"Wir könnten ein Atomkraftwerk ersetzen"

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Allerdings sind durchschnittlich 1000 Liter pro Sekunde auch bei einem kleinen Fluss oder Bach sehr schnell erreicht. Die Suhre ist über weite Strecken nur 4 bis 5 Meter breit, rund 50 cm tief und in ein enges Flussbett gezwängt. Dieses haben wir beim Bau in Schöftland auf einer Länge von gut 200 Metern auf bis zu 50 m verbreitert, fünf Staustufen abgebaut und zudem in das Hochwasserschutzkonzept des Kantons integriert.

Wichtig zu wissen ist, dass wir bei all unseren Projekten bestehende Fluss-Treppen oder anderweitige Fluss-Verbauungen (in der Schweiz gibt es über 27.000 mit einer Höhe von mehr als 50 cm) oder stillgelegte alte Klein-Wasserkraftwerke (über 6000 in der Schweiz) nutzen. Wir machen sie dann voll durchgängig für Fische und Kleinlebewesen und renaturieren und revitalisieren den Fluss.

In der Schweiz und der EU sind seit letztem Jahr neue Gesetze in Kraft, die vorschreiben, dass alle Flüsse bis in ein paar Jahren voll fischdurchgängig gemacht werden müssen. Die Herstellung der Fischdurchgängigkeit mit Hilfe eines Wasserwirbelkraftwerkes amortisiert und finanziert sich somit de facto wie von selbst, ohne den Steuerzahler zu belasten. Das heißt auch, dass ein enges Flussbett verbreitert und der Natur wieder mehr Freiraum gegeben wird, wie das Beispiel in Schöftland schön zeigt. Man nennt dies auch Mäandrieren.

TR: Ist die Technik serienreif? Ließen sich weitgehend fertige Anlagen exportieren oder ist die jeweilige Anpassung sehr aufwendig?

Styger: Die Technologie ist grundsätzlich serienreif, kann oder muss aber immer noch weiter verbessert und optimiert werden. Wie schon gesagt, stecken wir sehr viel Aufwand in die Forschung und Weiterentwicklung. Aktuell entsteht im Technopark in Windisch im Kanton Aargau eine 1:5-Testanlage in unserem Forschungszentrum am Fluss Reuss. Bei jeder Anlage, die wir bauen, werden wir natürlich dazulernen und unsere Abläufe verbessern und die Leistung der Energiegewinnung erhöhen.

Das Wichtigste ist aber, wie schon gesagt, die Renaturierung / Revitalisierung und die Fischdurchgängigkeit, die immer dabei ist. Wir können uns auch gut vorstellen, komplette "Bausätze" oder weitgehend fertige Anlagen in verschiedenen Größen und Materialien zu exportieren und zu bauen. Auch daran forschen wir aktuell auch mit Partnern in Deutschland. Die Anpassung ist bei jedem Projekt individuell verschieden. Dank unserer Engineering- und Baupartner hält sich der Aufwand aber jeweils in Grenzen. Wir arbeiten dabei mit modernen CAD-Programmen und Planungstools.

TR: Lohnt sich der Output, den man von einem herkömmlichen Fließgewässer erhält? Wie groß müsste eine Anlage sein, um eine ganze Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern zu versorgen?

Styger: Der finanzielle Aufwand für eine Wasserwirbelanlage ist rund drei- bis viermal niedriger als ein herkömmliches Flusskraftwerk vergleichbarer Größe. In Schöftland betrug dieser Aufwand komplett nur rund 245.000 Euro. Normalerweise wird ein Kraftwerk in 30 bis 50 Jahre oder mehr amortisiert. Ein Wasserwirbelkraftwerk wird sich in nur 20 bis 25 Jahren amortisieren. Die Anlagen sind außerdem für einen Dauerbetrieb von 50 bis 100 Jahren ausgelegt. In der Pilotanlage in Schöftland, die mit einem Beckendurchmesser von 6,5 m und einer Fallhöhe von 1,7 m betrieben wird, entstehen je nach Wassermenge 5 bis 15 Kilowattstunden elektrische Leistung. Diese Menge entspricht einer Jahresproduktion von 100.000 bis 130.000 kW und reicht für gut 20 bis 25 Schweizer Familien oder einen Jahresstrombedarf von 50 bis 60 Personen.

Alte, stillgelegte, aber auch viele relativ neue Standorte (bei bestehenden Flusstreppen oder Flussbegradigungen) können oder müssen sogar renaturiert werden. Diese eignen sich bestens als Standort für Wasserwirbelkraftwerke. In der Schweiz haben wir das Potenzial für mehrere Tausend verschieden große Anlagen. Eine einzige Einheit, die für den Strombedarf von 20.000 Einwohnern reicht, wird durch uns aber so nie gebaut werden und ist auch so nicht geplant – wir arbeiten dezentral.

Wir haben errechnet, dass wir in der Schweiz das Potenzial haben, ein komplettes Atomkraftwerk durch Wasserwirbelanlagen kostengünstiger und nachhaltiger zu ersetzen – oder ein neues AKW dadurch nicht bauen zu müssen. Auch die Thematik der Endlagerung und das Recycling der Brennstäbe oder anderer schädlicher Stoffe wie bei anderen Stromgewinnungstechnologien entfällt natürlich vollständig. Zudem ist der Wirkungsgrad etwa doppelt so hoch wie bei einem Atomkraftwerk.

TR: Ist es vorstellbar, Einzelpersonen anzuschließen oder ist der Aufwand noch zu groß?

Styger: Wir können uns gut vorstellen, auch für ländliche Gebiete auf verschiedenen Kontinenten und für einzelne Familien oder Siedlungen, die weit abgelegen an einem Fluss gebaut wurden, relativ kleine Anlagen zu bauen. Auch darum arbeiten und forschen wir in der Schweiz und Deutschland mit verschiedenen Fachhochschulen und Universitäten zusammen. (bsc)