Zurück zur alten Größe

50 Jahre nach dem Start des ersten künstlichen Satelliten versucht Russland sein Raumfahrtprogramm wieder zur alten Größe zu führen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Keno Verseck
Inhaltsverzeichnis

Die Liste der russischen Erfolge ist lang: Sputnik, der erste künstliche Satellit, und Juri Gagarin, der erste Mensch im All, der erste Weltraumausstieg, die erste weiche Landung mit einer Raumsonde auf dem Mond und auf der Venus, die ersten außerirdischen Bodenproben zurück zur Erde, die ersten Raumstationen. Die erste Russin flog bereits 1963 ins All – zwei Jahrzehnte vor der ersten US-Amerikanerin, und ein russischer Kosmonaut hält seit Jahren ungebrochen den Rekord für einen Langzeitflug. Freilich sind fast alle dieser russischen Raumfahrterfolge älter als drei Jahrzehnte. Vor allem seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 und der russischen Wirtschaftskrise der 1990er Jahre ist die Raumfahrt im größten Land der Erde nur noch ein Schatten ihrer Vergangenheit.

Zwar verfügt Russland anerkanntermaßen noch immer über die besten Erfahrungen mit Langzeitflügen ins All wie auch beim Bau von Raumstationen. Und die Sojus-Raketen und Sojus-Raumkapseln sind die mit Abstand erfolgreichsten und sichersten Transportsysteme der Raumfahrtgeschichte. Doch wegen chronischen Geldmangels betrieb Russland seit Ende der achtziger Jahre kaum noch Forschung mit Satelliten und Raumsonden, brach das vielversprechende Raumfährenprojekt Buran ab und verschrottete die entgegen ihres schlechten Images recht gut funktionierende Raumstation Mir. Die Entwicklung neuer Raketen und Raumtransporter verzögert sich, der Aufbau des Satellitennavigationssystems Glonass kommt nur schlecht voran. Selbst die russischen Militärs, seit jeher an Priorität auch im Bereich Raumfahrt gewohnt, beklagen seit Jahren den Mangel an Spionage- und Frühwarnsatelliten.

Nun jedoch steht die russische Raumfahrt angeblich vor einer Renaissance – zumindest, wenn man der Raumfahrtagentur Roskosmos glaubt. Anfang September, fast pünktlich zum fünfzigjährigen Jubiläum des Sputnik-Fluges, verkündete der Roskosmos-Chef Anatolij Perminow Russlands neue Raumfahrtambitionen: den Bau eines neuen Raumschiffes bis 2015 und einer eigenen neuen Raumstation nach dem Ende der ISS, einen bemannten Mondflug 2025, eine Mondstation ab 2028, einen Marsflug ab 2035.

Perminow ließ offen, von welchem Geld der ehrgeizige Plan umgesetzt werden soll. Das Budget der russischen Raumfahrtagentur betrug 2006 und 2007 jeweils weniger als 900 Millionen Dollar, erst im nächsten Jahr soll es über die Eine-Milliarde-Dollar-Marke steigen. Was auch dann nur gut das Doppelte eines einzigen Shuttle-Fluges wäre, legt man die konservativen NASA-Schätzungen von 450 Millionen Dollar für den Start einer US-Raumfähre zugrunde. Von solchen Summen, für NASA-Verhältnisse eher Taschengeld, wird Perminow Mond- und Mars-Flüge nicht verwirklichen können. Zumal der größte Teil des russischen Raumfahrthaushalts für Versorgungs- und Personenflüge zur Internationalen Raumstation reserviert ist.

Dabei ist Perminow angetreten, Russlands Raumfahrt wieder in vollem Glanz erstrahlen zu lassen. Vor dreieinhalb Jahren, im März 2004, wurde der Generaloberst und ehemalige Oberkommandierende der russischen Weltraumstreitkräfte auf Geheiß des Staatspräsidenten Wladimir Putin Chef der neu gegründeten Förderalen Raumfahrtagentur Roskosmos. Sein ausdrücklicher Auftrag: den russischen Raumfahrtsektor neu zu organisieren und Russland wieder zur Raumfahrtsupermacht zu machen.

So sollen Dutzende von Raketen- und Raumfahrtfabriken bis 2015 zu drei oder vier größeren Raumfahrtkonsortien zusammen gefasst werden. Außerdem soll bis 2020 in Russlands fernem Osten ein komplett neuer Raumfahrtbahnhof entstehen, um unabhängiger vom kasachischen Baikonur zu werden. Denn nur von dort aus kann Russland zur Zeit bemannte Raumschiffe oder Transporte zur ISS schicken. Doch mit Kasachstan gibt es periodisch Streit, mal wegen nicht bezahlter Pachtgebühren, mal wegen abgestürzter Raketen, zuletzt Anfang September, als eine Proton-Rakete kurz nach dem Start in der kasachischen Steppe niederging, nachdem ein Triebwerk versagt hatte.

"Spektakuläre" Änderungen gab es seit Perminows Amtsantritt vor allem im Personalbereich – mutmaßlich, um die Raumfahrt wieder mehr unter zentrale und militärische Kontrolle zu bringen. So wurden die Chefs der beiden größten Raketenbau- und Raumfahrtkonzerne Chrunitschew und Energija ausgewechselt, vordergründig wegen technologischen und finanziellen Missmanagements. Überhaupt scheint Perminow auf eine größere Rolle des Militärs in der zivilen russischen Raumfahrt zu setzen: Im Herbst 2004 flog erstmals ein Kosmonaut mit geheimem militärischen Auftrag zur Internationalen Raumstation, und das obwohl die ISS ausdrücklich ein ziviles Projekt ist.