Warme Worte für eine warme Zeit

Der dritte Teilbericht des aktuellen IPCC-Reports zur Eindämmung des Klimawandels ist unbefriedigend: Er hat zu wichtigen Problemen nicht viel zu sagen. Sein Thema ist im jetzigen Zuschnitt nicht mehr zeitgemäß. Eine Analyse.

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Von
  • Niels Boeing

Groß war die Aufregung Ende 1997, als nach einem nächtlichen Sitzungsmarathon sich die Delegierten in Kioto im letzten Moment auf ein internationales Klimaschutzprotokoll einigten. Der Klimawandel lag da noch in der Zukunft, und die internationale Klimaforschergemeinde predigte „Mitigation“, also Eindämmung. Damals hofften viele, dass die Ziele zur Minderung von CO2-Emissionen in verschiedenen entwickelteren Ländern dazu beitragen könnten, die Konzentration des wichtigsten Treibhausgases bald zu stabilisieren.

Zehn Jahre später ist Ernüchterung eingekehrt. Die USA haben das Kioto-Protokoll immer noch nicht ratifiziert (wenn auch einzelne US-Bundesstaaten es umzusetzen versuchen), obwohl sie nach wie vor für rund ein Viertel der CO2-Emissionen verantwortlich sind. Die Wetterlagen der vergangenen Jahre deuten darauf hin, dass der Klimawandel kein Ereignis für die Enkelgeneration, sondern bereits im Gange ist. Die CO2-Emissionen sind weit davon entfernt, 2012 die für jenes Jahr vereinbarten Werte zu erreichen. Und die Mechanismen des Kioto-Protokolls zur CO2-Ausstoßreduzierung greifen kaum.

Vor diesem Hintergrund muss die gestern veröffentlichte Zusammenfassung des dritten Teils des aktuellen IPCC-Klimareports unbefriedigend bleiben. So fehlt eine kritische Bestandsaufnahme von CO2-Emissionshandel (in der EU 2005 gestartet) oder Clean Development Mechanism – bisherigen Kernelementen der Mitigation-Strategie. Stattdessen werden sie weiterhin als wichtige Gegenmittel verschrieben. Sie kranken aber derzeit daran, dass sie das CO2 de facto nicht verteuern. Dabei stimmen die im Teilbericht ausgewerteten Modelle alle darin ein, dass eine CO2-Reduktion erst dann wirklich greift, wenn der Tonnenpreis für Kohlendioxid hoch genug ist. Das globale ökonomische Vermeidungspotenzial im Jahre 2030 würde bei einem Tonnenpreis von 100 Dollar bei bis zu 63 Prozent liegen.

Ausgeblendet bleibt auch im aktuellen Bericht das große Tabu der Klimadebatte: die Anpassung an eine sich erwärmende Welt mit extremeren Wetterereignissen. Im zweiten Teil des Reports, dessen Zusammenfassung Anfang April veröffentlicht wurde, war das Thema in einigen dürren Absätzen zwischen dem eigentlichen Gegenstand, den Folgen des Klimawandels, versteckt worden. Tatsächlich wäre es aber an der Zeit gewesen, potenzielle Anpassungskosten zu beziffern und in Relation zu CO2-Vermeidungskosten zu stellen. In der Klimaforscher-Gemeinde werden in letzter Zeit Stimmen lauter, die eine realistische Neujustierung der Erforschung des Klimawandels fordern. „Fast jede prognostizierte Klimafolge, die aus dem Treibhauseffekt resultiert, existiert bereits heute als größeres Problem“, stellte eine Gruppe britischer und amerikanischer Wissenschaftler im Februar im Wissenschaftsmagazin Nature fest. Es sei deshalb an der Zeit, Anpassung nicht als lokales, sondern ebenso wie CO2-Emissionsminderung als globales Problem zu betrachten und anzupacken.

Dass Anpassung an den Klimawandel unbedingt auf die Agenda der internationalen Klimapolitik gehört, zeigt folgender Sachverhalt: Selbst wenn es gelänge, die weltweiten CO2-Emissionen ab sofort auf dem Niveau des Jahres 2004 zu halten – was angesichts des Wirtschaftswachstums vor allem in China und Indien unrealistisch ist –, würde sich die globale Durchschnittstemperatur dennoch bis 2100 um etwa 1,5 bis 2 Grad Celsius erhöhen.

Manche der im Teilbericht vorgeschlagenen Maßnahmen, die zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes beitragen könnten, sind bereits seit vielen Jahren im Gespräch, können aber aufgrund partikularer Interessen bis heute nicht in großem Stil umgesetzt werden. So fordert der Bericht zum Beispiel „finanzielle Anreize, um Waldflächen zu vergrößern und Abholzung verhindern“, den Abbau von Subventionen für fossile Energieträger (also vor allem Kohle) oder „Investitionen in attraktiven öffentliche Verkehrsmittel und nicht-motorisierte Transportformen“. Alles Vorhaben, die auf jedem politischen Gipfel eifrig beklatscht und dann im Kampf mit Lobbyisten schnell verwässert werden. Sicher, die Maßnahmen werden dadurch nicht falsch, aber von einem politischen Bericht – das ist der IPPC-Report allemal – kann man mehr verlangen, auch wenn man um das diplomatische Gefeilsche um jede Formulierung weiß.

Nur ganz selten schimmert zwischen den Zeilen das eigentliche Problem durch: Die industriell-kapitalistische Welt, die den Klimawandel mit ziemlicher Sicherheit überhaupt erst angestoßen hat, braucht Wachstum, Wachstum, Wachstum. Ohne es funktioniert der Kapitalismus nicht, aber es sind Wachstumseffekte, die CO2-Einsparungen bei effizienteren Technologien wieder zunichte machen könnten. Die Aufholjagd Chinas und Indiens lässt Effizienzsteigerungen andernorts verpuffen. Dies nicht klar thematisiert zu haben, ist ein weiteres Versäumnis des Teilberichts, der sich immerhin mit der ökonomischen Seite des Klimawandels auseinandersetzt – und außer dem Kapitalismus ist nun einmal keine andere Wirtschaftsform übrig geblieben.

Was bleibt an interessanten Aussagen? Um eine Stabilisierung des CO2-Gehalts auf dem heutigen Level zu erreichen (350 – 400 ppm), müsste die CO2-Emissionen spätestens 2015 ihr Maximum erreichen und danach wieder sinken. Das würde den berühmten zwei Grad Erwärmung bis 2100 entsprechen, die irgendwann etwas willkürlich als noch vertretbarer Temperaturanstieg definiert wurden. Insgesamt sechs Zielkorridore für eine Stabilisierung listet der Teilbericht auf.

Er beziffert auch die möglichen Auswirkungen des Klimaschutzes auf das globale Bruttoinlandsprodukt: Die Maßnahmen, um die Konzentration von CO2 und Äquivalenten anderer Gase zwischen 445 und 710 ppm zu stabilisieren, könnten das globale BIP im Jahre 2030 um bis drei Prozent schrumpfen lassen, 2050 gar um bis zu 5,5 Prozent. Im günstigsten Fall könnten die Effizienzgewinne durch Klimaschutz das globale BIP 2050 auch um 1 Prozent steigen lassen.

Die optimistische Lesart des Teilberichts, die in vielen Berichten zum Ausdruck kommt, ist allerdings nicht unbedingt gerechtfertigt. Denn unter Punkt 24 heißt es etwa: „Staatliche Förderung ist für die meisten Energieforschungsprogramme in realen absoluten Größen in den vergangenen zwei Jahrzehnten gleich geblieben oder hat sogar abgenommen. Ihr Niveau liegt jetzt etwa halb so hoch wie 1980.“ Im Klartext heißt das: In der Klimaschutzpolitik sind gute 20 Jahre verschenkt worden. Denn schon in den achtziger Jahren war absehbar, dass ein Umbau unseres im Wesentlichen fossilen Energiesystems unumgänglich ist. Und den hält der IPCC-Bericht für den wichtigsten Ansatzpunkt, um den Klimawandel noch irgendwie einzudämmen.

Der nächste Klimareport des IPCC soll 2012 folgen. Man kann nur hoffen, dass zumindest der Zuschnitt des dritten Teilberichts im wahrsten Sinne des Wortes an die Realität angepasst wird. Statt „Mitigation of Climate Change“ sollte er sich künftig mit „Mitigation of and Adaptation to Climate Change“ befassen. (nbo)