Wie Japans Atomlobby auf einen neuen Klimaplan setzt

Die Regierung will Nippons Emissionen bis 2030 doppelt so schnell senken wie bisher geplant. Die Industrie wittert die Chance für eine Wiederbelebung der AKWs.

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Mitarbeiter der Internationalen Atomenergie-Organisation im havarierten Kraftwerk Fukushima Daiichi.

(Bild: Greg Webb / IAEA / cc-by-sa-2.0)

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Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Japans frisch aufgesetzter neuer Klimaplan gibt der Atomlobby neuen Schwung, die seit der Fukushima-Katastrophe von 2011 in der Defensive ist. Der Unternehmensverband Keidanren forderte bereits im März unverhohlen, bis 2030 die Zahl der reaktivierten Atommeiler von derzeit neun auf 30 Einheiten zu erhöhen. "Atomkraft nicht zu nutzen, ist keine Option", erklärte im Februar der Vorsitzende Hiroaki Nakanishi. Es müsse nun eine Diskussion darüber beginnen, wer eine neue Vision für die Atomkraft entwickeln könne.

Die Zeit drängt für die Fans der Atomkraft. Denn inzwischen tobt in der Regierung ein Meinungskampf mit den Fans erneuerbarer Energien um Japans neue Energiestrategie. Das mächtige Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (Meti) entwirft gerade die konkreten Pläne, mit denen die Regierung ihre massiv verschärften Klimaziele erreichen will.

Auf dem Klimagipfel von US-Präsident Joe Biden kündigte Regierungschef Yoshihide Suga an, dass Japan die Treibhausgasemissionen bis 2030 nicht mehr nur um 26 Prozent unter den Wert von 2013 senken will, sondern um 46 Prozent. Doch damit das gelingt, muss der Anteil von Öl-, Gas- und Kohlekraftwerken einer Modellrechnung zufolge auf 40 Prozent halbiert werden. Im bisherigen Plan ist fossilen Energieträgern ein Anteil von über 50 Prozent zugedacht.

Wie der Streit konkret ausgehen wird, ist noch offen. Das japanische Institut für Erneuerbare Energien (REI) wirbt für eine atom- und kohlestromfreie Lösung, um das Emissionsziel zu erreichen. Dafür müssten alle Atom- und Kohlekraftwerke durch Gaskraftwerke ersetzt und der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung auf 45 Prozent erhöht werden.

Aber da dieser Vorschlag sowohl auf den Widerstand der Atom- wie auch die Kohlelobby sowie die Überzeugungen vieler Wirtschaftsplaner und -politiker stößt, wird die Regierung wahrscheinlich an allen Energieträgern festhalten. In dem Fall kann Japans desavouierte Atomindustrie darauf hoffen, dass die Macht des Faktischen wenigsten mittelfristig zu einer Renaissance der Atomkraft führen wird.

Um den Anteil von thermischen Kraftwerken zu senken, kommen Atomkraftwerke und erneuerbare Energien in Frage. In der bisherigen Energiestrategie für 2030 sind sie mit einem Anteil von 20 beziehungsweise 22 bis 24 Prozent an der Stromproduktion eingeplant. Ein Atomstromanteil von 20 Prozent entspricht der Keidanren-Forderung, 30 der ursprünglich 54 Atomreaktoren des Landes wieder in Betrieb zu nehmen.

Das Problem für die Planer ist, dass dieser Wert auch gleichzeitig die Obergrenze für den Atomstromanteil darstellt. Denn an einen Reaktorneubau ist angesichts des öffentlichen Widerstands gegen die Atomkraft nicht zu denken. Das wiederum bedeutet, dass erneuerbare Energien bis 2030 gut 40 Prozent des Stroms liefern müssten.

Dies entspricht einer Verdopplung des ursprünglichen Ziels, ist aber weniger dramatisch, als es auf den ersten Blick scheint. Denn auch ohne starken politischen Rückenwind der Regierung haben vor allem Solarstromananlagen in den vergangenen Jahren geblüht. Grüne Energieträger liefern schon jetzt fast 20 Prozent des Stroms und erfüllen damit das ursprünglich für 2030 angepeilte Ziel schon heute.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Das Dilemma: Wenn Japan weniger Atomstrom will, müsste der Anteil von Wind-, Sonnen-, Wasser- und Geothermiekraftwerken dementsprechend steigen. Nur dürfte es schwierig sein, den Anteil der grünen Energieträger massiv über die 40-Prozent-Schwelle zu bekommen. Denn nach Aussage der REI-Direktorin Mika Kobayashi ist dies das Maximum an grünem Strom, den das derzeitige Netz überhaupt verkraften kann.

Die Wiederbelebung der Atomkraft hat allerdings einen weiteren Haken: Sie ist keine langfristige Lösung, Denn bis 2050 müssten viele Meiler aus Altersgründen vom Netz genommen werden. Und Neubaupläne gibt es wie erwähnt bisher nicht. Die politischen Signale legen nahe, dass es nicht zu einer Revolution, sondern nur einer Evolution in Japans Energiestrategie kommen wird.

Im langfristigen Klimaplan, mit dem die Regierung bis 2050 Klimaneutralität erreichen will, sind neben einer massiven Erhöhung erneuerbarer Energien weiterhin fossile Kraftwerke vorgesehen. Zudem plant die Regierung bereits, das Stromnetz aus- und gleichzeitig die Hürden für eine Wiederbelebung der Atomkraft abzubauen.

Ende April verlängerte die Atomaufsicht erstmals die maximale Betriebsdauer eines Reaktors von 40 auf 60 Jahre. Außerdem will die Japan AG auch bei der Entwicklung neuer Reaktortechnologien mitspielen. Die Regierung will Unternehmen unterstützen, die sich im Ausland an der Umsetzung kleiner modularer Reaktoren beteiligen, auf die weltweit die Befürworter der Atomkraft setzen.

Der Ingenieurskonzern JGC hat sich daraufhin im April an dem amerikanischen Unternehmen NuScale beteiligt, das einer der Pioniere dieser neuen Atomkraftwerke ist. Solange kein politisches Wunder geschieht, könnte Japan also im Ergebnis der verschärften Emissionsziele wieder stärker auf Atomkraft setzen – allen Zweifeln der Bevölkerung zum Trotz. (bsc)