Best of Informationsfreiheit: Undurchsichtiger Föderalismus

Bund und Länder haben größtenteils Gesetze, die sie zur Transparenz verpflichten – es sei denn, die Länder treten untereinander in den Austausch.

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(Bild: Shutterstock/Panchenko Vladimir)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Arne Semsrott
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Mal angenommen, in einigen Jahren wollen Politikwissenschaftler:innen dazu forschen, wie die wichtigen Entscheidungen der Corona-Krise in der Ministerpräsidentenkonferenz zustande kamen: Wie werden sie nachvollziehen können, wer entschiedenere Maßnahmen blockierte und wer erfolglos für mehr Schutz der Bevölkerung plädierte? Welche historischen Daten können die Forscher:innen dann auswerten?

Best of Informationsfreiheit

Freie Informationen sind eine Voraussetzung fĂĽr Demokratie. Daher: Das "Best of Informationsfreiheit", alle zwei Wochen, von Arne Semsrott. Er ist Projektleiter von FragDenStaat und freier Journalist. Er arbeitet zu den Themen Informationsfreiheit, Transparenz, Lobbyismus und Migrationspolitik.

Wenn sie Pech haben, müssen sie sich dabei auf Mitschnitte von Diskussionen auf Clubhouse verlassen, in denen Ministerpräsidenten ihre Sicht der Dinge preisgeben (und im Anschluss auch noch Lieder singen).

Wenn sie Glück haben, tauchen irgendwo noch ernstzunehmende Protokolle der Sitzungen auf, in denen die Ministerpräsident:innen und die Bundeskanzlerin über angemessene Krisenmaßnahmen diskutieren. Dass es offizielle Dokumente gibt, scheint derzeit aber unwahrscheinlich.

Fragt man die Ministerpräsidentenkonferenz – bzw. eigentlich das zuständige Bundesland, das jeweils den Vorsitz hat – nach Protokollen ihrer Sitzungen, melden die regelmäßig Fehlanzeige. Offenbar haben sich Bund und Länder darauf geeinigt, den Verlauf ihrer Gespräche in der Konferenz in der Corona-Krise nicht schriftlich festzuhalten. Am transparentesten agiert dabei tatsächlich die Bundesregierung, die in den Diskussionen offiziell nur Gast ist. Sie stellt zumindest die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz regelmäßig ins Netz.

Dass es keine Protokolle der Corona-Sitzungen gibt, wird nicht nur für die historische Forschung ein Problem sein, sondern ist auch ein Problem für die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen in der Gegenwart. Denn wo es keine Verlaufsprotokolle gibt, gibt es weniger individuelle Verantwortung. Dissens der Exekutivorgane wird ausgeblendet – anders als etwa in den Parlamenten, wo es zwar auch Hinterzimmerdeals geben mag, am Ende vor einer Abstimmung aber Plenardebatten zumindest Öffentlichkeit herstellen.

Die fehlenden Protokolle stehen dabei sinnbildlich auch für ein Grundsatzproblem der Intransparenz im Föderalismus: Der Bund und die Länder mögen größtenteils Informationszugangsgesetze haben, die sie jeweils zur Transparenz verpflichten. Wenn sie allerdings miteinander (und auch mit der EU) in den Austausch treten, gelten die Transparenzregeln nicht mehr – immer alleine schon aus Rücksicht etwa auf Bayern, die einer Herausgabe nicht zustimmen würden. Das führt dazu, dass die Entscheidungsprozesse der einflussreichen Ministerkonferenzen Deutschlands – ob Kultusminister-, Landwirtschaftsminister- oder Innenministerministerkonferenz – kaum nachvollziehbar sind.

Will man etwa nicht veröffentlichte Beschlüsse der Innenministerkonferenz erhalten, ist oft schon nicht klar, wo man anfragen muss: Bei jedem (Landes-)Innenministerium, beim jährlich wechselnden Vorsitzland oder bei der Geschäftsstelle, die beim Bundesrat angesiedelt ist? Die Bundesländer organisieren eine Verantwortungsdiffusion, die für sie sehr bequem ist.

Nach dem Gesetz werden die Konferenzen nur als freiwillige Zusammentreffen betrachtet, in denen informelle, nicht-bindende Beschlüsse gefasst werden. Eine eigene Behörde sind sie nicht. De facto sind die Beschlüsse der Konferenzen aber natürlich verbindlich. Ein Bundesland kann es sich nicht leisten, etwa die Innenministerkonferenz zu verlassen, weil ihm die beschlossenen Polizeimaßnahmen nicht passen.

Und so ist noch nicht einmal öffentlich, worüber zum Beispiel die Innenminister bei ihren Treffen diskutieren. Die Tagesordnung bleibt geheim – und die Konferenz hat sich im Jahr 2015 mit einem 154-seitigen Rechtsgutachten bescheinigen lassen, dass es nicht nach den Informationsfreiheitsgesetzen auskunftspflichtig ist. Das Intransparenz-Gutachten hat die Innenministerkonferenz entgegen ihrer Gewohnheiten ganz transparent im Internet veröffentlicht.

(bme)