Wie die Eliteuniversität Yale mit ChatGPT umgeht

Ein Verbot von KI-Sprachmodellen kam für die Yale University nie infrage. Dennoch verfolgt die Hochschule eine besondere Strategie, so Provost Jenny Frederick.

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(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Tate Ryan-Mosley

Für viele junge Menschen ist der Herbst der eigentliche Jahresbeginn. Kein Feuerwerk, keine Vorsätze, aber frische Hefte, saubere Turnschuhe und vollgepackte Rucksäcke: Das neue Uni-Jahr bricht an. Das große Thema 2023 scheint dasselbe zu sein, das auch schon das Ende des letzten Jahres bestimmt hat: ChatGPT und andere große Sprachmodelle. Im letzten Winter und Frühjahr gab es so viele Schlagzeilen über KI im Klassenzimmer und im Hörsaal. Einige panische Schulen gingen sogar so weit, ChatGPT ganz zu verbieten.

Jenny Frederick, Provost der Yale University und Gründungsdirektorin des Poorvu Center for Teaching and Learning, weiß von der Thematik ein Lied zu singen. Sie war unter anderem federführend bei der Reaktion ihrer Hochschule auf ChatGPT. So habe man in Yale nie daran gedacht, ChatGPT zu verbieten. Stattdessen wollte man es integrieren. Im Folgenden beantwortet Frederick die wichtigsten Fragen zum Umgang der Elite-Uni mit großen Sprachmodellen.

Generative KI ist neu, aber von Studenten zu verlangen, zu lernen, was Maschinen können, ist es nicht.

Für die Lehre ist es von zentraler Wichtigkeit zu entscheiden, was man den Lernenden in einem Seminar oder Kurs beibringen möchte. Wenn ein Roboter diese Aufgabe angemessen erfüllen kann, muss es dann ein Umdenken geben, was man von seinen Studenten verlangt? Müssen wir die Messlatte höher legen? Wie sprechen wir mit unseren Studierenden darüber, was es bedeutet, beispielsweise einen Absatz zu strukturieren oder eine eigene Recherche durchzuführen? Was haben die Lernenden von dieser Arbeit? Wir alle lernen die schriftliche Division, auch wenn Taschenrechner das können. Was ist der Zweck davon?

Ich habe einen Fakultätsbeirat für das Poorvu Center und wir haben einen Mathematik-Professor in der Gruppe. Er lachte auf die Frage nur und sagte: "Oh, es ist irgendwie amüsant für mich, Ihnen allen dabei zuzusehen, wie Sie sich damit herumschlagen." Denn die Mathematiker mussten sich schon seit Jahrzehnten mit der Tatsache auseinandersetzen, dass Maschinen ihre Arbeit erledigen können.

Wir müssen also darüber nachdenken, wie wir das Lernen, das wir von unseren Studierenden verlangen, rechtfertigen können, wenn eine Maschine einen Job erledigen könnte.

Es ist noch zu früh, um den Schülern vorzuschreiben, wie sie KI-Technologie nutzen sollen.

In Yale wurde zu keinem Zeitpunkt darüber nachgedacht, ChatGPT und Co. zu verbieten. Wir haben darüber nachgedacht, wie wir in unserer Rolle als Universität ein Umfeld des Lernens und Experimentierens fördern können. Es handelt sich um eine neue Technologie, aber es ist nicht nur eine technische Veränderung, sondern ein gesellschaftlicher Wandel, der unser Menschenbild, unser Verständnis von Wissen, unser Verständnis von Lernen und dessen Bedeutung infrage stellt.

Ich habe meine Mitarbeiter zusammengetrommelt und gesagt: "Wir brauchen einen Leitfaden." Wir haben nicht notwendigerweise alle Antworten, aber wir müssen eine Reihe von Ressourcen für die Lehrkräfte bereitstellen, die sie sich ansehen können. Wir haben keine Richtlinie, die besagt, dass man bestimmte Dinge verwenden muss, welchen Rahmen das hat und was verboten wäre. Vergewissern Sie sich, dass Ihre Studierenden ein Gefühl dafür haben, inwieweit KI für den Kurs relevant ist, wie sie sie nutzen oder nicht nutzen sollten.

Die Verwendung von ChatGPT als Schummelhilfe ist weniger von Belang als die Frage, was zum Schummeln geführt hat.

Wenn wir darüber nachdenken, was einen Schüler dazu bringt zu schummeln, kommen wir schnell zu dem Schluss, dass das doch eigentlich niemand will. Die Leute zahlen gutes Geld für ihre Ausbildung. Aber was passiert, ist, dass den Studenten die Zeit davonläuft, dass sie ihre Fähigkeiten überschätzen, dass sie überfordert sind, dass sich etwas im Studium als wirklich schwierig erweist. Sie werden in eine Ecke gedrängt und treffen dann eine unglückliche Entscheidung.

Ich mache mir also viel mehr Sorgen über die Dinge, die die mentale Gesundheit betreffen oder das Zeitmanagement. Wie können wir unseren Studierenden dabei helfen, nicht in eine Ecke gedrängt zu werden, in der sie das, was sie eigentlich tun wollen, nicht tun können?

Natürlich vereinfacht ChatGPT den Prüfungsbetrug, aber ich denke, der Weg dorthin weiterhin derselbe. Wir müssen die Ursachen bekämpfen.

Schüler könnten ihre Privatsphäre gefährden.

Ich glaube, die Leute sind zu Recht etwas besorgt darüber, dass ihre Lernenden sensible Informationen in dieses System eingeben. Jedes Mal, wenn man [ChatGPT oder einen seiner Konkurrenten] benutzt, lernen die Systeme, werden besser. Es gibt ethische Fragen dazu, ob wir OpenAI nicht dadurch Arbeitskraft zur Verfügung stellen und was das überhaupt für ein Unternehmen ist.

Wir wissen nicht genau, wie die Dinge intern funktionieren und wie die Eingaben der Studenten im Laufe der Zeit aufbewahrt, verwaltet, überwacht oder kontrolliert werden, das hat nichts mit Verschwörungstheorien zu tun. Wenn wir von Studenten verlangen, die Technik zu verwenden, sind wir für deren Sicherheit und Privatsphäre verantwortlich. Die Datenschutzvorgaben von Yale sind streng – aus gutem Grund.

Die Lehrer sollten sich an ihren Schülern orientieren.

Die Studenten sind Lehrkräften in Sachen Technik im Allgemeinen weit voraus. Sie sind in einer Welt aufgewachsen, in der neue Verfahren kommen und gehen, sie probieren alles aus. Und natürlich ist ChatGPT der letzte Schrei, also benutzen sie es auch. Und sie wollen es verantwortungsvoll nutzen. Sie fragen sich: "Was ist damit erlaubt? Schau dir all das an, was ich damit anfangen könnte. Darf ich das?"

Der Rat, den ich unseren Lehrkräften gegeben habe, war, dass Sie es selbst ausprobieren sollten. Sie müssen zumindest wissen, was Ihre Studenten damit nun anfangen können, und über Ihre eigenen Aufgaben und die Möglichkeiten dieser Tools nachdenken. Welche Richtlinien oder Anweisungen sollten sie den Studierenden geben, wenn es darum geht, ob sie die Technik nutzen dürfen? Auf welche Art dürfen sie sie nutzen?

Dabei sollen sie nicht alleingelassen werden. Sie können mit Ihren Studenten ins Gespräch kommen. Sie können mitgestalten. Warum sollten Sie nicht auf die Erfahrungen in Ihrem Seminarraum zurückgreifen? Man sollte sich als Dozent oder Professor darüber im Klaren sein, dass die Welt jetzt über KI verfügt. Die Studenten müssen also auf eine Welt vorbereitet werden, in der die Technik auf verschiedene Weise in die Industrie integriert wird. Wir sind diejenigen, die sie sie darauf vorbereiten.

(jle)