Zerlegen auf Knopfdruck

Schrauben bekommen Konkurrenz: Moderne Klebstoffe verbinden die Festigkeit einer Schweißnaht mit der einfachen Lösbarkeit einer Verbindung mit Schrauben.

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Als der Volksmund den Kleinstwagen Lloyd LP 300 wegen seiner mit Kunstleder bezogenen Sperrholzkarosserie „Leukoplastbomber“ taufte, war das keineswegs schmeichelhaft gemeint, sondern bespöttelte ein als windig empfundenes Konstruktionsprinzip. Ein halbes Jahrhundert später hat das Kleben zwar immer noch ein Imageproblem, konnte aber schon viele Erfolge für sich verbuchen. Heute ist jedes Auto eine Art Leukoplastbomber: Nach Angaben des Industrieverbands Klebstoffe (IVK) enthält ein zeitgenössischer Pkw 15 bis 18 Kilogramm Kleber.

Dabei wird es nicht bleiben. Klebstoffe dringen immer weiter in ein Terrain vor, das bisher Schraube und Schweißnaht vorbehalten war. Forscher arbeiten bereits an Klebstoffen, die auf Knopfdruck ihre Haftkraft verlieren. Damit werden erstmals die beiden sich widersprechenden Ziele Festigkeit und leichte Lösbarkeit unter einen Hut gebracht.

Die Festigkeit von Klebstoffen steht dabei längst außer Frage. Werkstücke werden weder durch Hitze noch durch Bohrungen geschwächt, Kräfte flächig statt punktuell übertragen. Nach Angaben des IVK haben Auto- Prototypen, bei denen tragende Strukturen geklebt wurden, im Crashtest besser abgeschnitten als ihre geschweißten Pendants.

Zu weiteren Fortschritten hat die Nanotechnik geführt. „Durch Nanofüllstoffe werden heute Effekte erzielt, die früher undenkbar waren“, sagt Dirk Niermann vom Fraunhofer- Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung. Füllstoffe wie Silikate oder Aluminiumoxide sind nicht für die Adhäsion eines Klebstoffs, sondern für dessen mechanische Merkmale wie Verformbarkeit und Temperaturfestigkeit verantwortlich. Beim Einsatz von weniger als 100 Nanometer messenden Partikeln als Füllstoff steht eine deutlich größere Oberfläche zur Verfügung, und das verändert die physikalischen Eigenschaften. „Bisher gab es eine direkte Abhängigkeit von Festigkeit und Verformbarkeit eines Klebstoffes – das eine konnte man nur auf Kosten des anderen erhöhen. Durch Nanofüllstoffe können wir jetzt erstmals beides gleichzeitig steigern“, sagt Niermann. Das bedeutet für die Crashfestigkeit: Klebstoffe können durch Verformung größere Mengen an Energie aufnehmen.

Bei allen bautechnischen Vorteilen von Klebstoffen – ein begrenzender Faktor für ihren Einsatz war bisher ihr Verhalten bei Feuer. Doch auch hier haben Nanofüllstoffe laut Niermann „hervorragende Ergebnisse“ gebracht, indem sie etwa Gase zurückhalten und auch unter großer Hitze ihre Festigkeit behalten. Allerdings sei die Herstellung von Nanofüllstoffen technologisch außerordentlich anspruchsvoll, da das Verklumpen der Partikel durch aktive Oberflächen unterbunden werden müsse. Deshalb sei man von der Serienreife noch ein Stück entfernt. Niermanns Kollegin Jana Kolbe hat sich daran gemacht, der Schraube aus einer anderen Richtung das Wasser abzugraben: Sie arbeitet an einem Verfahren, mit dem Werkstücke nicht mehr in Fräsmaschinen eingespannt, sondern eingeklebt werden können. Vorteil: Das Werkstück ist von fast allen Seiten gleichzeitig zugänglich.

Die Anforderungen an einen Klebstoff für solche Anwendungen sind allerdings immens. Er muss großen Kräften sowie hochfrequenten Schwingungen standhalten, ohne sich dabei auch nur um einen Millimeterbruchteil zu verschieben, und muss sich dennoch einfach und rückstandslos lösen lassen. Kolbe wählte als Basis einen Schmelzklebstoff aus Polyamid mit acht Megapascal (81 Kilogramm pro Quadratzentimeter) Zug- und Scherfestigkeit. Der eigentliche Clou ist jedoch ein Zusatz von geheimer Zusammensetzung. Er gestattet es, den Kleber nach getaner Fräsarbeit zu lösen. Damit sich die Klebestelle nicht versehentlich lösen kann, baute Kolbe zwei voneinander unabhängige Mechanismen dafür ein: Die Verbindung muss gleichzeitig einer Spannung von 48 Volt ausgesetzt und auf 65 Grad erwärmt werden, um die Klebewirkung aufzuheben. Anschließend kann der Klebstoff als dünner Film abgezogen werden. Geschieht nur eines von beidem, bleibt die Klebung fest. Technisch ist es laut Kolbe aber ebenso machbar, einen Klebstoff zu mischen, der nur auf Strom reagiert.