"Wir müssen das Netz der Zukunft formen"

Gerald Santucci von der Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien der Europäischen Kommission über die Zukunft des Netzes als ein "Internet der Dinge".

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Lesezeit: 20 Min.
Von
  • Tom Sperlich
Inhaltsverzeichnis

Gerald Santucci arbeitet seit Februar 1986 in der Generaldirektion Informationsgesellschaft und Medien der Europäischen Kommission. Seit März 2007 ist er Leiter der Einheit "Networked Enterprise & Radio Frequency Identification" und kümmert sich unter anderem um die Forschungsprogramme im aufstrebenden Bereich RFID und die Standards auf europäischer Ebene.

Technology Review: Herr Santucci, Sie sagen sehr deutlich, dass das Internet, wie wir es kennen, verschwinden wird. Wie meinen Sie das?

Gerald Santucci: Die Infrastruktur des Netzes hat sich in den letzten Jahren verändert und wird sich auch weiterhin entwickeln, um das Aufkommen neuer Dienstleistungen und Anwendungen zu ermöglichen. Betrachten Sie einfach nur das Wachstum von Unternehmen wie Google, Amazon, eBay und anderen sowie das der Rechnerinfrastrukturen und Dienstleistungen, die erforderlich sind, das alles zu unterstützen. Im nächsten Jahrzehnt werden die Entwicklungen und Innovationen in der Netz- und Service-Infrastruktur andauern. Dies wird momentan am Besten durch die sehr großen Investitionen illustriert, die die führenden Kommunikationsdiensteanbieter in IP-basierende "Next Generation"-Netzwerke tätigen.

Um was geht es also? Nun, ich glaube, dass wir darin übereinstimmen können, dass, obgleich sich die Infrastruktur des Internet insgesamt entwickelt hat, dies auf die zugrunde liegende Architektur jedoch nicht zutrifft. Jeder weiß, dass das Internet ursprünglich nicht mit der Idee entworfen wurde, dass eines Tages für die Endbenutzer mehr als 100 Megabit pro Sekunde verfügbar sein würden. Und Mobilität wurde in der ursprünglichen Architektur einfach ignoriert.

Wir gehen jetzt ziemlich schnell in Richtung auf vier Milliarden Mobilfunk-Nutzer weltweit zu, darunter ein bedeutender Teil von ihnen, die gerne "on the move" auf das Internet zugreifen wollen. Wäre es da klug, die ursprüngliche Architektur des Internets nur auszubessern, zu "patchen", damit diese langfristig befriedigend wird, und die Begrenzungen zu adressieren, die die ständig wachsende Nachfrage nach Bandbreite und Mobilität auf die Internet-Architektur verdeutlicht? Ich glaube nicht.

Betrachten wir einige der auftauchenden Tendenzen, die wahrscheinlich die Entwicklung des Netzes vorantreiben werden: das Internet of Things ("Internet der Dinge"), das Internet of Services ("Internet der Dienste") und das Internet of 3D Worlds ("Internet der 3D-Welten"). Die schnelle Entwicklung dieser Trends zeigt, dass die physikalischen Elemente des heutigen Netzes nicht ausreichen werden, um alles Erforderliche zur Verfügung zu stellen, um die Nachfrage in den bevorstehenden fünf bis 10 Jahren befriedigen zu können.

Die Internet-Architektur wird sich also entwickeln müssen. Dies kann entweder mit einem langfristigen oder schrittweisen Ansatz erfolgen. Mit anderen Worten: Entweder verbessern wir das heutige Internet oder beginnen auf Basis eines Redesigns mit einem kompletten Neuanfang ("clean slate"). Evolution versus Revolution: Dies ist, um es vereinfacht auszudrücken, das spezielle Problem oder die Situation bezogen auf das Internet der Zukunft, mit der die Welt heute konfrontiert ist.

TR: Aber das Netz funktioniert doch heute noch ziemlich gut.

Santucci: Ja. Das heutige Internet ist ein klarer Erfolg. Die Zahl der Internet-Hosts ist von 213 im Jahr 1981 auf mehr als 540 Millionen im Januar 2008 gewachsen! Die Zahl der Nutzer erreichte 1,3 Milliarden im Dezember 2007, was einem Fünftel der Weltbevölkerung entspricht. Jedoch erfüllen einige Aspekte des existierenden Netzes die gegenwärtigen Erwartungen und die zukünftigen Anforderungen nach einer zuverlässigen und wirkungsvollen Kommunikationsinfrastruktur nicht. Sollten wir ein neues Internet mit der Technologie entwickeln, wie sie heute existiert? Oder sollten wir zuerst gänzlich verstehen, was die zukünftigen Anforderungen sind, um dann die Entwicklung der Netzwerk- und Infrastruktur-Elemente des Netzes von Morgen, entsprechend diesen Anforderungen, fein zu justieren?

Das Internet of Things ist ein großer Trend und eine Chance, obgleich es noch Unterschiede zwischen den Aktiven gibt, wie das Konzept gedeutet werden sollte. Aber es gibt durchaus einiges an Übereinstimmung, dass wir sehr schnell die Integration der physikalischen Welt mit der digitalen Welt sehen werden. Informationen über Objekte in der realen Welt und ihren jeweiligen Umgebungen werden von den "Dingen" selbst zur Verfügung gestellt, mit Hilfe einer Vielzahl von Sensoren und drahtloser Kommunikationsgeräte.

Das beschreibt die Vision von Milliarden physikalischer Gegenstände, ausgestattet mit Embedded-Chips mit Kommunikationsfähigkeit, Sensoren, Aktuatoren, etc. Wenn diese Zeit kommt – und das ist keine Angelegenheit vieler Jahre, da Forscher es auf einem experimentellen Niveau heute schon einsetzen - dann gibt uns das einige Hinweise darauf, was getan werden sollte, um die Architektur des Netzes neu zu entwerfen, anstatt einfach zu sagen: "Lasst uns das Internet behalten wie es ist und lasst uns sehen, ob wir einige Teile hier reparieren und einige Schichten dort noch anfügen können."

TR: Sie glauben also, dass das als Evolution passieren wird - und nicht als Revolution?

Santucci: Wir können die Zukunft nicht voraussagen. Niemand kann sagen, ob ein evolutionäres Netzwerk-Design besser ist oder ein revolutionäres Netzwerk-Design. Aber, was wir vermutlich gegenwärtig sagen können, ist, dass es unvernünftig sein würde, jetzt eine Wahl zu treffen. Lassen Sie uns die Vielfalt von Ideen und Innovationen anregen und unterstützen, die in den kooperativen Forschungsprojekten ablaufen, die durch die EU finanziert werden. Lassen Sie uns in die Entwicklung mehrerer, konkurrierender Lösungen investieren, und lassen Sie uns zur rechten Zeit auf die reale Welt bauen, um angesichts der Begrenzungen und Anforderungen eine Auswahl der besten Innovationen vorzuschlagen.