Schlaue Maschinen: Asiatische Weisheit

Seite 3: Treffpunkt der KI-Forscher

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Ich treffe Xiaoou Tang, Gründer von SenseTime und Professor an der Chinese University of Hong Kong. Er ist spürbar stolz auf die Errungenschaften seines Unternehmens. Dessen Name, erklärt Tang, entstamme einer phonetischen Transkription des Namens der Shang-Dynastie und ihres ersten Herrschers, Tang. Deren Ära begann um 1600 vor Christus und war eine Zeit entscheidender Veränderungen. "China führte damals die Welt an", sagt Tang lächelnd. "In Zukunft werden wir wieder mit technologischen Innovationen vorangehen." Kaum ein Ort steht für diesen Anspruch besser als Shenzhen.

Die Stadt liegt nahe Hongkong in Südchina. Beim Anflug sehe ich eine Armada von Frachtschiffen, die im Südchinesischen Meer ankern. 1980 wurde Shenzhen, damals eine kleine Marktstadt, zur ersten Sonderwirtschaftszone Chinas ernannt, was ihr beispiellose wirtschaftliche und administrative Freiheiten einräumte.

Fertigungsimperien entstanden auf dem Rücken von Wanderarbeitern, die jedes erdenkliche Produkt herstellten. Die Bevölkerung stieg von 30000 auf über elf Millionen. Von dem neuen Wohlstand zeugen Palmen, farbenfrohe Hotels und belebte Bars und Restaurants. Die Stadt beherbergt heute globale Technologieunternehmen wie den Netzwerkgiganten Huawei, den Smartphone-Hersteller ZTE, die Elektroauto-Firma BYD oder den Internetkonzern Tencent.

Dessen Hauptsitz liegt im Stadtteil Nanshan und erstreckt sich über mehrere große Gebäude. Der Eingang ist belebt wie eine U-Bahn-Station. Froh, der stickigen Feuchtigkeit zu entkommen, beginne ich eine Führung, die Tencents Geschichte und Erfolge herausstellt. 2011 startete Tencent eine einfache Messaging-App nach dem Vorbild bereits in den USA existierender Produkte. Daraus entwickelte sich WeChat, eine Mobil-Plattform, die heute soziale Netzwerke, News, Spiele und ein Zahlungssystem unterstützt. Mit 889 Millionen aktiven Nutzern hat WeChat inzwischen den chinesischen Internetmarkt umfassend im Griff. Zudem besitzt Tencent einige sehr beliebte Spiele, darunter den Strategietitel "League of Legends", der jeden Monat von mehr als 100 Millionen Menschen gespielt wird.

Obwohl Tencent erst 2016 ein KI-Labor gründete, hat es bereits Dutzende von Forschern angeheuert und einen Außenposten in Seattle eröffnet. Die Forscher haben KI-Innovationen aus dem Westen kopiert, darunter DeepMinds AlphaGo. Das Labor leitet Tong Zhang, ein ruhiger Mann mit dünner Brille und rundem Gesicht, der zuvor in Baidus KI-Labor arbeitete und davor Professor an der Rutgers University war. Er spricht leise, mit vorsichtigen Pausen. KI sei entscheidend für Tencents Wachstumspläne, erklärt er, insbesondere außerhalb Chinas: "Ab einem gewissen Zeitpunkt reicht es einfach nicht mehr, zu kopieren. Man braucht eigene Fähigkeiten."

Doch im Unterschied zu DeepMind scheint Tencent keine spektakulären Demonstrationen zu den Fähigkeiten seiner KI zu planen. Meine Frage danach beantwortet Zhang nur mit einem "im Moment haben wir ein paar kleine Projekte, einige sind herausfordernder als andere". Im Vordergrund stehen eher praktische Anwendungen. Das Unternehmen verfügt, dank WeChat und einer weiteren Messaging-Plattform namens QQ, über eine erstaunliche Sammlung an Gesprächsdaten. Sie ließen sich verwenden, um die Systeme auf sinnvollere Konversationen zu trainieren. Damit wären eine bessere Dokumentenanalyse und -suche, aber auch deutlich intelligentere persönliche Assistenten möglich. In der Verarbeitung natürlicher Sprache sieht Zhang denn auch "die Herausforderung, aber auch die Chance" für KI.

Nach meiner Reise ist mir klar: China macht, wovon die westlichen Industrieländer vor allem reden. Unternehmen wie Google und Facebook gelingen heute zwar wichtige Fortschritte in der KI. Aber der volkswirtschaftliche Nutzen ist noch gering. Trotz allem medialen Getöse gibt es nur wenige Anzeichen dafür, dass der große Teil der Wirtschaft die Technologie auch nutzen will. Ich kann nicht umhin, an das Pokerturnier in Hainan zu denken und zu überlegen, ob der Rest der Welt sich von Lengpudashi, der Poker spielenden KI, nicht abschrecken – sondern inspirieren lassen sollte. Es scheint an der Zeit zu sein, Chinas Führung zu folgen und voll auf künstliche Intelligenz zu setzen.

(bsc)