Wer gewinnt beim virtuellen Radrennen unter Spitzensportlern?

Seite 2: Über eine Fantasiestrecke durch New York

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Auch die internationale Testagentur, die die Anti-Doping-Programme bei Olympischen Spiele durchführt, wird während der Meisterschaften Kontrollen bei den Fahrern vornehmen.

Dadurch gehe es sehr streng zu, sagt Frederik Broché, Technischer Direktor des belgischen Radsportverbands RLVB, der die traditionellen Radsportteams des Landes leitet. Er und seine Kollegen haben vor kurzem aus rund 50 Bewerbungen die Teilnehmer ausgewählt, die Belgien bei den virtuellen Rad-Weltmeisterschaften vertreten sollen.

Etwa die Hälfte der Bewerber ziehen Zwift anderen Formen des Radsports vor. Zwift sei schnell zu einem "Spezialsport“ geworden, sagt er. Die besten "Zwifter" sind nicht unbedingt erfahrene Outdoor-Radsportler und wären für einen solchen Wettbewerb nicht unbedingt geeignet. Einige wissen zum Beispiel nicht, wie sie ihre Arme anwinkeln, sich zusammenkauern und ihren Körper in eine gute Position bringen müssen, um den Luftwiderstand zu verringern. "Auf Indoor-Bikes hat man keinen Gegenwind, daher ist die Position völlig egal", sagt Broché, "auf der Straße dagegen sehr wichtig."

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Neben der Auswahl der einzelnen Fahrer für das Team auf der Grundlage ihrer allgemeinen Fitness und ihrer Zwift-Statistiken verfolgt Broché auch deren taktische Herangehensweise. Er kann die bisherigen Leistungen und Statistiken der Fahrer durchforsten und wählt speziell solche Teilnehmer, deren Erfahrung auf der Plattform darauf schließen lässt, dass sie die Strecke gut bewältigen werden.

Die diesjährigen Weltmeisterschaften finden auf dem Knickerbocker statt, einer der Fantasiestrecken von Zwift durch New York. Es ist eine Vision der Stadt in 100 Jahren, mit erhöhten gläsernen Radwegen, die sich an Wolkenkratzern vorbeischlängeln. Die Teilnehmer werden zwei Runden der Strecke absolvieren, was knapp 55 Kilometern Radfahren im Freien entspricht.

Zwift lege großen Wert darauf, die Rennen so zu gestalten, dass sie einen hohen Unterhaltungswert haben, sagt Parry. Die Zuschauer können die virtuellen Fahrer mit ihrem Rad auf der Strecke beobachten, aber auch per Livestream die realen Gesichter der einzelnen Teilnehmer in ihrem Wohnzimmer oder Trainingszentrum sehen.

Die Spannung wird noch durch eine weitere Möglichkeit erhöht. Anders als bei einem herkömmlichen Radrennen können die Teilnehmer bei Zwift ihre Leistung kurzzeitig durch Power-Ups verbessern – etwa durch eine 15-sekündige Verbesserung der Aerodynamik oder eine 30-sekündige Erhöhung des virtuellen Gewichts, wodurch ihr Avatar einen Hügel schneller hinunterfahren kann. Zu den Funktionen, die Zwift derzeit für die Plattform entwickelt, gehören "Boost-Zellen", die für einen kurzen Zeitraum eine Leistungssteigerung bieten. Es ist wie eine Mischung aus dem Autorennen-Videospiel MarioKart und dem Indoor-Bike von Peloton.

Trotz der fantasievollen Gestaltung der Rennstrecke ist Zwift bestrebt, das Terrain als Radfahruntergrund einigermaßen realistisch zu halten. Es gibt zum Beispiel keine Steigungen, die steiler als 20 Prozent sind.

Mit der zunehmenden Popularität des Radsports beziehen auch Trainer immer häufiger das virtuelle Radfahren in ihre Trainingspläne ein. Und sie stellen fest, dass einige Kunden ihre Hilfe nicht nur zur Vorbereitung auf virtuelle, sondern ebenso auf Rennen im Freien nutzen wollen.

Ric Stern, ein Radsporttrainer aus der Nähe von Brighton im Süden Englands, nimmt seit 1984 jedes Jahr an Radrennen teil. Seit 1998 ist er auch professioneller Trainer. Dank Plattformen für smarte Heimtrainer und Radsimulatoren wie RGT Cycling mache das Fahren in der Halle heute viel mehr Spaß als früher, sagt er.

Aber Radfahrer, die im Freien unterwegs sind, müssen einen gewissen Mut entwickeln, um schnell um Kurven zu fahren oder sehr nahe an andere Radfahrer heranzukommen, was im wirklichen Leben nervenaufreibend sein kann. Um solche Fähigkeiten zu entwickeln, argumentiert er, helfe Zwift nicht.

Sandra Beaubien, eine Mountainbikerin und Trainerin des kanadischen Mountainbike-Clubs Ride Ottawa in Kanada, nutzt Zwift gerne als Hilfsmittel zur Verbesserung ihrer Fitness. Sie und ihre Kunden können sich leichter auf das Training konzentrieren, wenn sie bei einer steilen Bergabfahrt nicht auf Äste oder Felsen achten müssen. Andererseits verlieren sie nach und nach die Erfahrung, wie man über bergiges Gelände steuert. Denn das kann man nur im Freien erleben.

Zwift testet derzeit, wie sich ihr System mit einer Bluetooth-fähigen "Elite Sterzo Smart"-Lenkplatte kombinieren ließe: einer Art schwenkbarem Sockel, der unter dem Vorderrad des Fahrrads angebracht wird. Er soll Lenkdaten erfassen, mit deren Hilfe der Fahrer seinen digitalen Avatar genauer steuern und während des Rennens real lenken könnte. Derzeit werden die Weltmeisterschaften nach Geschwindigkeit und Leistung bewertet, wobei die Position eines Fahrers im Feld automatisch zugewiesen wird.

Beaubien sagt, sie fahre gerne Rennen mit Zwift, würde aber gerne mehr Frauen auf der Plattform sehen, um an mehr reinen Frauenrennen teilnehmen zu können. Bei den Weltmeisterschaften sind Easler und andere weibliche Teilnehmer den Männern gleichgestellt. Es gibt die gleiche Anzahl von Teilnehmern bei Männern und Frauen, sie legen die gleiche Strecke zurück, und die Gewinner erhalten das gleiche Preisgeld: 8.000 Euro für den ersten Platz.

"Gegen die besten Radfahrer der Welt – zumindest im Rahmen von Zwift – anzutreten, ist schon sehr herausfordernd", sagt Easler, die froh ist, sich einfach nur qualifiziert zu haben. Aber die Chance, eine neue Leistungsstufe zu erreichen, ist unbestreitbar größer geworden. Und so fügt sie hinzu: "Top 10 wäre toll."

(jle)