"Code kennt keine Fairness"

Seite 3: "Code kennt keine Fairness"

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TR: Aber gibt es da nicht ein ganz besonderes Problem im Zusammenhang mit Reglementierung und Code, anders als bei gesetzlichen Bestimmungen? Ein Code wendet eine Regel einfach an, ob sie passt oder nicht. Und das funktioniert in der realen Welt nicht, sonst bräuchten wir keine Gerichte, die Regeln interpretieren. Warum sollte das in Cyber-Welten funktionieren?

Lessig: Bestimmte Regeln in der echten Welt laufen auch mehr oder weniger automatisch ab. Es wird bestimmt Fälle geben, in denen bestimmte rechtliche Grundsätze nicht über Code implementiert werden können. Die Durchsetzung des Urheberrechts durch Code zum Beispiel ist problematisch.

Eine Software wie die eines Digital Rights Managements kann nicht entscheiden, ob Inhalte "fair" im Sinne einer Fair-Use-Lizenzvereinbarung verwendet werden. Aber man kann nicht sagen, dass rechtliche Grundsätze, nur weil sie als Code und in Form von Technologie dargestellt werden, keine rechtlichen Grundsätze mehr sind.

TR: Aber führt nicht die Regulierung durch Code zur Aufhebung der Gewaltenteilung? Der Code gilt ja dann universell und übernimmt alle drei Funktionen: Legislative, Rechtsprechung und Exekutive.

Lessig: Nicht unbedingt. Nehmen wir als Beispiel ein System, das so programmiert wurde, dass Ihr Konto und all Ihre Vermögenswerte nach vier erfolglosen Anmeldeversuchen vollständig gelöscht werden. Die Entscheidung liegt doch bei den Programmierern, die den Code schreiben, und nicht beim Code. Das ist von der eigentlichen Ausführung des Codes getrennt.

Nach der Ausführung des Codes, da haben Sie Recht, wurde damit das Urteil gefällt, und Ihr Konto wird deaktiviert. Trotzdem agiert noch ein Rechtssystem im Hintergrund, und Sie können angeben, dass eine bestimmte Regel anhand normaler rechtlicher Grundlagen überprüft werden soll. Hierdurch wird die Gewaltenteilung ebenso wenig verletzt wie beispielsweise durch einen Polizisten, der Ihrem Auto wegen nicht bezahlter Tickets eine Parkkralle verpasst. Er wendet damit eine Regel an, die von einer anderen Instanz aufgestellt wurde.

TR: Und wer sind diese übergeordneten Instanzen?

Lessig: Das Rechtssystem der realen Welt, nicht das der virtuellen Welt.

TR: Aber die echten Gerichte wären doch völlig überlastet, wenn jeder Konflikt in einer virtuellen Welt von ihnen geregelt werden müsste.

Lessig: Stimmt. Doch landet auch in der echten Welt längst nicht jede Auseinandersetzung vor Gericht. Um Schwierigkeiten, die man mit Kaufhäusern oder den öffentlichen Verkehrsbetrieben hat, kümmern sich in den meisten Fällen schon entsprechende Abteilungen in den jeweiligen Firmen.

Lassen sich diese Probleme nicht zur beiderseitigen Zufriedenheit lösen, kann man immer noch vor Gericht ziehen. Und genauso läuft das auch im Cyberspace ab, nur vielleicht komplexer, da unter Umständen fünf verschiedene Rechtsprechungen als Grundlage für die Auseinandersetzung herangezogen werden. Diese Art von Komplexität ist Gerichten vielleicht noch unbekannt.

TR: Und welches Gesetz aus welchem Land zählt?

Lessig: Die internationalen Gesetze sind noch nicht auf diesen Fall ausgelegt, dass Leute aus der ganzen Welt grenzübergreifenden virtuellen Handel betreiben, doch die Grundlage bildet das internationale Privatrecht.

TR: Wie stark wird die echte Welt durch die virtuelle Welt beeinflusst?

Lessig: Ich glaube, es wird immer mehr Berührungspunkte geben. Der Umgang mit bestimmten Dingen im Cyberspace greift auf die echte Welt über. Ich hoffe, die Leute sind reif genug um zu begreifen, wie sie damit umgehen müssen und welche Probleme in diesem Zusammenhang auftreten können, glaube aber, diese Entwicklung lässt sich kaum vermeiden.

TR: Wie sehen Sie die Zukunft der Cyber-Welten?

Lessig: Immer mehr Leute werden diese Welten zu einem Teil ihres Lebens machen, den sie nicht mehr missen möchten. Der Cyberspace wird sogar dem Fernsehen den Rang ablaufen! Und es wird viel Erklärungsbedarf darüber entstehen, wie sich die verschiedenen Aspekte der Cyberwelten mit den normalen Gesetzen in Einklang bringen lassen. (Übersetzung: Nicole Schreiber) /

(Langfassung eines Interviews aus TR 07/07. Mehr zum Thema finden Sie im Fokus "3D-Internet" dieser Ausgabe, die Sie hier bestellen können.) (bsc)