Bericht von der Apple-Konferenz WWDC 2012 in San Francisco

Einmal im Jahr wird San Francisco zur Pilgerstätte für Mac- und iOS-Entwickler. Wie spannend die Sessions und das Drumherum sind, hat einer aufgeschrieben, der zum ersten Mal dabei war.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Markus Stöbe
Inhaltsverzeichnis

Die Veranstaltung beeindruckt schon durch bloße Zahlen: 1000 Apple-Mitarbeiter informierten 5000 Teilnehmer aus 60 Ländern in 113 Sessions und Labs über die Neuigkeiten in Sachen Hard- und Software aus Cupertino. Die Karten waren schon 103 Minuten nach Ankündigung ausverkauft gewesen, was insbesondere die Entwickler von der Westküste vor den Kopf stieß. Flug- und Hoteltickets waren dagegen leicht zu kriegen.

Offiziell begann die WWDC mit der Keynote von Tim Cook um 10 Uhr, mein Wecker klingelte aber schon um halb sechs, denn der Andrang ist legendär. Wer zu spät kommt, muss draußen bleiben. Die Schlange der Wartenden konnte ich schon vom Hotel aus sehen: Nicht ihr Ende, sondern lediglich die dritte von insgesamt vier Kurven, um die sie sich wand. Einmal um den ganzen Block herum ging das Ungetüm. Immerhin: Vom Ende der Schlange aus sah man den Anfang – das weckte Hoffnung, tatsächlich rechtzeitig ins Moscone Center zu gelangen.

Schlange stehen ist auf Apples Entwicklerkonferenz Pflicht – nicht nur zur Keynote.

Ordner in Apple-Shirts dirigierten die Menge, sodass die Schlange nicht noch länger, sondern nur dichter wurde. Dadurch war man wenigstens in Bewegung. Nach nicht einmal einer Minute kam ich ins Gespräch mit anderen, die warteten. Dienstleister aus dem App-Store-Ökosystem offerierten hier und da neben ihrer Visitenkarte auch Süßigkeiten und Kaffee. So vergingen die dreieinhalb Stunden Wartezeit relativ angenehm.

Kurz vor Beginn war ich endlich drin, im größten Konferenzraum des Moscone West. Mit etwas Verspätung erlosch das Licht und die Show begann. Tim Cook, Craig Federighi und Scott Forstall berichteten über Apple, OS X, iOS und die neuen MacBooks. Das ist alles hinlänglich bekannt. Danach wurde es etwas ruhiger und weniger aufgeregt.

WWDC 2012 (11 Bilder)

Einige Themen der Veranstaltung konnte man schon den vorab aufgehängten Bannern entnehmen. (Bild: Markus Stöbe)

Nach einer langen Mittagspause und unter Ausschluss der Öffentlichkeit ging es am Nachmittag zur ersten Entwickler-Session, dem Plattforms Kickoff. Das ist eine Art Keynote für Entwickler, die die Highlights aller Neuerungen in iOS, OS X und den Entwicklertools präsentierte und die Planung der Restwoche erleichterte. Nach so viel Informationen war die Verleihung der Apple Design Awards leicht verdaulich – und ein willkommener Abschluss des ersten Tages.

So richtig in Fahrt kam die Veranstaltung erst ab dem zweiten Tag. Bis zu sechs Sessions fanden gleichzeitig statt – bis zu 18 am Vor- und Nachmittag. Die Themenpalette reichte von der Einführung in einzelne Frameworks wie Map Kit oder Core Video über Details zu Sandbox und Gatekeeper bis hin zu Gestenerkennung oder Maßnahmen zur Performance-Steigerung. Der Schwierigkeitsgrad variierte: Während die Einsteiger-Sessions die wichtigsten Grundlagen in aller Kürze vermittelten, musste man für die kniffeligen Vorträge schon ein fundiertes Wissen in Objective-C und Cocoa mitbringen, um folgen zu können.

Wie tief auch immer die Redner in die Materie einstiegen, alle überraschten mit sehr lockeren Vorträgen. Ivan Krstic, verantwortlich für die OS X Sandbox und selbst ernannter "Core OS Disaster Monkey", fragte eingangs, wer bereits erste Erfahrungen mit der Sandbox gemacht und deshalb nun eine Mistgabel dabei habe. Offensichtlich erwartete er sehr viel Gegenwind, doch der blieb aus. Stattdessen bejubelten die Anwesenden jede Erleichterung, die Apple in Sachen Sandboxing vorgenommen hatte.

Im Moscone Center West standen schon einige Tage vor der Veranstaltung alle Zeichen auf WWDC.

Andere Redner lockerten ihre Vorträge mit lustigen Demo-Anwendungen auf, etwa Ethan Tira-Thompson in seiner Einführung in das Camera-Framework mit StacheCam 2. Die App überlagerte das Livebild der iPad-Kamera mit falschem Schnurrbart oder Augenklappe und nutzte zur Ausrichtung die Gesichtserkennung und die Lagesensoren des Tablets.

Doch nicht jeder freute sich über die vorgestellten Neuerungen. In einer der vielen Warteschlangen machte ein Entwickler des Growl-Teams seinem Ärger Luft. Er arbeitet am Hardware-Growler-Plug-in für die Benachrichtigungs-Software. Das in Mountain Lion integrierte Notification Center bezeichnete er als direkten Konkurrenten und war wenig erfreut, sich nun in der Rolle des David wiederzufinden. Ans Aufgeben denke aber keiner im Team, dafür sei Growl dem Apple-Nachbau viel zu weit voraus. Kurz nach der WWDC bewiesen die Entwickler, dass sie es ernst meinen, und veröffentlichten Growl 2, das unter anderem eine Integration des Notification Center ermöglicht.

Ortwin Gentz, Chefentwickler des ortbasierten Such-Helfers Wohin?, verriet nach einem Vortrag, dass er sein Geschäft auf lange Sicht durch Apples neue Maps-Anwendung bedroht sieht. Zumindest in den USA kann auch iOS 6 beispielsweise Tankstellen oder Restaurants in der Umgebung des Nutzers finden. Apple kooperiert mit Branchengrößen wie Yelp und OpenTable, um Tische zu reservieren, was kleineren Firmen wie Gentz' FutureTap schwer falle. Aber auch er zeigte sich trotz allem kämpferisch und veröffentlichte vor wenigen Tagen Version 5 seiner Anwendung.

Für lockere Unterhaltung sorgten zur Mittagszeit die Lunchtime-Speakers. Schauspieler LeVar Burton (Star Trek TNG), Creative Director William Joyce, Regisseur des Oscar-prämierten Kurzfilms "The Fantastic Flying Books of Mr. Morris Lessmore", und Filmemacher J. J. Abrams (Lost, Armageddon) sprachen über die Einflüsse moderner Technik auf die Unterhaltungsindustrie. Dank der prominenten Sprecher waren die Vorträge äußerst gut besucht. Die Warteschlange füllte beinahe die gesamte oberste Etage des Moscone Centers und einige wenige mussten am Ende draußen bleiben.

Echte Entwickler tanzen nicht, das sah man auf Apples Party deutlich.

Am Donnerstagabend lud Apple zum traditionellen Beerbash, einer Open-Air-Party in den Yerba Buena Gardens. An diversen kleinen Ständen wurden Snacks und Getränke serviert. Für die Livemusik hatte Apple die Band Neon Trees verpflichtet, Scott Forstall versuchte sich als Moderator und Einheizer. Beide hatten wohl mit etwas enthusiastischeren Teilnehmern gerechnet, bissen bei den Entwicklern aber ein wenig die Zähne aus: Vor der Bühne tanzten nur wenige. "Das sind bestimmt Apple-Mitarbeiter", vermutete ein Gast neben mir. Meine eigene Interpretation des Wortes Tanzen brachte mir nur mitleidige Blicke der coolen Jungs ein, die nicht weit entfernt herumstanden – trotz fortgeschrittenen Sonnenuntergangs mit tiefschwarzen Sonnenbrillen. Trotzdem war es ein netter Abend und die Party eine gute Gelegenheit, Gleichgesinnte kennenzulernen.

Rund um die WWDC fanden auch andere Partys statt, etwa von den Machern der Spiele-Website Toucharcade, den Kollegen von The Loop oder von den Ausbildern der Big Nerd Ranch. Im Laufe der Jahre sind es so viele geworden, dass es inzwischen sogar ein eigenes WWDC-Party-Verzeichnis gibt.

Am Ende war eine Woche viel zu kurz, um all das geballte Wissen aufzunehmen. Zum Glück stellt Apple seit einigen Jahren kurz nach Ende WWDC-Videos von allen Vorträgen kostenlos ins Netz. Das hilft nicht nur jenen, die keine Karte mehr ergattern konnten, sondern enthebt auch die Teilnehmer weitestgehend von der Notwendigkeit, mitzuschreiben.

Statt einer App-Wall wie in den vergangenen Jahren zeigte ein mit iPads ausgelegter Tisch die Aktivitäten im App Store grafisch an.

Von der Konferenz können sowohl Einsteiger als auch Profis profitieren. Die Vorträge sind so breit gefächert, dass für jeden etwas dabei ist. In den Labs beantworten Apples Entwickler geduldig und kompetent die Fragen der Teilnehmer. Man merkt an allen Ecken und Enden, wie tief sie in der Materie stecken. Keine Frage bleibt unbeantwortet und auch Kritik findet immer ein offenes Ohr. Gerade beim heiklen Thema Sandboxing hat Apple in diesem Jahr bewiesen, dass man durchaus gewillt ist, zuzuhören und den Entwicklern entgegenzukommen. In Sachen Rahmenprogramm spielt Apple eine eher untergeordnete Rolle, die meisten Parties veranstalten die Fans selbst. Schade, dass man irgendwann auch schlafen muss, wenn man etwas von den Sessions am nächsten Tag haben will.

Die Möglichkeit, andere Entwickler kennenzulernen, ist nirgendwo so groß wie zu dieser jährlichen Veranstaltung in San Francisco. Ob Hobby-Programmierer, Ein-Mann-Unternehmen oder große Firma: Die WWDC lässt man sich nur ungern entgehen, zumal sich oft Gesprächs- und manchmal auch Geschäftspartner finden.

Dass Apple im nächsten Jahr mehr Karten verkauft, ist zweifelhaft. In das Moscone Center passen jedenfalls kaum mehr Leute. Möglich, dass Apple in seinem neuen Campus einen größeren Konferenzraum baut. Die Gelegenheit, dort vorbeizuschauen, würden sich bestimmt noch weniger Entwickler entgehen lassen wollen. Im nächsten Jahr ist das allerdings noch nicht fertig (vgl. Artikel in Mac & i Heft 3). (mst)