Zahlen, bitte! "Erste" Atommasse 225,93 von Radium

Seite 2: "Historisches Gespräch" mit Marie Curie

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TR: Madame Curie, Sie kommen gerade aus dem Weißen Haus. Glückwunsch zu dem Gramm Radium, das Sie von Präsident Warren Harding erhalten haben.…

Marie Curie

(Bild: Fotograv. - Generalstabens Litografiska Anstalt Stockholm / Gemeinfrei)

Marie Curie: Vielen Dank, ich bin hocherfreut darüber.

Es ist 100.000 Dollar wert und muss abgeschirmt werden. Sie werden das doch nicht hier im Hotel haben?

Nein, das war heute eine symbolische Geste. Der Behälter mit dem echten Radium befindet sich noch in einem Safe in Pittsburgh. Ich kann es kaum erwarten, damit endlich wieder in meinem Labor in Paris zu sein und weiter zu forschen. Ich mache das ganze [-–] verzeihen Sie meine Direktheit [-–] Medientheater hier nur mit, weil ich mich für diese großzügige Spende erkenntlich zeigen möchte.

Eine Spende, die von einer amerikanischen Journalistin ermöglicht wurde. Auf ihren Aufruf hin kam das Geld für den Radiumkauf zustande.

Ja, ich bin Mrs. Marie Meloney zu großem Dank verpflichtet. Und deshalb habe ich mich auch bereit erklärt, Vorträge zu halten und Interviews zu geben. Aber ehrlich gesagt bin ich froh, wenn ich mich wieder ganz der Forschung widmen kann.

Und dazu brauchen Sie das gespendete Radium, denn Ihr Vorrat ist, wie ich hörte, fast aufgebraucht?

In der Tat. Das, was wir noch nicht für Messungen verbraucht hatten, haben wir im Krieg für die Therapie von Soldaten verwendet. Ich arbeite immer noch mit den Resten des Gramms, das ich für meine Doktorarbeit mühsam aus acht Tonnen Pechblende-Rückständen gewonnen habe.

Wie kamen Sie auf die Idee, dass in diesem Abfall noch weitere radioaktive Elemente sein könnten?

Das war eine logische Überlegung. Pechblende strahlte bis zu fünfmal so stark, wie es das darin noch enthaltene restliche Uran vermuten ließ. Also haben mein Mann Pierre und ich es so lange mit Säuren in seine Bestandteile aufgelöst, bis wir schließlich tatsächlich erst das Polonium und dann das Radium entdeckten.

Sie bekamen damals für Ihre Doktorarbeit kein Labor, sondern nur einen zugigen Schuppen. Wie haben Sie es in dieser winters unbeheizten und sommers überhitzten Baracke denn ausgehalten?

In diesem dürftigen Schuppen habe ich mit Pierre meine besten und glücklichsten Jahre verbracht. Ich musste schon im Studium mit wenig auskommen. Sehen Sie, ich hatte trotz allem eine wunderbare Chance: In meiner Heimat Polen durfte ich als Frau nicht studieren. Ich hätte höchstens als Lehrerin arbeiten können. Für mich aber gab es nie etwas Schöneres und Befriedigenderes als die Wissenschaft.

Auch wenn Sie körperlich hart arbeiten mussten, um das Mineral aufzuschließen.

Das war in der Tat eine schreckliche Schufterei, die großen Gefäße hin und her zu schaffen, die Flüssigkeiten umzugießen und stundenlang mit einem Eisenstab die siedende Masse in einem Schmelztiegel umzurühren. Aber es war jede Anstrengung wert. Haben Sie schon mal in der Dunkelheit fluoreszierende radioaktive Substanzen gesehen? Sie sehen aus wie Zauberlichter.

Aus heutiger Sicht ist es beängstigend, wie viel schädlicher Strahlung Sie ausgesetzt waren. Sie haben doch schon früh an schmerzhaft entzündeten Fingern gelitten und waren – genau wie ihr Mann – oft krank.

Es gab immer so viel zu tun, ich konnte mich damit nicht aufhalten. Im Übrigen bin ich nicht davon überzeugt, dass das alles von der Strahlung kam. Es könnten auch die Chemikalien gewesen sein.

Aber Monsieur Curie hat nach seinem Selbstversuch mit einer Radiumsalz-Probe auf der Haut eine offene Wunde davongetragen!

Das ist etwas anderes. Diese Wirkung bei direktem Kontakt ließ uns hoffen, dass mithilfe der Radioaktivität endlich Krebs geheilt werden könnte. Solche Fälle gab es auch.

Unbestritten. Aber man wird die Dosis noch weit nach unten korrigieren. Im 21. Jahrhundert werden einige Krebsarten mit winzigen implantierten Strahlenquellen behandelt.

Winzig sagen Sie? Das ist ja hochinteressant! Ich wüsste zu gern, welche medizinischen Fortschritte noch daraus erwachsen werden.

Es wird Geräte geben, die Krankheiten in bestimmten Organen aufspüren und daraus dreidimensionale Bilder herstellen können.

Wie im Kino? Als bewegtes Bild?

Ja, sogar das. Nur kleiner.

Es erfüllt mich mit großer Genugtuung, dass die Fortführung unserer Entdeckung menschliches Leid lindern kann.

Das taten Sie ab 1914, als der Weltkrieg ausbrach, sogar persönlich. Wieso haben Sie sich nicht in Sicherheit gebracht?

Ich musste mich doch nützlich machen, das ist doch selbstverständlich.Also habe ich mich für mobile Röntgenstationen eingesetzt, die ihre eigene Stromversorgung haben. In vielen Kliniken gab es nämlich entweder gar keine Röntgengeräte oder keinen Strom dafür. Die Französische Frauenunion stellte uns einen Wagen und Geld für einen Röntgenapparat sowie einen elektrischen Generator zur Verfügung. Über Beziehungen konnte ich noch Fotoplatten, Chemikalien und Bleischürzen beschaffen.

Sie haben mit 47 Jahren sogar noch den Führerschein gemacht und einen der Wagen, die im Volksmund liebevoll „Petits Curies“ hießen, selbst gefahren.

In der Tat. Wenn wir von einem Krankenhaus angefordert wurden, fuhren wir hin und machten die Apparatur innerhalb einer Stunde einsatzbereit. Dann konnten die Ärzte bei verletzten Soldaten Gewehrkugeln und Splitter genau ausfindig machen und sie so leichter entfernen. Aber das…

hat Ihnen nicht gereicht…

…es sind doch oft Tage vergangen, bis die Soldaten endlich in ein Lazarett kamen. Bis dahin hatte sie ihre Verletzung oft schon umgebracht. Ich habe gefordert – und durchgesetzt –, dass wir die Soldaten gleich vor Ort, hinter der Front, untersuchen können.

Bei den Einsätzen fuhr auch Ihre erst 17-jährige Tochter Irène mit. Auch in Ihrem Institut ist sie Ihre Mitarbeiterin. Glauben Sie, sie wird…

Ça suffit, das ist zu persönlich. Nur so viel: Sie kann alles erreichen, was sie will, auch den Nobelpreis.

Wie recht Sie haben, Madame.

(jle)