Was der Alpha-Geek sieht

Ein Interview mit dem O'Reilly-Programmierer und Technologie-Kenner Rael Dornfest über Web-Services, Social Networks und neueste Internet-Trends

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Sascha Mattke
Inhaltsverzeichnis

Rael Dornfest spricht schnell und ruhig, wenn er über Technologietrends redet. Die Worte kommen mit einem leichten ausländischen Akzent aus seinem Mund. Er scheint froh darüber zu sein, dass sein in Breitband-Geschwindigkeit arbeitendes Gehirn das ausgeben kann, was es zuvor absorbiert und bereits verarbeitet hat.

Dornfest programmiert Software, lektoriert Bücher und organisiert Konferenzen für den renommierten O'Reilly-Verlag, der seit 20 Jahren populäre IT-Bücher herausbringt. Dank seines Jobs ist er am Puls der Zeit, was aktuelle Computertrends und die IT-Szene betrifft.

Dornfest war der Programm-Vorsitzender der viel beachteten "O'Reilly Emerging Technologies Conference", kurz E-Tech, die kürzlich in San Diego stattfand. Dornfest hatte ein "Küchenkabinett voller Alpha-Geeks", um die drei Tage mit Workshops und Sprechern zu füllen.

Das Thema: "Die Zukunft sehen, die Zukunft gestalten". Vor der Konferenz sprach Dornfest mit dem freien Journalisten Brad Stenger über ein Morgen voller "Social Software", drahtloser Geräte, Hardware-Hacks, neuer Schnittstellen, Dienste und Geschäftsmodelle.

Technology Review: Worauf achten Sie, wenn Sie Trends für O'Reilly bewerten müssen? Und wie folgen Sie denen dann?

Rael Dornfest: Vor einigen Jahren gab es in der New York Times einen Artikel über eine Spielefirma, die die coolsten Kids finden wollte, um ihre neue Software testen zu lassen. Also gingen die Mitarbeiter herum und fragten alle Kids: "Wer ist denn der Coolste, den Du kennst?" Die zeigten dann immer auf irgendjemanden. Das Kind, auf die die meisten anderen Kinder zeigten und das die Rolle dann auch annehmen wollte, wurde dann der Tester. Was wir bei O'Reilly tun, hat viel damit zu tun, diese Alphatiere, diese "Alpha-Geeks" zu finden.

Technology Review: Haben Sie das bei der Vorbereitung der O'Reilly Emerging Technologies Conference auch getan?

Dornfest: Wir wissen, wer diese cleveren Leute sind und was sie tun. Wir sagen, welche Stimmen wir gehört haben. Wir wollen jedes Jahr wachsen. Wir übernehmen Dinge aus dem vergangenen Jahr. Wir schauen, was es Neues gibt. Wir sehen uns an, was gewachsen und was nicht gewachsen ist, was sich verändert hat.

Technology Review: Hat das Konferenzpublikum über die Jahre gewechselt?

Dornfest: Als wir vor fünf Jahren begonnen haben, gab es ziemlich viele Peer-to-Peer-Hacker. Der Fokus lag bei Web-Services und es gab viele Leute, die über Sachen wie Pipelining, Koordinierung und Orchestrierung geredet haben. Dieses Thema verschwand sehr schnell. Was ich heute sehe, ist ein "Grassroots"-Phänomen.

Technology Review: Technology Review: Haben Sie dafür ein Beispiel?

Dornfest: Web-Services gibt es inzwischen fast überall. John Udell hat einen coolen Hack namens LibraryLookup fabriziert. Das funktioniert so: Man geht auf eine Buchseite bei Amazon.com und klickt anschließend auf einen Bookmark. Der führt einen dann direkt zur Seite der örtlichen Bibliothek und schaut dort nach, ob das Buch vorhanden ist. Udell war zuvor in die Bücherei und ihm wurde klar, dass die Leute dort Dateien frei miteinander tauschten. Es war nicht illegal, obwohl das alles urheberrechtlich geschützte Werke sind. Man konnte die leihen. Wenn man mit dem Lesen fertig war, konnte man sie einfach zurückbringen. Und das nennt sich Bibliothek. Erstaunlich!

Kleine Projekte wie dieses nenne ich verteilten E-Commerce: Es werden Dinge herausgebracht, die man alleine nicht machen könnte oder wollte. Gib eines Deiner Projekte in die Hände von Leuten, die einem sonst wohl nicht helfen würden. Da muss man nicht viel programmieren. Man kann Google für die Suche und für Werbung benutzen. Man nimmt Amazon für die Lieferung, den Verkauf, die Verifizierung und die Verfügbarkeit, eBay für Auktionen und Salesforce.com für das Kontakt-Management. Früher musste man sich all diese Werkzeuge selbst bauen.

Technology Review: Gibt es andere Technologiebeispiele von der E-Tech, die derzeit besonders nützlich werden?

Dornfest: Ich denke, dass RSS da gut passt. RSS steht für "RDF Site Summary" oder auch "Really Simple Syndication" ("sehr einfache Syndizierung") und ist ein XML-Metadaten-Format, mit dem Web-Inhalte zwischen Sites verteilt werden können. Ich habe an der RSS-Spezifikation mit ein paar anderen Leuten teilgenommen.

Technology Review: Warum ist RSS so wichtig?

Dornfest: Es ist einer der am weitesten verbreiteten Web-Services überhaupt. Es ist leicht zu dezentralisieren. Das Betreiben von Weblogs wurde von einem Popularitätswettbewerb ("Wer hat mich heute schon angepingt?") zu einer Informationsquelle. Die Browsing-Metapher für die Suche im Netz ist bald überholt. RSS und Syndizierung und Blogs haben den Weg verbreitert. Es gab darum vor einigen Jahren sehr viel Hype, aber erst im letzten Jahr fing es wirklich an zu kochen. Ich folge heute Spuren. Google findet einem die nahe liegenden Antworten. Google findet, was man sucht. Blogs zusammen mit RSS finden das, was man nie gesucht hat.

Technology Review: Was sie gerade beschrieben haben, lässt die Grenzlinie zwischen Web-Services und der so genannten "Social Software", der Software des Sozialen, verschwimmen.