Wie alte Birnbäume Nordsee-Riffen helfen sollen

Niederländische Forscher wollen Riffen in kalten Meeren helfen. Sie setzen auf künstliche Riffe aus Birnbäumen bei der Insel Texel – und haben erste Ergebnisse.

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Begutachtung der Birnbaum-Riffe.

(Bild: NIOZ)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert

Korallenriffe in den Tropen faszinieren wegen ihrer bunten Fische und der Mannigfaltigkeit an Organismen, die in und auf ihnen leben. Dass es auch in den Meeren der kühleren Breitengrade Riffe gibt, wissen nur wenige. Dabei sind auch sie regelrechte Hotspots der biologischen Vielfalt – und wie die Pendants in wärmeren Gefilden leider ebenso von einem Schwund betroffen. Doch niederländische Meeresbiologen haben einen Ansatz entwickelt, wie die Riff-Lebensräume neu wachsen könnten. Die zentrale Rolle dabei spielen Obstbäume, denn Jon Dickson und seine Kollegen vom Königlich Niederländischen Institut für Meeresforschung NIOZ auf der Insel Texel wollten die historische ökologische Rolle von Holz im Wattenmeer als Untergrund für neue Besiedlungen und als Keimzelle für überdauernde Riffe ausprobieren.

Vor dem Eingriff des Menschen in die Flusssysteme gelangten nämlich auch riesige Mengen an Treibholz in die Mündungsgebiete und die Meeresumwelt. Auch diese wurde zum Besiedlungsplatz und Lebensraum für Schalentiere und andere festsitzende Meeresorganismen. "Die Aufstauung von Flüssen und die Abholzung der Wälder an ihren Ufern haben in den letzten Jahrhunderten den Zufluss von Holz in die Flussmündungen beendet und damit die Verfügbarkeit dieses natürlichen Hartsubstrats für marine Riffgemeinschaften stark eingeschränkt", erklärt Dickson.

Für ihre Studie, die jüngst in "Frontiers in MarineScience" veröffentlicht wurde, griffen die Wissenschaftler auf alte Birnbäume zurück, kurzstämmige, 2,5 bis 3,5 Meter hohe Bäume mit dicht gewachsenen Ästen und Zweigen, die stark genug sind, um den Tideströmen im Wattenmeer standzuhalten. Sie stammen aus einer Obstbaumplantage, in der man 25 bis 35 Jahre alte Bäume fällte, die ihre wirtschaftliche Lebensdauer überschritten hatten.

Das Team baute daraus im vergangenen Jahr 32 pyramidenartige Strukturen aus jeweils sechs Bäumen. An ihren Standorten im so genannten Eijerlandse Gat zwischen Texel und Vlieland gossen sie die Stämme in Betonklötze ein und versenkten sie an vier verschiedenen Stellen auf den Meeresboden, sodass sie auch bei Ebbe noch drei Meter unter Wasser stehen.

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"Innerhalb von sechs Monaten waren die Baumriffe mit einer Fülle von sessilen Tieren und Algen bedeckt und beherbergten mehr Fische als die umliegenden Kontrollgebiete", so Dickson. Insgesamt fanden die Forscher nach dieser verhältnismäßig kurzen Zeit 15 Organismenarten in der Nähe der Birnbaumriffe, darunter Seepocken, Polypen, Seetang, Seesterne und Seesalat.

Außerdem fingen sie sechs Fisch- und vier Krebstierarten, während sie in den 200 Meter entfernten, sandigen Kontrollstandorten nur zwei Fischarten vorfanden. Überhaupt gab es in der Umgebung der Birnbaum-Riffe fünfmal mehr Fische, als in weiter entfernten Wattenmeergebieten. Dies zeige, so Dickson, dass die Erstbesiedlung natürlicher Baumriffe schnell erfolge und dass die Wiederherstellung von Gemeinschaften durch aktive Wiederherstellung möglich sei.

Warum es so wenige Riffe in der südlichen Nordsee gibt

Organismen siedeln sich auf Riffen an, weil diese Strukturen Strömungen und Wellen dämpfen und so empfindlichen Tieren und ihren Fortpflanzungsstadien einen ruhigen, geschützten und stabilen Lebensraum bieten, der gleichzeitig Nahrungs- und Brutstätte ist. Diese Rifftypen gingen in den letzten Jahrhunderten jedoch weltweit zurück. Landgewinnungen zerstörten Unterwasser-Lebensräume, die Offshore-Bauwerke zerstörten Boden und Muschelbänke wurden zur Gewinnung von Muschelkalk abgebaggert.

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert verlor die südliche Nordsee rund 25.000 Quadratkilometer Austernriffe durch überfischung. In den 1950er Jahren zerstörte dann die Garnelenfischerei mit ihren Grundschleppnetzen die Sandkorallen-Riffe, von Röhrenwürmer aus Sand und Schleim zusammengeklebt.

In jüngerer Zeit setzt auch der Klimawandel den wenigen verbliebenen Riffen zu. Immer stärkere Stürme und damit einhergehende kräftigere Wellen reißen die riffbildenden Organismen von ihren Untergründen ab.

Neue Riffe können sich in der Nordsee und im Wattenmeer natürlicherweise nicht mehr aufbauen. Denn sie brauchen für den Anfang einen harten Untergrund. Den gibt es aber in der Nordsee mit ihren Sand und Schlickböden kaum noch außer bei Helgoland, beim Borkum Riff und beim Sylter Außenriff. Denn die Steinfischerei baggerte einst die Felsen und Findlinge vom Meeresboden, Hinterlassenschaften der Eiszeit-Gletscher. Damit befestigte man Ufer und baute Wellenbrecher. Viele Hartsubstrate wurden auch verschüttet, weil geänderte Wasserströmungen nach großräumigen Eindeichungen alte Riffe unter Treibsand begruben.

Mit ihrem Experiment konnten die Forscher damit zeigen, dass ins Meer versenkte Obstbäume eine äußerst kostengünstige und wirksame Methode sind, um Riffe wiederherzustellen und die lokale Vielfalt des Meereslebens zu fördern.

Ob sich auch nicht-natürliche Fundamente für die Ansiedlung von Riffgemeinschaften eignen, etwa an den Offshore-Windkraftanlagen in der Nordsee, haben Wissenschaftler der Universität Wageningen um Benoit Berges und Marcel Rozemeijer untersucht. Denn die Fundamente der Windräder sind ebenso Hartsubstrate. Seit drei Jahren erforscht das Team an vier künstlichen Riffen neben den Windfarmen Borssele 1 und 2 nördlich des belgischen Seehafens Zeebrugge in 14 bis 38 Metern Tiefe, wie sich die Lebensräume entwickeln. Hier dienen ausgelegte Betonröhren als Unterschlupf für Dorsche und Hummer.

Dickson sieht das kritisch. Er schreibt in einer E-Mail: "Wir können zwar neue Riffe schaffen, aber ein 'reifes' Riff hat einen inneren Wert, sowohl wegen seiner biologischen Zusammensetzung als auch wegen der Tatsache, dass sich die dortigen Gemeinschaften an ihre unmittelbare Umgebung angepasst haben. Windkraftanlagen haben nur eine Lebensdauer von 20 bis 25 Jahren."

Mit ihren Birnbäumen wollen die Forscher von Texel aber biologisch abbaubare Riffe in großem Maßstab schaffen, die länger als nur ein paar Jahrzehnte in Ruhe gelassen werden können, damit sich Austern, Muscheln und andere festsitzende Organismen dort ansiedeln können. "Wenn das Holz verschwunden ist, hoffen wir, dass sich dort so viele Muscheln angesiedelt haben, dass sie zum Riff geworden sind", meint Dickson.

(jle)