Schlaue Maschinen: Asiatische Weisheit

China entwickelt sich zu einer Größe im Bereich künstliche Intelligenz. Der Westen sollte diese KI-Revolution nicht fürchten. Er sollte sie kopieren.

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Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Will Knight
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Auf einer tropischen Insel, die die südliche Spitze Chinas markiert, pokert ein Computerprogramm namens Lengpudashi gegen ein Dutzend Menschen gleichzeitig. Sie haben keine Chance. Lengpudashi ist Mandarin und bedeutet "Eiskalter Poker-Meister". Genauso spielt es auch, dank einer neuartigen Technik der künstlichen Intelligenz. Es trickst seine Gegner in einer Zwei-Spieler-Variante von Texas Hold'em gnadenlos aus.

Austragungsort des Turniers ist ein Technologiepark in Haikou, der Hauptstadt der Insel Hainan. Draußen thronen moderne Hochhäuser über alternden Stadtvierteln. Unter den versammelten Gegenspielern finden sich mehrere Poker-Champions, bekannte chinesische Investoren, Unternehmer und CEOs, sogar der ein oder andere Fernsehstar. Die Spiele werden online übertragen. Millionen schauen zu. Die Veranstaltung kennzeichnet eine wachsende Begeisterung für künstliche Intelligenz in China. Doch es gibt auch ein Problem. Lengpudashi wurde nicht in Hainan, Peking oder Shanghai entwickelt. Er stammt aus Pittsburgh, USA.

Viele in China finden das unbefriedigend. Das Land unternimmt derzeit beispiellose Anstrengungen, das Feld der künstlichen Intelligenz zu beherrschen. Die Regierung plant, in den kommenden Jahren Hunderte von Milliarden Yuan (zig Milliarden Dollar) in die Technologie zu investieren. Unternehmen fördern und umsorgen KI-Talente auf breiter Front. Wenn diese landesweite Anstrengung erfolgreich ist – und es gibt viele Anzeichen dafür –, könnte sich China zu einer führenden Kraft in Sachen künstliche Intelligenz entwickeln. Und wenn, wie viele glauben, die künstliche Intelligenz der Schlüssel für künftiges Wachstum ist, dann wird Chinas Kompetenz in diesem Bereich dazu beitragen, seine Position als dominierende Wirtschaftsmacht in der Welt zu stärken.

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Die politische und wirtschaftliche Führung setzt jedenfalls voll auf künstliche Intelligenz, um Chinas Wirtschaft anzukurbeln. In den letzten Jahrzehnten konnte der boomende Fertigungssektor – neben Marktreformen zur Förderung von Außenhandel und Investitionen – Hunderte Millionen Menschen aus der Armut befreien, Wirtschaftsimperien schaffen und die chinesische Gesellschaft verändern. Doch das Produktionswachstum verlangsamt sich. Nun soll künstliche Intelligenz der nächste Schritt auf dem Weg in die Zukunft sein. Während man im Westen fürchtet, derartige Entwicklungen werden Arbeitsplätze beseitigen und die Schere zwischen Arm und Reich vergrößern, scheint China auf genau die entgegengesetzten Ergebnisse zu hoffen: auf den Fortgang seines Wirtschaftswunders.

Erst kürzlich hat die Regierung dafür ehrgeizige Ziele verkündet. Der Plan sieht vor, dass die einheimischen Wissenschaftler und Techniker innerhalb von drei Jahren zum technischen Niveau des Westens aufschließen. Spätestens 2030 dann soll "die ganze Welt" Chinas Forscher um ihre KI "beneiden".

Es gibt gute Gründe zu glauben, dass das Land diese Vision verwirklichen kann. Erstens hat es auf anderen Feldern wiederholt gezeigt, dass es große Pläne umsetzen kann. Anfang der 2000er-Jahre etwa kündigte die Regierung ein Hochgeschwindigkeits-Bahnnetz an, um die technologische Entwicklung voranzutreiben und das Verkehrssystem des Landes zu verbessern. Dieses Zugnetz ist heute das fortschrittlichste der Welt. "Wenn die chinesische Regierung einen solchen Plan ankündigt, hat das erhebliche Auswirkungen auf das Land und die Wirtschaft", sagt Andrew Ng, ein prominenter KI-Experte, der zuvor bei Chinas größtem Online-Suchunternehmen Baidu die KI-Technologie und -Strategie beaufsichtigte. "Es ist ein sehr starkes Signal an alle, dass etwas passieren wird."

Zweitens beginnt China nicht bei null. Der Plan der Regierung wird eine Entwicklung beschleunigen, die ohnehin längst begonnen hat. Die Technologieunternehmen des Landes, angeführt von den Internetgiganten Baidu, Alibaba und Tencent, stellen eine Vielzahl von KI-Experten ein, bauen neue Forschungszentren auf und investieren in Rechenzentren, die mit denen von Amazon, Google oder Microsoft konkurrieren. Baidu etwa hat das Potenzial künstlicher Intelligenz früh antizipiert und nutzt es nun, um sein gesamtes Geschäft neu zu erfinden.