Missing Link: Chinas neue Datenschutzgesetze – eine 'Kulturrevolution 4.0'

Neue Gesetze für mehr Datenschutz und -sicherheit ähneln teils der DSGVO. Doch tatsächlich hat in China längst eine allumfassende Regulierungskampagne begonnen.

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(Bild: rongyiquan/Shutterstock.com)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

China hat sich im zweiten Pandemiejahr ein erstes Online-Datenschutzgesetz gegeben und ein neues Datensicherheitsgesetz. Es macht mit einer Algorithmenregulierung sozialistischer Prägung auf sich aufmerksam. Anleihen bei der Datenschutzgrundverordnung und den europäischen Plänen zur Einhegung der großen Plattformen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ein Nutzer freundliches Internet nicht das Ziel des Rundumschlags von Xi Jinping ist.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Im Herbst 2021 sah sich der große chinesische Plattformkonzern Tencent bemüßigt, die Identität eines Gamers festzustellen. Der hatte beim populären Online-Spiel "Honor of Kings" zu nächtlicher Stunde fünf Gegner auf einen Streich – einen sogenannten Pentakill – geschafft. Der Mann hatte angegeben, 60 Jahre alt zu sein, und ein Raunen ging durchs chinesische Netz, wie das US-Magazin The Atlantic Mitte November berichtete.

Bewunderer und Neider vermuteten sogleich, dass sich hinter der Rentneridentität ein Teenager versteckte, der gegen das Spielverbot für Kinder und Jugendliche verstoßen hatte. Das neue Gesetz verbietet allen unter 18-jährigen, an normalen Tagen überhaupt zu spielen. Nur Freitag, Samstag und Sonntag sowie an öffentlichen Feiertagen dürfen sie jeweils eine Stunde lang ihrer Spielleidenschaft frönen. Die für die Spiele zuständige National Press and Publication Administration (NPPA) hatte schon 2019 Zeitlimits eingeführt, im Pandemie-Jahr 2021 legte sie nochmals nach.

Natürlich hätten Videospiele das öffentliche Bedürfnis nach Unterhaltung befriedigt und das "spirituelle und kulturelle Leben der Menschen bereichert", heißt es in der ursprünglichen Begründung der NPPA. Doch zugleich litten junge Menschen zunehmend unter einer ungesunden Spielsucht. Also müsse reguliert werden, zum Schutz der Jugend und auch, weil man damit "den Geist der Anweisungen des Generalsekretärs, Xi Jinping" am besten umsetzen könne. Laut der von The Atlantic zitierten US-Wissenschaftlerin Regina Abrami schickt es sich laut diesem "Geist" für Chinesen nicht, "den ganzen Tag Videospiele zu spielen."

Klingt ein bisschen nach Kulturrevolution 4.0. Dazu passen sowohl neue Verordnungen, die der ausgeprägten Fankultur im Internet den Garaus machen wollen, als auch das ebenfalls 2021 verhängte Verbot von kommerzieller Nachhilfe für den um Universitätsplätze konkurrierenden chinesischen Nachwuchs. Statt bezahlter Kurse und ausländischer Lehrer verordnen Partei, Staatsrat und Bildungsministerium besseren Unterricht an den Schulen im Land und gut genutzte Freizeit. Kursangebote im Ausland sind strikt untersagt.

Die Abschottung gegenüber dem Westen ist für Wissenschaftler in Deutschland heute auch direkt spürbar. Aus gemeinsamen rechtswissenschaftlichen Projekten haben sich chinesische Kollegen zurückgezogen, schreibt ein deutscher Rechtswissenschaftler auf Anfrage von heise online. Der chinesische Beitrag zu einer soeben erschienenen Publikation zur Plattformregulierung in aller Welt fehlt. Das Land drohe, verstärkt durch weniger direkten Austausch während der Pandemie, zu einer Black Box zu werden. Dabei gäbe es gerade aktuell reichlich Stoff für den Austausch.