CO2-Speicherung: Wie Alphabet X mit Seegras den Klimawandel stoppen will

Ein neues Forschungsprogramm soll mit Hilfe von Kameras, Bilderkennung und Maschinellem Lernen den in der Ozean-Biomasse gespeicherten Kohlenstoff aufspüren.

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Die Seegraswiesen am Waecicu Beach in Labuan Bajo, Indonesien.

(Bild: Agoes Rudianto)

Lesezeit: 17 Min.
Von
  • James Temple
Inhaltsverzeichnis

Vergangenen September war Bianca Bahman im Paradies. Sie schnorchelte über eine Seegraswiese vor der Westküste von Flores, einer Vulkaninsel im Osten Indonesiens. Doch sie war nicht zum Spaß hier: Während sie über den grünen Meeresboden schwamm, steuerte die Forscherin eine Unterwasserkamera, die an ein paar kleinen Pontons hing. Die stereoskopische Kamera nahm hochauflösende Bilder aus zwei leicht unterschiedlichen Blickwinkeln auf und erstellte so eine dreidimensionale Karte der bandförmigen Blätter, die aus dem Meeresboden sprießen.

Bahman ist Projektleiter bei Tidal, dessen Team diese Spezialkameras zusammen mit Bilderkennungstechnik und Maschinellem Lernen nutzt, um das Leben unter den Ozeanen besser zu verstehen. Der Ableger der Forschungsfirma Alphabet X der Google-Mutter Alphabet verwendet solche Kamerasysteme bereits seit mehreren Jahren zur Überwachung von Fischen in Aquafarmen vor der Küste Norwegens.

Wie MIT Technology Review erfuhr, will Tidal sein System künftig dazu nutzen, die Seegraswiesen in den Meeren der Welt zu erhalten und sogar neue zu pflanzen. Damit sollen Bemühungen beschleunigt werden, die Ozeane mehr Kohlendioxid aufnehmen zu lassen, als das bislang der Fall gewesen ist – und so den Klimawandel zu bekämpfen. Alphabet X ist eine so genannte Moonshot Factory. Aufgabe des Tidal-Projekts ist es, unser Verständnis der Unterwasser-Ökosysteme zu verbessern, um die Bemühungen zum Schutz der Ozeane angesichts der zunehmenden Bedrohung durch Verschmutzung, Überfischung und Versauerung zu fördern. "Unsere Werkzeuge könnten Bereiche erschließen, die in der Welt der Ozeane dringend benötigt werden", sagt Bahman.

Diverse Studien deuten darauf hin, dass die Ozeane einen beträchtlichen Teil der Milliarden zusätzlichen Tonnen Kohlendioxid aufnehmen könnten, die jedes Jahr aus der Atmosphäre entfernt werden müssten, um den Temperaturanstieg bis Mitte des Jahrhunderts in Grenzen zu halten. Um dies zu erreichen, müssten jedoch die Küstenökosysteme wiederhergestellt, mehr Algen gezüchtet und Nährstoffe zugeführt werden, um das Planktonwachstum zu stimulieren.

Tidal beschloss dabei, sich zunächst auf Seegras zu konzentrieren, weil es eine schnell wachsende Pflanze ist, die besonders effektiv Kohlendioxid aus flachen Gewässern absorbiert. Diese "Küstenwiesen" könnten nach Meinung der Forscher noch viel mehr Klimagas aufnehmen, wenn Küstengemeinden, Unternehmen oder gemeinnützige Organisationen helfen, sie wachsen zu lassen.

Wissenschaftler wissen bislang allerdings nur ansatzweise, wie viel Kohlenstoff Seegras tatsächlich bindet und welche Rolle die Pflanze bei der Regulierung des Klimas spielt. Ohne dieses Wissen und ohne erschwingliche Möglichkeiten, zu überprüfen, ob die Wiederherstellungsmaßnahmen tatsächlich mehr Kohlenstoff speichern, wird es schwierig, eventuelle Fortschritte zu verfolgen. Doch erst dann würde Seegras als Instrument zum Klimaschutz valide – und könnte etwa für Ausgleichsmaßnahmen der Industrie herangezüchtet werden.

Tidal hofft, das Problem durch die Entwicklung neuer Modelle und Algorithmen zu lösen, die die dreidimensionalen Karten des Seegrases, die es erfasst, in zuverlässige Schätzungen des damit gespeicherten Kohlenstoffs übersetzen. Wenn dies gelingt, könnten automatisierte Verfahren das Wachstum künftig überwachen. Dies könnte dazu beitragen, den Emissionshandel in Schwung zu bringen und dem neuartigen Speicherinstrument Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Das Team hofft, autonome Versionen seiner Werkzeuge zu entwickeln, möglicherweise in Form von schwimmenden Robotern, die mit seinen Spezialkameras ausgestattet sind und aus der Ferne Küstenlinien überwachen und das Wachstum oder den Verlust von Biomasse ermitteln. "Wenn wir diese Ökosysteme quantifizieren und messen können, können wir Investitionen zu ihrem Schutz und ihrer Erhaltung anregen", sagt Neil Davé, Geschäftsführer des Tidal-Projekts.

Alphabets Projekt "Tidal" (13 Bilder)

Terry Smith, Ingenieur bei Tidal, zieht ein Unterwasserkamerasystem über eine Seegraswiese in der Nähe des Manjerite Beach in Labuan Bajo, Indonesien.
(Bild: Agoes Rudianto)

Einige Wissenschaftler sind jedoch noch skeptisch, ob die Technologie von Tidal in der Lage sein wird, den sich verändernden Kohlenstoffgehalt in weit entfernten Winkeln der Erde genau abzuschätzen. Die Herausforderungen sind enorm. Tatsächlich werden Ausgleichsmaßnahmen wie diese zunehmend kritisiert: Studien zeigen, dass der Nutzen für das Klima überschätzt werden kann, Umweltrisiken entstehen oder es zu Ungerechtigkeiten für die Bevölkerung kommt. Davé räumt ein, dass man bislang noch nicht weiß, wie gut der Ansatz funktionieren wird. Deshalb sei man nun zusammen mit australischen Forschern nach Indonesien gekommen.