"Wir müssen das Netz der Zukunft formen"

Seite 2: "Wir müssen das Netz der Zukunft formen"

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TR: Was ist der grundlegende Unterschied zwischen diesen beiden Alternativen?

Santucci: Der Hauptunterschied bei der Forschung nach einer Architektur, die entweder auf Evolution oder Neuanfang angelegt wird, ist dass die erste Variante darauf abzielt, Probleme zu lösen und neue Dienstleistungen zu ermöglichen, ohne das vorhandene Internet wegzuwerfen. Das ist nicht notwendigerweise stufenweise und kurzsichtig. Aber es betont die Rolle des effektiven Zusammenhangs, in dem eine mögliche Lösung vorgeschlagen wird, um die neuen Erwartungen und Anforderungen zu erfüllen.

Seinerseits strebt das Paradigma des Neuanfangs an, die grundlegenden Probleme und Beschränkungen des vorhandenen Netzes zu adressieren – wie Sicherheit und die Belastbarkeit der Infrastrukturen, was mit wachsenden Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre verbunden ist – ohne durch die Architektur oder die Protokolle begrenzt zu werden, die momentan verwendet werden.

Die Europäische Kommission regt die Entwicklung kohärenter Roadmaps für die industrielle Forschung an, in Partnerschaft mit der Hochschulforschung. Zusätzliche Projekte werden folgen, sobald sich das siebte Rahmenprogramm, und noch spezifischer: dessen IKT-Themen, weiter entwickeln. Auf der anderen Seite wurden fünf europäische Technologie-Plattformen aktiv auf dem Gebiet der Netzwerktechnologien (eMobility, NEM, NESSI, ISI und EPoSS) ersucht, strategische Orientierungshilfe in Bezug auf das Internet der Zukunft zur Verfügung zu stellen.

TR: Sie erwähnen selbst häufig 3D Online-Spiele, respektive die virtuellen Welten. Es verwundert ein wenig, dass sich die EU für dieses in seiner Nützlichkeit durchaus umstrittene Thema interessiert.

Santucci: Gut, es mag ein bisschen eigenartig erscheinen. Aber betrachten Sie einfach mal den Fall der 3D-Technologien, denen durch populäre Spiele oder virtuelle Welten wie "Second Life" der Weg bereitet worden ist. In fünf Jahren hat sich der Umsatz rund um Online-Spiele verdreifacht, und bei virtuellen Welten wird geschätzt, dass sie mehr als 60 Million Benutzer weltweit anziehen.

Diese Tendenz eröffnet interessante Aussichten für ein "3D-Internet", mit Anwendungen der virtuellen Realität, die die Flexibilität und die Geschwindigkeit der digitalen Welt besitzen. Es versteht sich von selbst, dass zusätzlich zu den neuen technologischen Anforderungen, die der zugrunde liegenden Netzwerk-Infrastruktur dadurch gestellt werden, eine systematische Ausbreitung dieser virtuellen 3D-Welten weitere neue Herausforderungen mit sich bringt. Dazu gehört das Management multipler Identitäten, die Umwandlung virtueller Güter in reale Geldwerte und die Aufstellung von Richtlinien für den Datenschutz auch bei den digitalen Avataren.

TR: Und das besitzt auch einen gehörigen geschäftlichen Nutzen und ist nicht nur gut für Spiele?

Santucci: Zweifellos. Die Visionen zum Internet der Dinge, dem Internet der Dienste und dem Internet der 3D-Welten erschließen eine Bandbreite kolossaler Geschäftschancen für IKT-Hersteller und die Provider. Darüber hinaus bieten sich auch neue Gelegenheiten für strategische Bündnisse zwischen IKT- und Nicht-IKT-Industrien in Europa an. Für Hauptmärkte wie Automatisierung, Energieerzeugung und Management, Gesundheitspflege, pharmazeutische Produkte, Logistik, Umwelt und so weiter kann so besser gesorgt werden.

Neben der geschäftlichen Dimension sollten wir auch den sozialen und gesellschaftlichen Gehalt der Technologie hervorheben. Die Anwendungen des Netzes der Zukunft versehen Bürger und besonders jene mit speziellen Anliegen, mit neuem Hilfsmittel und der Unterstützung ihrer täglichen Bedürfnisse. Schauen Sie beispielsweise einmal, was Professor Ken Sakamura in Japan mit ubiquitärer Computertechnologie bereits begonnen hat. Alle Gegenstände werden vernetzt.

In meinen Präsentationen unterscheide ich noch zwischen dem Internet der Dinge, dem Internet der Dienste und dem Internet der 3D-Welten. Das tue ich hauptsächlich aus pädagogischen Gründen. Tatsächlich sehe ich aber voraus, dass zumindest das Internet der Dinge und das Internet der Dienste am Ende in ein nahtloses, einziges Konzept verschmelzen.