Warum eine große US-Uni keine Klimakompensation mehr zahlt

Die University of California kauft keine Carbon Offsets mehr. Stattdessen will sie ihre Emissionen direkt verringern – und empfiehlt das auch anderen.

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CO2, Kraftwerk, Kohlekraftwerk

(Bild: yotily / shutterstock.com)

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Von
  • James Temple
Inhaltsverzeichnis

Im Herbst 2018 beauftragte die University of California (UC) ein eigenes Forscherteam, um herauszufinden, ob es ein Klimakompensationsprojekt gibt, das die Treibhausgasemissionen auf dem gesamten Campus zuverlässig ausgleichen würde. Gedacht wurde etwa an Baumpflanzungen im Regenwald. Wie sich zeigte, fand sich so gut wie nichts. "Wir haben den ganzen Markt unter die Lupe genommen, sind tiefer in die verschiedenen Projekttypen eingetaucht, die wir für vielversprechend hielten", sagt Barbara Haya, Direktorin des "Berkeley Carbon Trading Project" im Center for Environmental Public Policy der UC Berkeley. "Wir standen fast mit leeren Händen dar."

Die Forschungsergebnisse trugen dazu bei, dass das gesamte UC-Hochschulsystem seine Nachhaltigkeitspläne radikal überdachte. Im Juli kündigte die Universitätsleitung an, Klimakompensationen durch Dritte nahezu abzuschaffen. Stattdessen soll jetzt jede einzelne Hochschule Emissionsabgaben erheben und sich auf die direkte Senkung des eigenen Klimagas-Outputs konzentrieren. Das gilt für den gesamten Campus und die angeschlossenen medizinischen Einrichtungen.

Begleitet wurde das wiederum von Wissenschaftlern, die nun hoffen, dass andere Hochschulen oder gar die gesamte freie Wirtschaft davon lernen können. Außerdem wurde ein Internet-Angebot eingerichtet, auf dem die Gruppe die zahlreichen Probleme, die sie im Bereich der Klimakompensation entdeckt hat, anschaulich ausführt. Die Website enthält auch Informationen zu neuen Methoden, die für die Prüfung solcher Projekte verwendet werden sollten.

Die UC ist ein großes und einflussreiches öffentliches Hochschulsystem, das auch drei US-Nationallabore und insgesamt zehn Universitäten umfasst, darunter die UC Berkeley, die UC San Francisco und die UCLA in Los Angeles. Im Rahmen des Vorhabens wurde unter anderem versucht, erdgasbetriebene Anlagen auszutauschen und auch andere umweltbelastende Infrastruktur in ganz Kalifornien zu ersetzen. Holly Buck, Umweltsoziologin an der University of Buffalo, die das Projekt kennt, meint, dass die UC ein Vorbild für andere Unis, Organisationen und sogar ganze Städte sein kann. Dass eine Einrichtung des Bundesstaates sich so entscheidet, sei ein weiterer Schlag ins Kontor für die sowieso schon umstrittenen Kompensationssysteme.

Deren grundlegendes Versprechen besteht darin, dass Einzelpersonen oder Firmen ihren CO₂-Ausstoß ausgleichen können, indem sie dafür bezahlen, Bäume zu pflanzen, Abholzung zu stoppen oder andere Maßnahmen zu ergreifen, die Emissionen verringern oder Kohlendioxid aus der Atmosphäre ziehen sollen. Eine wachsende Zahl von Studien und Untersuchungsberichten hat jedoch ergeben, dass solche Projekte ihren Nutzen für das Klima auf verschiedene Weise dramatisch übertreiben können und oft kaum mehr als Greenwashing sind.

Und die wachsende Kritik fordert ihren Tribut. Jüngste Daten zeigen, dass die Nachfrage nach solchen Carbon Offsets sinkt, ebenso wie die Preise für Futures, d. h. eine Verpflichtung zum Kauf von Offsets zu einem festgelegten Preis zu einem späteren Zeitpunkt. Doch viele Unternehmen und selbst Staaten setzen weiterhin auf das Versprechen der Kompensationsmaßnahmen. Das Thema wird auch auf der seit dem 30. November in Dubai laufenden COP28-Klimakonferenz ein heißes Eisen sein. Es wird nach neuen Standards gesucht, wie ein von den Vereinten Nationen betriebener "Global Carbon Trading Market" aussehen könnte.

Expertin Haya, die sich seit zwei Jahrzehnten mit der Problematik solcher Kompensationsgeschäfte befasst, sieht drei wesentliche Schlussfolgerungen aus dem Forschungsprojekt, die sie in der Reihenfolge ihrer Priorität auflistet. Erstens: Kaufen Sie keine Carbon Offsets; konzentrieren Sie sich stattdessen auf die Reduzierung von Emissionen. Zweitens: Wenn Sie Klimakompensationen verwenden müssen, erstellen Sie Ihre eigenen. Und schließlich drittens: Wenn Sie keine eigenen entwickeln können, sollten Sie die Optionen auf dem Markt sehr genau prüfen und sich verpflichten, nur vertrauenswürdige Carbon Offsets zu kaufen. Genau das sei aber "ein schwieriger Weg", sagt sie, "allein schon wegen der schlechten Qualität auf dem heutigen Markt". An der UC hat man das hautnah erlebt. Im Jahr 2013 verpflichtete sich das Hochschulsystem, innerhalb von 12 Jahren auf dem gesamten Campus und in den Gesundheitszentren Klimaneutralität zu erreichen, indem sie auf emissionsfreie Fahrzeuge umsteigt, Projekte für erneuerbare Energien vorantreibt und weitere ähnliche Maßnahmen ergreift. Um dieses Ziel zu erreichen, wäre es jedoch parallel auch erforderlich gewesen, in erheblichem Umfang Klimakompensationen auf dem Markt zu erwerben.

Studenten, Dozenten und Haushalter der Universität äußerten schnell Bedenken über den Plan der Institution, sich auf ein so unzuverlässiges Klimainstrument zu verlassen und so viel in dieses zu investieren. Als Reaktion darauf wurde im Rahmen der "UC Carbon Neutrality Initiative" das "UC Carbon Abatement Committee" gegründet. Es sollte gemeinsam mit Mitarbeitern, Studenten und Lehrkräften jedes Campus die Beschaffungsstandards der Institution festlegte und die Arten von Projekten ermittelte, die diesen Standards entsprechen. Die Initiative stellte gleichzeitig auch Mittel für die erwähnte Forschungsarbeit zur Verfügung, die unter der Leitung von Haya die Fragen dann genauer untersuchte.

Es zeigte sich schnell, dass viele der Projekte nicht vertrauenswürdig waren. Das führte dazu, dass die Forscher letztendlich eine größere Lehre aus der Arbeit zogen, sagt Camille Kirk, die zuvor Direktorin für den Bereich Nachhaltigkeit an der UC Davis war. Sie übersah die Forschungsarbeit zusammen mit Mitarbeitern des UC Office of the President. Das Fazit: "Man kann sich nicht freikaufen." Kirk weiß, wovon sie spricht – heute ist sie Leiterin der Abteilung Nachhaltigkeit am J. Paul Getty Trust, einer der weltweit reichsten Kunstinstitutionen. "Letztlich ist es einfach besser, in sich selbst zu investieren, in seine Infrastruktur – und direkt an der Dekarbonisierung zu arbeiten." Diese Philosophie ist mehr oder weniger das, was jetzt im gesamten UC-Hochschulsystem zum Tragen kommt. Aufgrund der Ergebnisse des Carbon Abatement Committee, der immer deutlicher werdenden Kritik an Carbon Offsets und der Verschärfung der kalifornischen Klimaziele für die staatlichen Behörden entschied sich die UC schließlich dafür, ihren Nachhaltigkeitsplan neu zu gestalten.

In diesem Sommer ließ das Universitätssystem dann sein Ziel für 2025 fallen, nachdem es zu dem Schluss gekommen war, dass es für mehr als 50 Prozent seiner Klimaziele auf Kompensationsmaßnahmen hätte zurückgreifen müssen. Diese Käufe hätten die Hochschulen jährlich 20 bis 30 Millionen US-Dollar gekostet. "Wir waren nicht in der Lage, einen Punkt zu erreichen, an dem wir genügend Vertrauen hatten, dass wir die Menge an Kompensationen, die wir zur Erreichung unseres Ziels benötigen würden, beschaffen können", sagt Matt St.Clair, Chief Sustainability Officer des UC Office of the President. Sie entsprächen nicht den Qualitätsanforderungen.

Die UC hat sich nun zum Ziel gesetzt, ihren CO₂-Fußabdruck bis 2045 zu reduzieren – und zwar fast ausschließlich durch die direkte Eindämmung von Emissionen. In der aktualisierten Richtlinie zu nachhaltigen Praktiken wird darauf hingewiesen, dass jeder Campus dafür eine Gebühr von 25 Dollar für jede Tonne CO₂ erheben muss. Das Geld muss dann zur Verringerung der Treibhausgasemissionen oder zur Unterstützung von Programmen für mehr Klimagerechtigkeit verwendet werden. Zudem werden Community-Projekte unterstützt. Und der CO₂-Preis wird ab 2026 jedes Jahr um 5 % steigen.

Die UC hat nach eigenen Angaben ihre Emissionen bereits um 30 Prozent unter das Niveau von 2009 senken können, unter anderem durch Verbesserungen der Energieeffizienz und den Bau von mehr als 100 Solaranlagen auf dem Campus. Außerdem hat sie ein eigenes Versorgungsunternehmen gegründet, das sauberen Strom aus Solar-, Wind- und Wasserkraftanlagen bezieht. Die Mittel aus der Emissionsabgabe werden verwendet, um diese Bemühungen zu beschleunigen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf dem Ersatz von Erdgasturbinen auf dem Campus liegt, die bislang 80 Prozent der Emissionen des Systems verursachen.

Nach dem überarbeiteten Plan der UC dürfen Ausgleichsmaßnahmen nur bis zu 10 Prozent der Gesamtreduzierung an CO₂-Äquivalenten bis 2045 ausmachen. Weiterhin müssen alle Projekte die strengen Kriterien erfüllen, die der Ausschuss entwickelt hat – und sie müssen Klimagas aus der Atmosphäre entfernen, anstatt einfach nur Emissionen zu vermeiden. Eine Möglichkeit, die Projektqualität zu kontrollieren, besteht darin, eigene Kompensationsprojekte zu entwickeln, die es der Universität ermöglichen, Gelder an Dozenten und Studenten zu vergeben und gleichzeitig zu gewährleisten, dass die Projekte den Standards und Werten der Institution entsprechen. Ein weiteres Ziel des Carbon Abatement Committee war es, von der UC initiierte Projekte fortzuführen oder zu starten – auch um neue Ansätze zu erkunden und zu testen.

Im März 2019 richtete die UC einen Aufruf an Studenten und Forscher auf dem gesamten Campus. Das Komitee erhielt 80 Vorschläge und hat seither Pilotmittel für 12 Projekte zur Verfügung gestellt. Darunter ist ein Projekt der UC Santa Barbara, das Haushalte im ländlichen Ruanda mit Kochherden ausstattet, die sauberer und effizienter sind als die üblichen Kochmethoden, wodurch die Verschmutzung durch Treibhausgase und die Luftverschmutzung in Innenräumen verringert werden könnte. Ein Projekt der UC Davis soll die Methanemissionen aus dem Reisanbau im kalifornischen Central Valley durch die Entwässerung der Felder an bestimmten Stellen verringern. Ein Vorhaben der UCLA wiederum will aus CO₂ aus Kraftwerken und Industrieanlagen Beton herstellen.

Umweltsoziologin Buck von der Universität Buffalo ist gespannt auf die Ergebnisse dieser Pilotprojekte. Rigorose, von Fachleuten begutachtete Studien zu solchen Bemühungen können ihrer Ansicht nach dazu beitragen, das Verständnis dafür zu verbessern, was in diesem Bereich funktioniert. "Es ist ziemlich gut nachgewiesen, dass der Ansatz des freien Marktes solches Wissen nicht hervorbringt." Doch nicht jede Organisation hat die Reichweite und die Ressourcen, um eigene Projekte zu entwickeln. Und selbst die UC ist möglicherweise nicht in der Lage, alle ihre verbleibenden CO₂-Emissionen durch solche Bemühungen aus der Welt zu schaffen. In ihrem Bemühen, zuverlässigere Projekttypen für die Klimakompensation zu identifizieren, hat die UC-Forschungsgruppe einen Ansatz formalisiert, den sie Analyse des "Over/Under Crediting" nennt.

Denn: Die Methoden zur Schätzung des Klimanutzens eines Projekts werden manchmal über- und manchmal untertrieben. In der Praxis ist jedoch viel häufiger Ersteres der Fall. Betroffen sind besonders häufig bestimmte Klimakompensationen. Nehmen wir den forstwirtschaftlichen Bereich. Forscher haben hier gezeigt, dass die Methoden zur Vergabe von Carbon Credits, die von Naturschutzgruppen stammen, häufig das Ausmaß der Abholzung überschätzen, das man durch sie einspart.

Solche Programme können umgekehrt auch das Ausmaß außer Acht lassen, in dem ein Holzunternehmen den Holzeinschlag erhöht, um die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage auszugleichen, wenn ein Landbesitzer sich verpflichtet, die Abholzung gegen Carbon Offsets zu reduzieren. Es kann auch sein, dass die möglichen CO₂-Einsparungen einfach nicht lange genug vorhalten, um aus Klimaschutzsicht von Bedeutung zu sein, z. B. wenn später Waldbrände in Projektgebieten wüten.

Die Gruppe der UC Berkeley analysiert die Arten von Ausgleichsprojekten unter Berücksichtigung dieser und anderer bekannter Probleme und versucht dann zu berechnen, ob sie wirklich funktionieren. Wenn die Projekte diesen Test bestehen, müssen die Ergebnisse anschließend von mindestens zwei unabhängigen Wissenschaftlern überprüft werden oder einen formellen Peer-Review-Prozess in einer wissenschaftlichen Zeitschrift durchlaufen.

Im September musste bereits der größte US-Zertifizierer von Klimakompensationen, Verra, Punkt für Punkt auf eine ähnliche Studie von Haya und Kollegen reagieren, in der festgestellt wurde, dass vier der von ihm am häufigsten verwendeten Methoden für forstwirtschaftliche Projekte den Klimanutzen dramatisch überschätzten. Verra betont darin, dass man in den letzten zwei Jahren seine Methoden auf eine Weise aktualisiert habe, dass man den meisten Bedenken und Empfehlungen Rechnung trägt. Man setze sich für Transparenz ein und begrüße die Nachprüfung durch die Forschung.

Doch wenn Klimakompensationen so oft so schlecht sind, warum sollte man sich dann überhaupt mit ihnen befassen? Warum will die UC sie überhaupt einsetzen, um letztlich bis zu 10 Prozent ihrer Emissionen zu reduzieren? Ein Argument ist, dass einige Emissionsquellen noch lange Zeit nur schwer direkt zu beseitigen sein werden, wie z. B. die Emissionen aus dem Flugverkehr und der Verdauung von Kühen. Kompensationsgeschäfte können einen Mechanismus zur Finanzierung von Projekten schaffen, die einer solchen Verschmutzung entgegenwirken und sogar andere wichtige gesellschaftliche oder ökologische Vorteile bieten, wenn sie richtig umgesetzt werden.

Nehmen wir das Beispiel der bereits erwähnten Kochherde. Die Forscher der UC Berkeley fanden heraus, dass die bestehenden Methoden zur Bewertung der Auswirkungen der Ausstattung von Haushalten mit saubereren Kochgeräten den Klimanutzen bislang im Durchschnitt um das Sechs- bis Neunfache überbewerten.

Sie stellten aber auch fest, dass die Programme, wenn sie sorgfältig durchgeführt werden, sowohl die Treibhausgasemissionen senken als auch dazu beitragen könnten, einige der Millionen Menschen zu retten, die jährlich an den Folgen der Luftverschmutzung zuhause sterben. Es braucht nur konservativere Annahmen und Geräte, die mit sehr schadstoffarmen Brennstoffen betrieben werden,

Haya hofft, dass ihre Arbeit Gruppen, die Klimakompensationsprogramme anbieten, und die Regulierungsbehörden, die sie überwachen müssen, dazu ermutigt, die dabei entwickelten Bewertungsmethoden zu übernehmen. In Anbetracht der zunehmenden Kritik müssten viele dieser Projekte ihren Ansatz unbedingt ändern, wenn sie das Vertrauen in den Markt wiederherstellen wollen. In Anbetracht der langjährigen Probleme sollten Universitäten und andere potenzielle Käufer ihr Geld zuerst für die Reduzierung eigener Emissionen ausgeben – und den Kauf von Emissionszertifikaten als eine Art Akt der Nächstenliebe betrachten, der der Welt einen zusätzlichen Nutzen bringen könnte.

"Sehen Sie es als eine Art Spende, aber nicht als eine quantifizierbare, zertifizierte Carbon-Offset-Tonne", sagt die Expertin. Man müsse sich von der ganzen Idee der Klimakompensation verabschieden. "Man kann nicht fliegen, fahren und fossile Energieträger verbrennen – und dann jemand anderen dafür bezahlen, dass er etwas für einen tut." Die Auswirkungen des eigenen Handels bleiben bestehen.

(bsc)