Bitte nicht die nächste "Überlösung". Ein Kommentar zu Bildungsplattformen
Mit 630 Mio. Euro plant der Bund eine Bildungsplattform. Statt teurer Projekte braucht es Konzepte für Fortbildung und Praxisnähe, meint Dorothee Wiegand.

(Bild: bearbeitet durch c't)
- Dorothee Wiegand
Während der Recherche zu diesem Artikel über das Großprojekt "Mein Bildungsraum" habe ich viel darüber nachgedacht, wie ich mit 630 Millionen Euro unser Bildungssystem voranbringen würde. Diese Summe versenkt nämlich der Bund gerade in einer neuen "Bildungsplattform". Wie viele Raspberry-Pi-Klassensätze könnte man davon finanzieren! Der Raspi ist weltweit in Schulen im Einsatz, die große Community tauscht sich über pädagogische Ideen aus.
Hierzulande fördert das Wirtschaftsministerium den Mikrocontroller Calliope mini. Er wurde 2016 auf dem IT-Gipfel der Bundesregierung vorgestellt, großspuriges Motto: "Digitale Bildung. Einfach. Machen." Zeit Online erwartete die "vielleicht größtmögliche Umwälzung des deutschen Schulsystems". Tatsächlich ist der Calliope in manchen Schulen anzutreffen. Die Umwälzung ist aber ausgeblieben.
Im März 2018 beschloss die Regierung, eine gemeinsame Cloud für alle Schulen in Deutschland zu schaffen – obwohl die meisten Bundesländer schon mehr oder weniger funktionierende Schulclouds hatten. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte das Cloudprojekt mit 22 Millionen Euro. Die "dBildungscloud" ging schließlich nur in Brandenburg, Niedersachsen und Thüringen an den Start.
Das Muster ist immer gleich: Obwohl Lösungen existieren, soll eine neue Überlösung her. So wie bei der in Arbeit befindlichen Bildungsplattform "Mein Bildungsraum", die das BMBF mit 630 Millionen Euro fördert. Gleich vier Prototypen entstanden, von denen einer nun die Grundstruktur für das Großprojekt bildet. Geld fließt aktuell an über 40 Projekte, die irgendwelche Inhalte zuliefern. Der Bundesrechnungshof fürchtet, dass das BMBF Millionen für "kleinteilige und unverbundene Projekte verausgabt, an deren Ergebnissen kein Bedarf besteht".
SODIX und wirlernenonline.de, zwei Suchportale für Bildungsmedien, sind bereits in Betrieb. Ebenso VIDIS, der "Vermittlungsdienst für das digitale Identitätsmanagement in Schulen", und "mein NOW", das nationale Onlineportal für berufliche Weiterbildung. Statt immer wieder neuer paralleler Strukturen benötigt das Bildungssystem aber einen ernsthaften, demokratisch geführten Diskurs darüber, wie Lernen und Lehren in einer digital geprägten Welt aussehen kann. Fördergelder sollten in Medienbildungskonzepte und Lehrerfortbildung fließen. Und ein paar Raspi-Klassensätze wären auch sehr schön.
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(dwi)