Wie KI die Gesellschaft spaltet und was man dagegen tun kann

KI wirkt sich wie kaum eine andere Technik auf die Gesellschaft aus. Wie bei jedem Umbruch gibt es Gewinner und Verlierer. Ein Plädoyer zur Kollektivierung.

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(Bild: KI Midjourney | Collage c’t)

Lesezeit: 12 Min.
Inhaltsverzeichnis

Vor anderthalb Jahren löste ChatGPT eine regelrechte Hysterie rund um künstliche Intelligenz aus. Wenn generative Software plötzlich Texte, Bilder und Musik auf Knopfdruck erzeugt, hilft das vielen Menschen. Für andere, die bisher mit Texten, Bildern und Musik ihren Lebensunterhalt verdient haben, sind generative Modelle jedoch auch eine Bedrohung.

Zu den größten Profiteuren der KI-Entwicklung gehören ohne Zweifel US-amerikanische Großkonzerne wie Microsoft, Google und Nvidia. Sie haben die Ressourcen, liefern die Soft- und Hardware, um die großen Foundation-Modelle zu trainieren, auf denen ein ganzes Wirtschaftssystem verschiedener KI-Branchen aufsetzt.

KI-Kompendium: KI und Recht, Kunst und Bildung

Einen besonders guten Einblick in die Gedankenwelt der KI-Apologeten aus dem Silicon Valley bekommt man durch das Buch "The Coming Wave" des DeepMind-Mitgründers Mustafa Suleyman. Ihm zufolge hat die KI ähnliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Menschheit wie die Entdeckung des Feuermachens, des Rads oder der Elektrizität.

c't kompakt
  • KI beschleunigt die Kapitalakkumulation und verschärft die gesellschaftlichen Interessenkonflikte.
  • Ihre Entwicklung steht am Scheideweg: Folgt sie dem kommerziellen Weg der Webstühle oder dem der frei verfügbaren Schach-Engines.
  • Wenn KI-Modelle mit kostenlosen Daten aus dem Web trainieren, sollten sie nach dem Vorbild der Wikipedia jedermann kostenlos zur Verfügung stehen.

Solch große Töne bewirken zweierlei: Erstens heben sie die künstliche Intelligenz auf eine Stufe mit Erfindungen, die die Geschichte der Menschheit entscheidend beeinflusst haben. Zweitens disqualifizieren sie sämtliche Kritiker der KI als notorische Fortschrittsverweigerer. Suleymans Vergleiche missachten jedoch den historischen Materialismus, demnach die Einführung neuer Technologien stets von gesellschaftlichen Kämpfen begleitet wurden. Auf der einen Seite standen die Gewinner, die durch die neue Technologie zu Reichtum kamen, auf der anderen Seite die Verlierer, die durch sie verarmten.

In dieser Hinsicht scheinen zwei historische Vergleiche treffender: die des voll mechanisierten Webstuhls und die des Schachcomputers. Derzeit gibt es viele Parallelen zur Einführung der Webstühle zu Beginn der Industrialisierung, die zu zahlreichen Weberaufständen führten. Wenn die Weber vor 200 Jahren ihre Arbeit mit einem Webstuhl hätten vereinfachen und vom Produktivitätswachstum profitieren können, dann wären sie wohl nicht zu Maschinenstürmern geworden, sondern hätten die Technik genauso gefeiert wie die Fabrikbesitzer, denen die Webstühle gehörten.

Die Weber hatten damals kein Problem mit neuen Maschinen an sich, sondern mit der ungleichen Verteilung ihrer Besitzverhältnisse. Diese Ungleichheit nimmt heutzutage bei der Entwicklung generativer KI globale Dimensionen an. Denn nur eine Handvoll US-Konzerne hat die Mittel, neue Foundation-Modelle zu trainieren und die dafür nötigen Daten einzusammeln. Und im Unterschied zu einem 200 Jahre alten Webstuhl lernt eine KI immer weiter dazu, je mehr man sie benutzt. So wandert das Wissen der Nutzer unaufhaltsam in die Datenspeicher der KI-Konzerne, was die Kapitalakkumulation weiter beschleunigt.

Gewiss, heutzutage leben IT-Experten in einem goldenen Zeitalter, können sich aufgrund des Fachkräftemangels über fürstliche Gehälter freuen. Deshalb begrüßen sie die KI-Welle, verdienen mit Seminaren und Beratungen und wähnen sich auf der Seite der Gewinner. Die Frage ist: Wie lange hält dieser Boom an? Und was passiert danach? Zigtausende Start-ups strampeln sich ab, in der Hoffnung, zu den Gewinnern einer KI-Revolution zu gehören. Am Ende werden es aber nur die wenigsten ans vermeintlich rettende Ufer schaffen.

1785 patentierte Edmund Cartwright seinen voll mechanischen Webstuhl, Power Loom genannt, und trieb ihn drei Jahre später mit einer Dampfmaschine an. Der einsetzende Industrialisierungsschub führte zu zahlreichen Weberaufständen.

(Bild: Wellcome Library, London, CC BY 4.0)