Zahlen, bitte! 1500 Meter geflogen: Der erste Jet der Welt

Bereits 1928 flog der erste Jet der Weltgeschichte: Der von Fritz von Opel mit Raketen ausgerüstete Segelflieger flog beim ersten Test immerhin 1500 Meter weit.

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(Bild: heise online)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Am 11. Juni 1928 gelang der erste bemannte Raketenflug mit einem Start vom Gummikatapult und anschließender sicherer Landung nach einem 1500 Meter langen Flug. Ein ursprünglich als Segelflieger konstruiertes Flugzeug namens Lippisch-Ente war mit zwei Raketen ausgerüstet worden, die per Fußpedal nacheinander gezündet wurden. Der Testflug sollte den Demonstrationsflug vorbereiten, mit dem Fritz von Opel, "Raketenfritz" genannt, vor der versammelten Presse das Raketenzeitalter einläuten wollte.

Opel feiert dieser Tage sein 125. Jubiläum als Autobauer und wird für seine Innovationskraft vom Bundeskanzler gelobt – wie das ein Kanzler so macht bei solch' einem großen Jubiläum. Da geht ein etwas anderer Jahrestag unter: Am 10. und 11. Juni 1928 stieg der Testpilot Franz Stamer in ein Flugzeug, das sein Schwager Alexander Lippisch konstruiert hatte. Diese "Lippisch-Ente" war eigens dafür gebaut worden, mit Raketen zu fliegen, die von Friedrich-Wilhelm Sander geliefert wurden. Finanziert wurde das Projekt von Automobilmagnaten Fritz von Opel, dessen Begeisterung für Raketen-Rekorde durch Max Valier geweckt wurde.

Fritz von Opel (rechts mit weißem Kittel) bei der Vorbereitung des RAK-3-Schienenfahrzeugs nahe Kleinburgwedel

(Bild: CC BY-SA 3.0 de, Bundesarchiv, Bild 102-06123)

Der südtiroler Astronom und Luftwaffenpionier Valier hatte 1927 das populärwissenschaftliche Buch "Der Vorstoß in den Weltenraum" veröffentlicht, in dem er den Einsatz von "Raketen-Motoren" für den Weltraumflug vorschlug. Fritz von Opel war damals nach dem Ausschluss von Opel von deutschen Autorennen auf den Motorboot-Rennsport umgestiegen. Als Leiter der Opel-Versuchswerkstatt erkannte er das Potenzial, mit Raketen für die Automarke zu werben. Am 23. März 1928 donnerte Fritz von Opel vor Presse und Prominenz mit einem Raketenwagen über die AVUS.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Nicht nur auf der Straße war der Fritz von Opel aktiv. Auf der zum Teil fast schnurgeraden Reichsbahn-Versuchsstrecke zwischen Hannover und Celle führte der umtriebige Ingenieur auf Höhe des Dorfs Kleinburgwedel einige Schienenversuche durch. Am 23. Juni 1928 führte von Opel mit dem RAK-3 genannten Raketen-Schienenfahrzeug mehrere Versuche durch, bei denen der Raketenwagen bis zu 256 km/h erreichte und für viel Aufmerksamkeit sorgte. Das sonst so beschauliche Dorf wurde von tausenden Schaulustigen belagert. Rak-4 explodierte an gleicher Stelle am 4. August – weitere Versuche mit Rak-5 untersagten die Behörden, die alle Hände voll zu tun hatten, die neugierigen Zuschauer zurückzuhalten. Fritz von Opel ging stattdessen in die Luft.

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Die Tests auf der Wasserkuppe waren als Vorbereitungen für eine ähnliche Show gedacht, die der "Raketenfritz" aus Rüsselsheim im benachbarten Frankfurt/M plante. Der erste Flug am 10. Juni misslang. Die Rakete brannte aus, doch die Ente blieb am Boden. Erst als man am nächsten Tag das Gummi-Katapult der Segelflieger für den Start benutzte, konnte der erste Jet der Welt erfolgreich starten und wieder landen. Die zwei Raketen, die jeweils nur 30 Sekunden lang brannten, ermöglichten einen 80 Sekunden langen Flug, bei dem die Ente 1500 Meter zurücklegte. Nach sicherer Landung beschloss man einen weiteren Flug, bei dem beide Raketen gleichzeitig gezündet wurden. Dabei explodierte eine Rakete, doch Pilot Stamer schaffte es, den Flieger zu landen, der am Boden ausbrannte.

Opel RAK-1 im Flug

Während Alexander Lippisch weiter an seinem Nurflüglerkonzept arbeitete, welches später zur Entwicklung der Me 163 führte (PDF), wurde für den in Frankfurt am Main geplanten Flug der Konstrukteur Julius Hatry beauftragt, einen Hochdecker zu konstruieren. Er sollte mit vier Hauptraketen und vier Triebzusätzen ausgestattet werden können. Der Rekordflug auf dem Frankfurter Rebstockgelände ging 80 Sekunden lang über 2 Kilometer, in denen der Flieger 150 km/h erreichte. Er endete aber mit einem spektakulären Crash, weil die Triebzusätze nicht richtig zündeten.

Fritz von Opel überstand ihn unbeschadet, musste aber seine Pläne aufgeben, bald mit einem Raketenflieger den Ärmelkanal zu überqueren: Der Weltwirtschaftskrise führte dazu, dass die Automobilwerke Opel an General Motors verkauft werden mussten. Die Raketenflieger verrotteten, die Raketenautos wurden wieder zurückgebaut und verkauft.

Fritz von Opel stieg aus der Firma aus, verbittert darüber, dass der von ihm konstruierte Opel Regent verschrottet werden musste, da er mit dem Cadillac von GM konkurrierte. Die Opels (Fritz hatte 1929 die Schauspielerin Margot Sellnick geheiratet) zogen nach Liechtenstein, später nach Palm Beach, wo sie zum Kriegseintritt der USA in einem Camp interniert wurden. Während Margot von Opel bald entlassen wurde, misstraute das FBI dem "Raketenfritz" bis weit nach Kriegsende.

Besonders die Tatsache, dass von Opel von seinem Vermögen eine Tankstellenkette gekauft hatte, machte ihn verdächtig. 1951 wurde er enteignet.

Nachbau des Opel-RAK1-Raketenflugzeugs im Opel-Museum

(Bild: CC BY-SA 3.0, Bergfalke2)

An dieser Stelle muss an den Wissenschaftsjournalisten Otto Willi Gail erinnert werden, der heute als fränkischer Jules Verne gefeiert wird. Gail steckte sich bereits 1923 nach der Lektüre des Buches "Die Rakete zu den Planetenräumen" von Hermann Oberth mit dem Raketenfieber an. Er schrieb zunächst eine Reihe von Romanen für die Jugend, die man heute als Science Fiction werten würde.

Seine Verbundenheit mit den phantastischen Romanen von Jules Verne könnte man darin sehen, dass Gail mit dem Illustrator Richard von Grünburg zusammenarbeitete, der auch die deutschen Übersetzungen von Verne bebilderte. Für Gails Roman "Hans Hardts Mondfahrt" von 1928 zeichnete von Grünburg ein Mehrstrahl-Raketenflugzeug, das von einer Rampe abgeschossen wird. Gleichzeitig arbeiteten Gail und von Grünberg an einer Festschrift für Fritz von Opel, "dem tatkräftigen und weitblickenden Förderer des ungeheuerlichsten Problems der Gegenwart". Sie erschien mit Illustrationen von Richard von Grünberg und zahlreichen Fotos ebenfalls 1928 unter dem Titel "Mit Raketenkraft ins Weltall. Vom Feuerwagen zum Raumschiff".

Illustrationen von Valliers Raketenflieger und von Grünbergs Stratosphärenflugzeugs.

(Bild: Autor)

In dieser Schrift wird zunächst die Theorie der Raketentechnik beschrieben, welche Geschwindigkeit notwendig ist, um sich der Erdanziehungskraft zu entziehen (11.200 Meter pro Sekunde), dann die verschiedenen Vorschläge von Robert Goddard und dem bereits erwähnten Hermann Oberth diskutiert.

Darauf wird die Praxis des Fahrens mit dem Raketenwagen erklärt, um schließlich mit der Schilderung eines Raketenfluges zum Mond zu enden. Für Gail ist der Mond oder eine Weltraumstation mit riesigen Spiegeln der notwendige Ausgangspunkt aller Expeditionen in den Weltraum, aber auch für die Herrschaft über die Erde. "Dem Kommandanten der Weltraumstation wäre es ein Leichtes, mit seinen Spiegeln Munitionsfabriken in Brand zu stecken, marschierende Truppen zu vernichten, ganze Städte in Asche zu legen und jede Kriegsrüstung im Keime zu ersticken.... Und darum sind all diese Raketenprobleme doch nicht so ganz zwecklose Spielereien. Umso erfreulicher ist es, dass man nun in Deutschland anfängt, diese Angelegenheit ernst zu nehmen und dass sich in Fritz von Opel endlich der Mann gefunden hat, der gewillt ist, die Rakete Schritt für Schritt zum Motor der Zukunft zu entwickeln."

(mawi)