Vorsicht, schlechter Fahrer

Dashcams zur Aufzeichnung des Verkehrsgeschehens werden immer beliebter. Eine neue App nutzt zusätzlich Sensor-Informationen vom Smartphone und soll so unter anderem vor schlechten Fahrern warnen.

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Von
  • Rachel Metz
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Man möchte lieber zusammen mit Eran Shir im Auto sitzen als im Auto vor ihm, vor allem, wenn man etwas macht, das man am Steuer lieber unterlassen sollte.

Shir ist Mitgründer und CEO eines Start-ups namens Nexar, das eine intelligente Dashcam-App entwickelt. Damit werden Fahrten aufgezeichnet, und Maschinenlern-Software und Sensoren auf dem Smartphone finden heraus, ob sich zum Beispiel ein Unfall ereignet. Wenn das der Fall ist, wird automatisch ein Video ins Web geladen.

Das Unternehmen hat vor kurzem 10,5 Millionen Dollar Wagniskapital aufgenommen, so dass es insgesamt mit 14,5 Millionen Dollar ausgestattet ist. Laut Shir werden die gesammelten Informationen verwendet, um andere Fahrer zu warnen, wenn zum Beispiel das Auto vor ihnen plötzlich scharf abbremst oder wenn eine gefährliche Kreuzung naht. Die App dafür ist kostenlos und derzeit nur für iPhones verfügbar.

Gleichzeitig will das Start-up seine Technologie nutzen, um Fahrerprofile zu erstellen, was die Straßen sicherer machen soll. Die App sammelt die Nummernschilder der Autos, die man unterwegs überholt, und erfasst auch kleinere Zwischenfälle, etwa wenn ein Fahrer einen anderen schneidet, erklärt Shir. Auf dieser Grundlage wird eine Fahrer-Bewertung für jedes erfasste Auto erstellt.

Auf diese Weise soll die App Nutzer ab Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres warnen, wenn sie in der Nähe von jemandem sind, der als schlechter Fahrer angesehen wird. Nexar räumt ein, dass das Datenschutzbedenken wecken könnte. In den USA sei es aber legal, weil die Nummernschilder auf öffentlichen Straßen fotografiert werden und weil hochgeladene Ereignisse von Software und Menschen ausgewertet werden, um Fehlalarme auszusortieren.

"Wenn wir Ihnen sagen, dieses Auto ist in unseren Augen gefährlich, ist unserer Meinung nach das richtige Gleichgewicht zwischen einem öffentlichen Gut und Privatsphäre erreicht", sagt Shir. "Wir wollen definitiv nicht wissen, woher Sie kommen und wohin Sie fahren."

Bei einer Rundfahrt durch San Francisco im Mietwagen führte Shir mir vor, wie Nexar Beschleunigungsmesser, Gyroskop und andere Sensoren im Telefon nutzen kann, um festzustellen, ob das Auto scharf bremst oder in einem Unfall verwickelt ist. Videos davon werden dann sofort zu den Servern von Nexar geschickt (so dass sie auch dann vorhanden sind, wenn das Smartphone mit der App zerstört wird). Alternativ kann man dem System mit Tippen oder per Sprachsteuerung sagen, dass ein bestimmtes Geschehen als Zwischenfall anzusehen ist.

Die Kennzeichnung von schlechten Fahrern ist so etwas wie die nächste Stufe von Aufklebern mit einer Telefonnummer am Heck, die man anrufen kann, um sich über den Fahrstil zu beklagen. Shir demonstrierte eine geplante neue Funktion, bei der die Kennzeichen der Autos in der Umgebung auf dem Bildschirm des Telefons angezeigt werden. Aus dieser Liste kann man Autos auswählen und gefährliche Aktionen ihrer Fahrer melden, etwa wenn sie eine rote Ampel ignorieren.

Shir und sein Mitgründer Bruno Fernandez-Ruiz hoffen, dass sich damit die Zahl der Unfälle im Straßenverkehr verringern lässt; allein in den USA gab es laut der National Highway Traffic Safety Administration 2014 insgesamt rund 6 Millionen davon mit fast 30.000 Todesfällen. Gleichzeitig könnte Nexar die Technologie für autonome Fahrzeuge voranbringen, weil dann mehr Informationen über das konkrete Fahrverhalten von anderen zur Verfügung stehen.

Laut Shir hat die App seit der Bereitstellung im Frühjahr "zehntausende" Nutzer gewonnen. Inzwischen haben sie zusammen 8 Millionen Kilometer zurückgelegt und 300.000 Zwischenfälle in Städten wie San Francisco, Tel Aviv oder New York gemeldet.

Dan Work ist Assistant Professor an der University of Illinois in Urbana-Champaign und beschäftigt sich mit Datenanalytik für städtische Verkehrssysteme. Nach seinen Worten wären Verkehrsplaner "bereit zu sterben", um Daten wie die von Nexar zu bekommen. Normalerweise gibt es als Information über Unfälle nur Polizeiberichte, die aber bei Beinahe-Unfällen natürlich nicht erstellt werden. Mit einer breiteren Grundlage könnte es laut Work möglich werden, Kreuzungen in Städten sicherer zu machen und Fahrer besser zu informieren.

Ob es allerdings auch sinnvoll ist, auf schlechte Fahrer in der Nähe hingewiesen zu werden, daran zweifelt Work einstweilen: "Um wirklich relevante Warnungen zu bekommen, müsste es eine sehr große Nutzerbasis geben", sagt er. Unmöglich sei das aber nicht.

(sma)