft insbesondere Chiphersteller, darunter auch chinesische.

Die Regierung unter Präsident Joe Biden setzte diese Politik fort: Im November 2021 trat der Secure Equipment Act in Kraft, der verhindern soll, dass Unternehmen wie Huawei neue Gerätelizenzen von US-Regulierungsbehörden erhalten. Darüber hinaus hat die US-Regierung im vergangenen Jahr den Verkauf von Mikrochips der neuesten Generation sowie von Technologie zu deren Herstellung generell verboten. Washington begründet das wegen einer möglichen militärischen Nutzung mit der Gefahr für die Sicherheit der USA. Peking wiederum sieht darin einen Versuch, Chinas wirtschaftliche und technologische Entwicklung zu bremsen. Angesichts der starken Abhängigkeit Huaweis von westlicher Technologie rechnete die US-Regierung wohl mit dessen Untergang.

Die Sanktionen blieben auch nicht ohne Wirkung: 2020 halbierten sich die Telefonverkäufe von Huawei nahezu; das Unternehmen meldete in allen Regionen mit Ausnahme seines Heimatlandes China rückläufige Einnahmen. Angesichts dieser Umsatzeinbußen stellte Huawei-CEO Ren Zhengfei in einer internen Besprechung fest: "Huawei kämpft um sein Überleben." Dass das Unternehmen trotzdem insgesamt profitabel blieb, ist nur dem Umstand zu verdanken, dass es auf dem riesigen Heimatmarkt deutlich zulegen konnte.

Die im Mai 2018 beschlossenen Sanktionen wurden erst im August 2022 in vollem Umfang umgesetzt. Dieses 27-monatige Zeitfenster nutzte Huawei, um Alternativen für die Versorgung mit Komponenten zu finden. Medienberichten zufolge konnte Huawei rund 13.000 Bauteile aus ausländischer Produktion durch solche aus chinesischer ersetzen. Ende 2019 war Huawei in der Lage, seine 5G-Basisstationen ohne US-Teile herzustellen.

Anfang 2023 erklärte Ren Zhengfei dann, der Kampf gegen die US-amerikanische "Eindämmung" neige sich dem Ende zu. Huaweis Ingenieure seien nun in der Lage, die Mehrzahl internationaler Komponenten zu ersetzen. Das Unternehmen holte konsequent die Produktions- und Lieferketten nach Hause. De-Risking geht also auch in die andere Richtung.

Um den US-Sanktionen zu entgehen, verkaufte Huawei auch die seit 2013 mit preiswerten Produkten auf eine junge Zielguppe ausgerichtete Tochtermarke Honor. Huawei betonte, selbst keine Anteile mehr zu halten und auch nicht an der Geschäftsführung oder Entscheidungsfindung beteiligt sein. Das Unternehmen ist jedoch auch unter der neuen Besitzstruktur – größter Anteilseigner ist die staatliche Vermögensaufsichts- und -verwaltungskommission von Shenzhen – recht erfolgreich.