Photogrammetrie selbstgemacht

Als Photogrammetrie bezeichnet man allgemein die Vermessung von Objekten mit Hilfe von Licht. Dabei können sowohl fotografische Abbildungen als auch Laserscanner die Daten liefern.

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Ursprünglich benutzte man Photogrammetrie hauptsächlich zur Erstellung sogenannter Orthophotos – speziell entzerrte Bilder aus der Vogelperspektive, die zum Beispiel in Geoinformationssystemen benutzt werden. Mittlerweile dient die Photogrammetrie aber zunehmend der 3D-Rekonstruktion und Dokumentation von Objekten und Anlagen, zum Beispiel in der Archäologie. In diesem Fall spricht man auch von Nahbereichsphotogrammetrie.

In der Nahbereichsphotogrammetrie nimmt man vom zu vermessenden Objekt mehrere (besser: sehr viele) Fotos auf, und zwar aus unterschiedlichen Perspektiven, um alle Details des Objekts zu erfassen. Spezielle Software durchsucht anschließend die Aufnahmen nach markanten Merkmalen, um mit Hilfe der bekannten Abbildungseigenschaften der verwendeten Fotokamera die Form des Objekts in 3D zu berechnen.

Für die Photogrammetrie reicht eine x-beliebige Digitalkamera oder ein Smartphone. Damit umkreist man das Objekt der Begierde und schießt Fotos aus allen Perspektiven. Ideal fürs 3D-Scannen mit der Kamera sind Außenaufnahmen bei bewölktem Himmel. Direktes Sonnenlicht oder Gegenlicht überfordern das Verfahren meistens, auch mit glänzenden oder gar spiegelnden Oberflächen funktioniert es nicht. Damit Sie die notwendigen markanten Punkte auf genügend Bildern ablichten, umkreisen Sie Ihr Objekt im Seitwärtsgang und machen dabei laufend Fotos, sodass Sie in etwa 30 Bildern einmal rum sind. Wenn möglich, umkreisen Sie den Gegenstand noch einmal mit leichter Aufsicht und einmal aus der Froschperspektive. In der Praxis dauert es nur wenige (allerdings konzentrierte) Minuten, bis man die 30 bis 100 Bilder im Kasten hat, die für ein vollplastisches Modell nötig sind. Wer nicht so oft auf den Auslöser drücken will, kann auch einfach einen hochaufgelösten Videoclip aufnehmen und anschließend eine Bilderserie exportieren.


Ein Schwenk mit der Videokamera fing den Steinlöwen am Neuen Rathaus in Hannover ein, Autodesk 123D Catch rekonstruierte dann aus Standbildern des Films ein 3D-Modell, das wir mit den Anwendungen Meshlab und netfabb Studio aufbereiteten und anschließend dreidimensional druckten.

Die Photogrammetrie-Software (Liste siehe weiter unten) analysiert die Bilder und erzeugt ein räumliches Abbild der Szene. Dazu wird auf den Fotos nach charakteristischen Strukturen gesucht ("Features"), beispielsweise nach scharfen Kanten wie an Hausecken oder nach Hell-Dunkel-Mustern, wie sie die Felgen eines Autos zeigen. Solche markanten Punkte müssen jeweils auf vielen Fotos wiederzuentdecken sein, damit die Software abschätzen kann, wo sie im Raum liegen. Bei erfolgreicher "Feature Extraction" ergeben sich daraus Koordinaten und somit Hypothesen über die Orte, von denen die Fotos geschossen wurden. Dabei greift manche Software auch auf EXIF-Daten wie die Brennweite der Kamera zurück.

Im Idealfall passen alle hypothetischen Koordinaten in eine schlüssige räumliche Struktur, sodass jeder markante Punkt seinen Platz in der Szene findet. Das Verfahren gehört zum klassischen Fundus der Bildverarbeitung und nennt sich "structure from motion", da es der Art ähnelt, wie Menschen Objekte dreidimensional wahrnehmen, wenn sie sich durch den Raum bewegen. Die Methode nutzt beispielsweise Microsoft für seinen Bilderbetrachter Photosynth oder das Zeitraffer-Werkzeug Hyperlapse.

Das im fertigen 3D-Modell vorhandene unvermeidliche Drumherum der Szenerie stört zwar, der Analyse-Software hilft es allerdings, Informationen zur räumlichen Situation zu sammeln. Anders als bei anderen 3D-Scan-Verfahren sind neutrale Hintergründe wie weiße Wände ungünstig; bei kleinen Gegenständen, die wir auf einem einfarbigen Tisch liegend fotografierten, erzielten wir in unseren Versuchen bessere Ergebnisse, wenn wir zuerst eine Zeitung als Unterlage ausbreiteten. Allerdings ist wichtig, dass möglichst keine den Algorithmus verwirrenden Objekte auf einem Bild vorhanden und auf dem nächsten verschwunden sind – eine Brunnenfigur am Samstagnachmittag in der Fußgängerzone aufzunehmen, ist keine gute Idee. Wenn Sie eine Person in 3D abbilden wollen, muss Ihr Modell während der Fotosession möglichst stillhalten, sollte mit den Augen einen festen Punkt in der Ferne fixieren und nur zwischen den Aufnahmen blinzeln.

Zur Rekonstruktion von 3D-Modellen per Photogrammetrie steht mittlerweile eine Reihe von Software-Tools zur Verfügung.

  • Für die professionelle 3D-Erfassung etwa bei wissenschaftlichen Ausgrabungen wird oft Agisoft Photoscan benutzt. Das kommerzielle Produkt für Windows, Mac OS X und Linux bekommt man in einer Standard-Variante für 179 US-Dollar und einer professionellen Version für 3500 US-Dollar. Für die Rekonstruktion von statischen Gebäudemodellen reicht die Standard-Variante vollkommen aus, die es zudem als kostenlose 30-Tage-Testversion gibt.
  • Von CAD-Hersteller Autodesk gibt es gleich zwei Angebote, die man derzeit kostenlos benutzen kann: 123D Catch bekommt man kostenlos für Windows, Mac OS X, iOS und Android. Die Software ist sehr einfach zu bedienen, erzeugt aber auch nur relativ grobe Modelle – die Zahl der Fotos pro Rekonstruktion ist auf 70 beschränkt. In der Beta-Phase gratis ist die Autodesk-Software Memento, die aus bis zu 250 Fotos ein 3D-Modell erzeugt. Wie 123D Catch überträgt sie die Daten dazu auf die Server des Herstellers.
  • Wer 3D-Modelle lieber auf dem eigenen Rechner und dauerhaft kostenlos berechnen will, kann zum Linux-Live-System ArcheOS oder VisualSFM greifen – ausprobiert haben wir beides selbst allerdings noch nicht.

Wie man die Scans mit kostenloser Software nachpoliert und von störenden Hintergrundfragmenten freistellt, beschreibt der Online-Artikel "Datenmetz", ursprünglich erschienen in c't 18/12.

Hier muss man genau hinschauen: 123D Catch umgab das plastische Abbild unserer Kollegin mit ausladenden Geländefragmenten, die sich aber mit wenigen Mausklicks aus der 3D-Datei entfernen lassen.

(pek)