Religion: Gedanken an Gott begünstigen Akzeptanz von KI

Forschende haben ein verblüffendes Mittel gegen die weit verbreitete Skepsis gegenüber Empfehlungs-Algorithmen gefunden.

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(Bild: Doidam 10 / Shutterstock.com)

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Während vor allem generative KI-Systeme wie ChatGPT Millionen von Usern anziehen, registrieren Forschende gleichzeitig ein grundsätzliches Misstrauen von Menschen gegenüber Ratschlägen und Empfehlungen von Algorithmen. Und das ausdrücklich auch, wenn die Menschen wissen, dass die Empfehlungs-Algorithmen funktionieren und menschlichen Beratern überlegen sind. Forschende haben nun ein verblüffendes Mittel gefunden, um diese "Algorithm Aversion" zumindest deutlich abzuschwächen: Das Hervorrufen religiöser Gedanken.

Das Phänomen der Abneigung gegenüber Algorithmen wird seit einigen Jahren intensiv erforscht, denn der Effekt beeinflusst auch die Bereitschaft von Menschen, mit Software oder Robotern zusammenzuarbeiten. Wie er sich erklären lässt, ist aber im Wesentlichen noch nicht verstanden. In einer umfangreichen Literaturstudie haben Ekaterina Jussupow und Kollegen 2020 vier Faktoren identifiziert, die Abneigung gegen Algorithmen beeinflussen: die Autonomie von Algorithmen, die wahrgenommene und tatsächliche Performance der Algorithmen und das Ausmaß menschlicher Beteiligung an der algorithmischen Entscheidungsfindung. Aus der Literatur ließen sich aber zu diesem Zeitpunkt nur sehr allgemeine tendenzielle Aussagen wie zum Beispiel "Algorithmen mit mehr Autonomie werden stärker abgelehnt" treffen.

Mustafa Karataş von der Nazarbayev University in Kasachstan und Keisha M. Cutright schlagen nun folgendes vor: Wenn Menschen an Gott denken – nach ihrer Auffassung der Kern religiöser Gefühle und Einstellungen –, entwickeln sie tendenziell ein Gefühl für ihre eigene Begrenztheit und sind daher eher geneigt, sich von einer Maschine beraten zu lassen. In einem Aufsatz für die Fachzeitschrift PNAS beschreiben Karataş und Cutright ihre Studie.

"Wir geben zu, dass die These auf den ersten Blick kontraintuitiv zu sein scheint", schreiben die Autoren in ihrem Paper. "Es wird allgemein angenommen, dass ein stärkerer Gottesbezug zu einer konservativen Haltung führt, weniger Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen, und verminderter Risikobereitschaft. Das würde nahelegen, dass Menschen mit einem stärkeren Gottesbezug weniger offen gegenüber neuen Technologien wie KI sind".

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In mehreren Experimenten konnten Karataş und Cutright ihre These jedoch tatsächlich belegen. So gaben sie in einem ersten Experiment ihren Probanden die Aufgabe aufzuschreiben, was sie persönlich mit dem Gedanken an Gott verbinden, während die Kontrollgruppe aufschrieb, wie ihr Tag verlaufen war. In der Psychologie wird diese Vorbereitung Priming genannt. Anschließend sollten die Teilnehmenden für 24 Themenfelder – von Empfehlungen für einen Kinofilm bis hin zu Dating-Vorschlägen – bewerten, wie sehr sie menschlichen und maschinellen Ratschlägen vertrauen würden. Über alle Themenfelder hinweg war das Vertrauen der auf Gedanken an Gott vorbereiteten Teilnehmer in menschliche Ratschläge niedriger als das der Kontrollgruppe.

Deutlich stärker zeigte sich der Effekt in weiteren, mehr spezifischen Experimenten. So versuchten die Forschenden Gedanken an Gott durch "An- oder Abwesenheit von Umweltreizen" zu induzieren. In einer Studie befragten sie beispielsweise Teilnehmende vor einer Moschee, welchen Snack sie bevorzugen würden, in welchen Fonds sie investieren oder welches Musikstück sie lieber hören würden: einen von führenden Experten empfohlenen oder einen von einer KI ausgesuchten. Die Kontrollgruppe wurde an einem Ort ohne religiösen Kontext befragt.

In einem anderem Setting spielten sie im Warteraum einer Zahnklinik entweder religiöse oder nicht-religiöse Musik. Bevor sie zur Behandlung gingen, sollten die Teilnehmenden einen kurzen Fragebogen zur Musik im Warteraum ausfüllen. Nach der Behandlung konnten sie dann als "Belohnung" für die Teilnahme ein Nahrungsergänzungsmittel mit Omega-3-Fettsäuren auswählen. Eines, das von einer KI und eines, das von einem menschlichen Experten empfohlen wurde. Unabhängig vom Produkt und Setting zeigte die Interventionsgruppe eine um 10 bis15 Prozent höhere Bereitschaft, den Algorithmen zu trauen.

Als praktische Methode zur Steigerung der Maschinen-Akzeptanz sehen die Autoren ihren Ansatz allerdings nicht. Sie betonen stattdessen, die Arbeit leiste "einen wichtigen Beitrag, um die Akzeptanz von KI zur Entscheidungs-Unterstützung besser zu verstehen".

(wst)