Zahlen, bitte! Aus zwei mach eins: Die erste Raumstation für 275 Minuten

Die Kopplung zweier Raumfahrzeuge gilt als anspruchvolles Manöver. Sojus 4 und Sojus 5 zeigten, dass es für Menschen möglich ist, sich im All zu treffen.

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Inhaltsverzeichnis

Ein Rendezvous im All – also die gezielte Annäherung zweier Raumflugkörper im All – ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, insbesondere wenn es sich um Raumschiffe handelt, die jeweils separat gestartet sind. Schließlich müssen beide Flugrouten gut vorberechnet werden, damit beide Objekte gleichzeitig in einer gemeinsamen Umlaufbahn zusammentreffen.

Die sowjetischen Sojus 4 und 5 flogen am 16. Januar 1969 nicht nur nah beieinander, sondern dockten gemeinsam an und es fand ein Transfer zweier Kosmonauten von der einen in die andere Kapsel statt. Das war damit das erste erfolgreiche Andocken zweier bemannter Raumfahrzeuge mit Austausch von Kosmonauten im All, Thema unseres heutigen Zahlen, bitte!.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Zum Jahresbeginn 1969 war das Rennen zwischen der Sowjetunion und den USA um die erste bemannte Mondlandung noch offen. Die Amerikaner hatten zwar mittlerweile die Nase vorn in den Vorbereitungen zum Mond, während die Sowjets im Geheimen mit Rückschlägen im Zeitplan kämpften. Dennoch arbeiteten beide Seiten mit Hochdruck daran, den ersten Menschen auf den Mond zu bringen.

Ein entscheidender Schritt war dabei, das Andocken zweier Raumschiffe zu können, schließlich sollten in beiden Programmen eine bemannte Landefähre auf dem Mond landen und nach der Mission an den Orbiter wieder andocken.

Die Sowjets planten bereits am April 1967 mit Sojus 1 ein Andockmanöver zweier bemannter Kapseln: Aufgrund von schwerwiegenden Problemen der ersten Mission, die später zum Tode des Kosmonauten Wladimir Komarow führten, wurde der Start der zweiten Kapsel mit dem inoffiziellen Namen Sojus 2A abgesagt. Sojus 2 und 3 sollten am 27. Oktober 1968 eine bemannte Kopplung durchführen - Schwierigkeiten beim Anflug von Sojus 3 sorgten für einen zu hohen Kraftstoffverbrauch, sodass das Andockmanöver wenige Meter vor dem Ziel abgebrochen werden musste.

Der Transfer der beiden Kosmonauten im Überblick innerhalb einer Ausstellung des Moskauer Museums für Kosmonautik. Rechts ist Sojus 5, links ist Sojus 4.

(Bild: CC0, Museum für Kosmonautik)

Am 14. Januar flog Sojus 4 vom Raumfahrtbahnhof Baikonur aus mit Kommandant Wladimir Alexandrowitsch Schatalow ins All. Sojus 5 startete einen Tag später ebenfalls von Baikonur aus. Hier flogen mit: Kommandant Boris Walentinowitsch Wolynow sowie die Bordingenieure Alexei Stanislawowitsch Jelissejew sowie Jewgeni Wassiljewitsch Chrunow.

Geplant war, dass Sojus 4 an Sojus 5 andockt und Chrunow und Jelissejew von Sojus 5 an Bord von Sojus 4 gingen. Das komplizierte Manöver begann am 16. Januar 1969, also heute vor 55 Jahren. Die beiden Kapseln mit einer Masse von jeweils etwa 6675 Kilogramm dockten gemeinsam an, diesmal ohne große Probleme.

Die russische Nachrichtenagentur TASS vermeldete [PDF]: "Es gab eine gegenseitige mechanische Kopplung der Schiffe und ihre Stromkreise waren verbunden. So wurde die erste experimentelle kosmische Station der Welt mit vier Abteilen für die Besatzung zusammengebaut und in Betrieb genommen."

Es war die erste Kopplung mit mechanischer und elektrischer Verbindung zweier bemannter Raumschiffe. Nun sollten die beiden Bordingenieure Jelissejew sowie Chrunow sich von Sojus 5 zu Sojus 4 rüber bewegen. Da die Sojus-Kapseln noch nicht über eine Luke am Dock verfügten, mussten sie im Weltraumspaziergang (EVA) über die externen Ausstiegsluken in Raumanzügen vorsichtig herübersetzen.

Die moderne Sojus MS-01 (10 Bilder)

Start einer Sojus
(Bild: NASA)

Sojus-5-Kommandant Wolynow checkte vor dem Transfer die Kommunikations- und Lebenserhaltungssysteme der beiden Kosmonauten und schloss die Luke, um Sojus 5 wieder unter Druck zu setzen. Sojus 4 war während des Transfers ebenfalls drucklos. Erst als beide Kosmonauten die Kapsel erreichten, wurde sie ebenfalls wieder unter Druck gesetzt. Der Außenbordeinsatz war nach 37 Minuten beendet.

Diese Vorgehensweise geschah im Vorgriff auf das streng geheime sowjetische Mondprogramm, in dem ähnlich wie beim amerikanischen Apollo-Programm, ein Orbiter sowie Mondlandefähre in Richtung des Erdtrabanten geschickt werden sollten. Dann wäre ein Kosmonaut per externem Ausstieg in die Landefähre gestiegen und auf dem Mond gelandet. Die amerikanischen Ingenieure lösten das eleganter, da dort von vornherein eine Durchgangsluke zwischen Kommandomodul und Mondlandefähre existierte, die einen externen Übergang nicht notwendig machte.

Die beiden Kosmonauten brachten zum Beweis des Transfers neben ihrer Anwesenheit noch Zeitungen, Briefe und Telegramme mit. Außerdem führten sie mehrere Experimente im Vorgriff auf eine mögliche sowjetische Mondlandung durch. Nach 275 Minuten war die erste Raumstation wieder Geschichte: Sojus 4, nun mit drei Personen an Bord und Sojus 5 mit Wolynow trennten sich wieder und traten auf eigenen Wegen die die Rückkehr zur Erde an.

Während Sojus 4 eine Bilderbuchlandung gelang, wäre der Abstieg von Sojus 5 fast in einer Katastrophe geendet: Die Bremszündung gelang zum Test im All, aber nicht bei der Rückkehr. Zwei Versuche blieben ohne Ergebnis, was eine automatische Notlandung erforderlich machte. Zu allem Unglück trennte sich das Servicemodul nicht vollständig von der Rückkehrkapsel, die eigentlich allein und ohne Modul hätte landen sollen.

Das hatte zur Folge, dass die Kapsel sich verdrehte und der Teil ohne Hitzeschutzverkleidung voran den Wiedereintritt begann. Es bestand die akute Gefahr des Verglühens der Kapsel, die für einen solchen Wiedereintritt nicht ausgelegt war. Wolynow kämpfte bereits mit giftigen Dämpfen in der Kapsel, ausgelöst durch verschmorte Dichtungen. Er stopfte die wertvollen Aufzeichnungen über die Kopplung hinter seinem Sitz, damit wenigstens sie eine mögliche Brandkatastrophe überstanden. Die Bremsraketen konnten nichts ausrichten, da sie im Versuch, die Schwankungen des Gebildes auszugleichen, sämtlichen Treibstoff verbrauchten.

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Zum Glück rissen die Verbindungsbolzen in der Hitzebelastung und gaben das Servicemodul frei, sodass die Kapsel im letzten Moment noch in die richtige Wiedereintrittsposition gelangte. Damit war es jedoch noch nicht überstanden. Der Fallschirm öffnete sich nur teilweise und die Bremsraketen arbeiteten nicht korrekt, sodass die Kapsel viel zu hart aufschlug. Wolynow brach sich beim Aufschlag den Kiefer und schlug sich einige Zähne aus.

Infolge des verunglückten Wiedereintritts landete die Kapsel im Ural, über 600 Kilometer vom vorgesehenen Areal entfernt. Wolynow verließ die Kapsel und erreichte einen Bauernhof, in dem er sich wärmen konnte, bis die Bergungsmannschaften da waren. In der Kapsel wäre er sonst möglicherweise erfroren – am Landeort herrschten sehr winterliche -38° Celsius.

Ein gutes halbes Jahr vor der Apollo-Mondlandung gelang somit das erste Andockmanöver im All. Die Sojus entwickelte sich zum Arbeitspferd für die russische Raumfahrt. Auch wenn die Sowjets die Pläne für eine bemannte Mondlandung später aufgaben, aufgrund von permanenten technischen Problemen und Zeitverzug, zeigt es doch die beeindruckende Lernkurve auf, die die Raumfahrt in dieser Zeit erlebte.

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(mawi)