"Zügellose Vergrößerung von Kapital" – Chinas IT-Fachkräfte bangen um ihre Jobs

Fluktuation bei den Mitarbeiterzahlen der E-Commerce- und Tech-Branche in China sind normal. Die neue Politik setzt den Unternehmen allerdings mehr und mehr zu.

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(Bild: muhammadtoqeer/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert
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Tausende von Entlassungen werden bei Chinas Big-Tech-Firmen Alibaba und Tencent erwartet, berichtet die selbst zum Alibaba-Konzern gehörende South China Morning Post in Hongkong diese Woche. Längst nicht nur die ganz Großen sind betroffen und man stehe am Beginn einer Umstrukturierungs- und Entlassungswelle, die durch Xi Jinpings harsche neue Gesetze mit heraufbeschworen wurde, bestätigt eine Expertin des Mercator Institute for China Studies (MERICS).

Sinas Weibo-Forum ist voll von besorgten Kommentaren über die Entlassungswelle. Nachrichten wie eine kürzlich veröffentlichte Tabelle, welche Teile der Online-Handelsplattform Jingdong (JD.com) von Entlassungen besonders betroffen sein werden, befeuern die Ängste noch. Eine Nutzerin schreibt, wegen der Entlassungsankündigungen traue sie sich gar nicht in ihr Büro.

Die South China Morning Post geht von mehreren tausend Entlassungen bei Alibabas 250.000 und Tencents 107.000 Mitarbeitern aus. Bei Tencent soll vor allem das Cloud- und Content-Geschäft betroffen sein. "Inhalteangebote sind besonders durch härtere Regulierung betroffen", schreiben die Autorinnen. Bei Alibaba treffe es – wie auch bei JD.com – insbesondere den Bereich lokaler Food-Delivery.

Der generelle Konjunktureinbruch ist ein Grund für die Entlassungen, sagt Valarie Tan, Analystin beim MERICS auf Anfrage von heise online. Die von der Coronakrise gebeutelten Verbraucher sparen. Aber man sehe dieses Mal deutlich mehr Entlassungen im Tech-Bereich als bei den üblichen konjunkturellen Schwankungen eines überhitzten Marktes. Außerdem beträfen die Entwicklungen viele Sektoren: von Onlinespielen über das Anzeigengeschäft bis zu E-Commerce-Plattformen.

"In einigen Fällen werden ganze Geschäftsbereiche aufgegeben", beobachtet Tan. Betroffen seien außerdem nicht nur die bekannten Großkonzerne. "Mindestens 35 Firmen haben laut einem Bericht ihre Mitarbeiterzahl seit dem vergangenen Jahr reduziert. Die Zahlen gehen schon jetzt in die Tausende. Im privaten Bildungs- und im Educational Tech-Bereich sind es eher Zehntausende, wegen der staatlichen Verbote, die im letzten Jahr verhängt wurden", sagt sie. Dutzende von Firmen gingen nach dem Verbot praktisch über Nacht bankrott, berichtet Tan.

Mehr noch als die Konjunkturdelle schlägt die von Xi Jinping gestartete Regulierungswelle durch, die den gesamten Tech-Sektor zu Umstrukturierungen oder Aufgabe einzelner Firmen oder Geschäftsbereiche zwinge, so Tans Analyse.

"Was wir hier sehen, sind die ersten der wirklich weitreichenden Konsequenzen des von Staat und KPC im vergangenen Sommer gestarteten Vorgehens gegen Tech-Unternehmen." Sie zwinge die Branche, ihre Geschäftsmodelle anzupassen. "Diejenigen, die auf Werbungs-finanzierte Modelle bauten, müssen ihr Personal reduzieren. Denn Anzeigen für Dritte oder auch Dinge wie Pop-up-Werbung sind nicht mehr erlaubt in Apps."

Den Spielanbietern machen unter anderem die neuen Regeln zum Jugendschutz das Leben schwer. Kinder und Jugendliche dürfen nämlich nur noch am Wochenende, und dann nur für wenige Stunden spielen. 140.000 Gaming Firmen haben laut Tan dichtgemacht. Denn sie bekamen die notwendigen Videospiellizenzen nicht mehr verlängert.

Um den neuen Gesetzen von Datenschutz und bis zu Cybersicherheits- und Exportbestimmungen Nachdruck zu verleihen, gibt es empfindliche Strafandrohungen. Für Wettbewerbsverletzungen kassierten chinesische Behörden innerhalb eines Jahres schon mehr als drei Milliarden US-Dollar von hunderten Firmen, bilanzieren Experten. Auch das belastet die Budgets der Unternehmen.

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Analystin Tan merkt an, dass auch die Entscheidung der USA, chinesische Aktien an amerikanischen Börsen nicht mehr zu listen, die Märkte weiter verunsichert hat. Zwar können US-Investoren weiter in die entsprechenden Firmen investieren, sofern sie auch in Hongkong gehandelt werden. Zusammen mit dem Backlash gegen die vormals so geliebte Tech-Branche werde das die langfristige Stabilität solcher Investments weiter in Frage stellen.

(bme)